Newsletter „What's up, America?“

In Washington tickt eine Zeitbombe

US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus auf dem Weg zu einem öffentlichen Auftritt zum Thema Schuldengrenze. Das Thema dürfte in den kommenden Monaten wachsende Brisanz bekommen.

US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus auf dem Weg zu einem öffentlichen Auftritt zum Thema Schuldengrenze. Das Thema dürfte in den kommenden Monaten wachsende Brisanz bekommen.

Liebe Leserinnen und Leser,

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das Chaos bei den US-Republikanern war haarsträubend. Aber zum Glück betraf es erst mal nur sie selbst.

Kevin McCarthy, neuer Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, beginnt sein Amt als politisch Schwerbeschädigter. 14-mal trat er zur Wahl an, 14-mal verweigerten ihm die eigenen Leute die nötige Mehrheit. Erst nach tagelangen weltweit live übertragenen Quälereien, im 15. Wahlgang, klappte es endlich.

Aber hey, Amerika will Sieger sehen. Also riss der Republikaner am Ende doch noch fernsehgerecht die Arme nach oben und lächelte wacker in die Kameras. Comedian Jimmy Fallon höhnte in der „Tonight Show“ auf NBC: „Es war, als wollte McCarthy sagen: Ich bin froh, dass ich nicht noch in eine 16. Abstimmung musste – das wäre demütigend geworden.“

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Willkommen zur neuen Ausgabe von „What’s up, America?“.

Irritiert blickt die Welt auf unfassbar destruktive Stimmungen und Strömungen unter der Kuppel des Kapitols. Wie kommt es eigentlich, fragen sich viele, dass die Republikaner ihren neuen starken Mann im Kongress so schwach aussehen lassen? Warum haben sie nicht einfach angestoßen auf ihre bei den Zwischenwahlen am 8. November erzielte neue Mehrheit im Repräsentantenhaus und McCarthy im ersten Wahlgang gewählt?

In den ersten Tagen des neuen Jahres wurde deutlich: Von einer Normalität dieser Art haben sich die US-Republikaner leider weiter entfernt denn je. Glühende Trumpisten in ihren Reihen fanden es vordringlich, McCarthy zu demütigen und zu disziplinieren. Der neue Mehrheitsführer soll sich seiner Mehrheit nicht sicher sein, sondern sich auf Schritt und Tritt als jemanden empfinden, der ganz und gar von der Gnade der Trumpisten abhängt.

„Ein Kapitän, der nichts steuern kann“

Dass dieser unschöne Start nicht nur McCarthy schadet, sondern auch ihrer Partei und ihrem Land, ist den Trumpisten egal. Das Letzte, worauf sie Rücksicht nehmen würden, ist der weltpolitische Auftritt der USA. Radikale politische Egoshooter und -shooterinnen wie Matt Gaetz (Florida) und Lauren Boebert (Colorado) zelebrieren eine Zeitenwende ganz eigener Art: das Ende einer Ära, in der gesamtstaatliche Verantwortung den Republikanern noch etwas bedeutete.

Chaotischer Start: Kevin McCarthy, neuer Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus der USA.

Chaotischer Start: Kevin McCarthy, neuer Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus der USA.

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Wohl oder übel muss sich die Welt jetzt anfreunden mit einer Tendenz zu neuer Instabilität in den USA. Radikalen Kräften im Kongress ist Chaos willkommen – wenn damit die Aussicht auf machtpolitische Vorteile verbunden ist, sei es im Verhältnis zu Präsident Joe Biden, sei es im Verhältnis zu gemäßigten Gruppen aus der eigenen Partei.

Wohin wird diese neue Haltung führen? Fest steht nur eins: Demnächst wird es bei Entscheidungen im Kongress um sehr viel mehr gehen als nur diesen oder jenen Posten für die Republikaner.

Als heikelste Abstimmung des Jahres gilt schon jetzt die wohl spätestens im Sommer fällige Ausweitung der Schuldengrenze.

Hinter den Kulissen wurde das „debt ceiling“ schon zur Jahreswende zum Topthema. Vertreter aus Wirtschafts- und Finanzkreisen in den USA sind, wie die „New York Times“ berichtet, schon jetzt extrem besorgt. Das Geldhaus Goldman Sachs fürchtet die härtesten Kämpfe um die Schuldengrenze seit dem Jahr 2011.

Historische Blamage plus globale Krise?

In der Vergangenheit hat das Ringen um die Schuldengrenze noch immer zu irgendeinem Kompromiss geführt, notfalls in letzter Minute. In diesem Jahr aber, wird derzeit in Washington gewarnt, könnte es anders sein. Erstmals in der Geschichte drohe tatsächlich eine zumindest zeitweise Zahlungsunfähigkeit der USA. Die Folgen wären eine beispiellose historische Blamage – und eine neue, rund um die Welt ziehende Finanzkrise.

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Hemmungslose radikale Egoshooter: Matt Gaetz (Florida) und Lauren Boebert (Colorado).

Hemmungslose radikale Egoshooter: Matt Gaetz (Florida) und Lauren Boebert (Colorado).

McCarthy gilt nicht als der Mann, der dies alles aufhalten könnte. Nach allem, was man jetzt bei seiner Wahl erlebt hat, hätte McCarthy zu wenig Autorität in den eigenen Reihen, um überhaupt irgendeinen Deal mit den Demokraten zustande zu bringen. In US-Finanzkreisen heißt es, McCarthy werde, selbst wenn er sich redlich bemühe, eine Krise abzuwenden, auf Schwierigkeiten stoßen: Er sei „ein Kapitän, der nichts steuern kann“.

Die seit Jahrzehnten definierten Regeln für die Schuldengrenze indessen verlangen beherztes Handeln, präzise und zeitgerecht. Seit 1960 wurde die Grenze 78-mal angehoben. Geschieht nichts, wird das Problem zu einer Zeitbombe: Die rechtlichen Folgewirkungen greifen mit mechanischer Strenge.

  • Die Schuldengrenze ist ein vom Kongress festgelegter Deckel für den Gesamtbetrag, den die US-Regierung an Schulden aufnehmen darf, um ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Aktuell liegt die Grenze bei 31,4 Billionen Dollar.
  • Bliebe ein rechtzeitiger Beschluss in nächster Zeit aus, könnte noch im Laufe des Jahres 2023 die Zahlungsunfähigkeit der USA eintreten.
  • Eine Zahlungsunfähigkeit der USA würde nicht nur erhebliche Turbulenzen an den weltweiten Finanzmärkten auslösen. Man würde sie zugleich als weltpolitisches Zeichen der Schwäche sehen in einer Phase, in der eigentlich Zeichen der Stärke gefragt wären, insbesondere im Verhältnis zu Russland und China.

Viele Republikaner sehen im möglichen Nein zur Anhebung der Schuldengrenze das zentrale Machtinstrument in der Auseinandersetzung mit Joe Biden und seinen Demokraten. Das Chaos, das in diesem Fall den USA droht, soll offenbar nicht ausgeschlossen, sondern zum Verhandlungsgegenstand werden. Schon jetzt, wird aus Washington berichtet, hantieren manche mit düstersten Drohungen nach Art der Netflix-Serie „House of Cards“.

„Es ist sehr besorgniserregend“, sagte dieser Tage der Abgeordnete Lloyd Doggett, ein Demokrat aus Texas, über die drohende Krise. „Wir setzen damit nicht nur die wirtschaftliche Zukunft unseres eigenen Landes aufs Spiel, sondern die der ganzen Welt.“

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FACTS AND FIGURES: pessimistisch ins neue Jahr

Die Amerikaner starten das Jahr 2023 in ungewöhnlich pessimistischer Stimmung. Das berichtet das renommierte Umfrageinstitut Gallup unter Berufung auf eigene Daten.

  • Rund acht von zehn amerikanischen Erwachsenen gehen davon aus, dass das Jahr 2023 von wirtschaftlichen Schwierigkeiten geprägt sein wird.
  • Sechs von zehn erwarten weitere hohe Preissteigerungen und parallel dazu fallende Aktienkurse.
  • Mit einer wachsenden Kriminalitätsrate rechnen 72 Prozent der befragten Amerikanerinnen und Amerikaner.

Die parteipolitische Spaltung der USA schlägt sich in auffälliger Weise auch an dieser Stelle nieder. Anhängerinnen und Anhänger der Demokraten äußerten sich gegenüber Gallup generell optimistischer, in einigen Bereichen erwarten sie 2023 sogar ausdrücklich eine Besserung. 69 Prozent der Demokraten rechnen mit neuem Schwung am Arbeitsmarkt, 79 Prozent sehen zugleich ein Nachlassen des russischen Einflusses auf die Welt voraus.

 

POPPING UP: Die Neoidealisten kommen

Das Magazin „The Atlantic“ fand zum Jahreswechsel wunderbare Worte für den historischen Auftritt von Wolodymyr Selenskyj vor dem US-Kongress. „Er kam, um den USA für die Unterstützung der Ukraine zu danken“, schrieb David Frum. „Doch es sind die Amerikaner, die ihm danken sollten.“ Die Ukraine nämlich habe allen Menschen weltweit, die an Demokratie und Menschenrechte glauben, in einer Phase des Verzagens völlig neuen Mut gegeben.

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„Als die Ukrainer zu gewinnen begannen“, schreibt Frum, habe im Westen ein neues Nachdenken begonnen. „Vielleicht waren unsere Ideale gar nicht so veraltet. Vielleicht waren unsere Institutionen nicht so kaputt. Und vielleicht waren die Menschen, die die Ukrainer jetzt brauchten, die Menschen, die wir wieder sein könnten.“

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Von Neoidealismus ist plötzlich die Rede, auch in Europa. Benjamin Tallis, Politologe bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Buchautor („To Ukraine with love“), definierte den neuen Trend soeben in einem 25-teiligen Tweet als „moralisch begründeten Ansatz“, der nicht zuletzt auf Rechtssicherheit beruhe, für einzelne Menschen wie für einzelne, auch kleinere Staaten: „Neoidealismus gründet sich auf die Macht der Werte, die als anzustrebende Ideale verstanden werden: Menschenrechte und Grundfreiheiten, demokratische Regierungsführung, liberale Gesellschaften und, vielleicht am wichtigsten, das Recht der Bürger in diesen Gesellschaften auf eine hoffnungsvolle Zukunft.“

 

DEEP DIVE: mehr Tempo gegen Russland

Condoleeza Rice war Außenministerin, Robert Gates Verteidigungsminister unter Präsident George W. Bush. Das Wort von beiden hat bis heute Gewicht. Deshalb ließ ein von Rice und Gates gemeinsam verfasster Aufsatz in der „Washington Post“ dieser Tage nicht nur Fachleute aufhorchen: Beide meinen, der Westen müsse sich, grob gesagt, bei seinen Hilfen für die Ukraine stärker beeilen.

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Bradley-Schützenpanzer reichen nicht, meint Condoleeza Rice – die Ukraine brauche auch schwere Kampfpanzer, Langstreckenraketen und modernere Drohnen.

Bradley-Schützenpanzer reichen nicht, meint Condoleeza Rice – die Ukraine brauche auch schwere Kampfpanzer, Langstreckenraketen und modernere Drohnen.

„Wladimir Putin bleibt fest entschlossen, die gesamte Ukraine unter russische Kontrolle zu bringen oder – falls dies nicht gelingt – sie als lebensfähiges Land zu zerstören“, schreiben Rice und Gates. „Wir haben uns beide bei mehreren Gelegenheiten mit Putin befasst, und wir sind überzeugt, dass er glaubt, dass die Zeit auf seiner Seite ist, dass er die Ukrainer zermürben kann und dass die Einheit der USA und Europas und die Unterstützung für die Ukraine schließlich erodieren und zerbrechen werden.“

Rice und Gates verweisen auf den wachsenden ökonomischen Druck auf die Regierung in Kiew. „Obwohl die Ukraine auf die Invasion heldenhaft reagiert und ihr Militär brillante Leistungen erbracht hat, liegt die Wirtschaft des Landes in Trümmern, Millionen Menschen sind geflohen, seine Infrastruktur wird zerstört, und ein Großteil seiner Bodenschätze, Industriekapazitäten und beträchtlichen landwirtschaftlichen Flächen sind unter russischer Kontrolle.“ Nötig sei daher ein weiterer großer ukrainischer Durchbruch gegen die russischen Streitkräfte.

Rice und Gates loben Joe Bidens Entscheidung, Schützenpanzer vom Typ Bradley zur Verfügung zu stellen, gehen aber noch einige Schritte weiter, in Richtung Kampfpanzer. „Da mit dem Versand schwerer amerikanischer Abrams-Panzer ernsthafte logistische Herausforderungen verbunden sind, sollten Deutschland und andere Verbündete diesen Bedarf decken. Die Nato-Mitglieder sollten den Ukrainern auch Langstreckenraketen, fortschrittliche Drohnen, erhebliche Munitionsvorräte (einschließlich Artilleriegeschosse), mehr Aufklärungs- und Überwachungsfähigkeiten und andere Ausrüstung zur Verfügung stellen. Diese Fähigkeiten werden in Wochen, nicht in Monaten benötigt.“

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WAY OF LIFE: am Computer in Bewegung bleiben

Oft wurde darüber gescherzt, dass Computernutzer ihren Strom doch vielleicht auch selbst erzeugen könnten, durch kräftiges Treten unterm Tisch. Die Firma Acer macht damit jetzt Ernst. Bei der Elektronikmesse CES in Las Vegas wurde der Computertisch eKinekt BD 3 vorgestellt, der Energie aus der Tretkraft des Fahrers oder der Fahrerin umwandelt, um Laptops aufzuladen. Das neue System schütze erstens die Umwelt und sei zweitens gesund.

Formulieren, trainieren und das Klima schützen: Der Computertisch eKinekt BD 3 nutzt selbst erzeugte Energie.

Formulieren, trainieren und das Klima schützen: Der Computertisch eKinekt BD 3 nutzt selbst erzeugte Energie.

„Eine Stunde konstantes Radfahren mit 60 Umdrehungen pro Minute kann 75 Watt selbst erzeugte Leistung generieren“, meldet Acer.

Auch an jene, die es nicht schaffen, physische und intellektuelle Leistungen tatsächlich gleichzeitig zu bringen, ist gedacht. Acer erlaubt großzügigerweise ein Nacheinander der verschiedenen Belastungen: „Die verfügbaren Arbeits- und Sportmodi ermöglichen es Benutzern, die Schreibtischposition beim Treten einfach zu ändern, um sich entweder auf Aufgaben oder Workouts zu konzentrieren.“

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Der nächste USA-Newsletter erscheint am 24. Januar 2023. Bis dahin: Stay cool and stay sharp!

Ihr Matthias Koch

 

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