In Ungarn sind 30 Prozent der Bürger geimpft – Botschafter Györkös: „Wir sind sehr stolz!“

Budapest: Ein Angestellter prüft frisch eingetroffene Corona-Impfstoffe des chinesischen Pharmaunternehmens Sinopharm.

Budapest: Ein Angestellter prüft frisch eingetroffene Corona-Impfstoffe des chinesischen Pharmaunternehmens Sinopharm.

Berlin. Péter Györkös (57) ist seit November 2015 ungarischer Botschafter in Deutschland. Von 1988 bis 2004 war er in verschiedenen Positionen im ungarischen Außenministerium tätig und begleitete die EU-Integration seines Landes. Im Sommer 1989 war er als junger Referent am Prozess der Ausreise Tausender DDR-Bürger über Ungarn in den Westen beteiligt. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sprach mit ihm.

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Herr Györkös, Ungarn klagt beim Europäischen Gerichtshof gegen die neu eingeführten Klauseln, die eine Kürzung von EU-Finanzhilfen bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit vorsehen. Was erhoffen Sie sich von der Klage?

Es gibt in der Sache zwei Elemente. Erstens geht es darum, dass EU-Fördermittel rechtmäßig vergeben und eingesetzt werden. Da ist Ungarn zu 100 Prozent dabei. Aber zweitens gibt es jetzt den Versuch, durch diesen sogenannten Rechtsstaatsmechanismus den Artikel sieben des EU-Vertrages auszuhebeln, in dem das Verfahren geregelt wird. Wir denken, man kann Verfassungsrecht nicht durch Sekundärrecht ersetzen. Die Punkte, an denen Ungarn angegriffen wird, haben mit den Werten der EU nicht viel zu tun.

Dr. Péter Györkös ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit 2015 ist er Botschafter in Deutschland.

Dr. Péter Györkös ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit 2015 ist er Botschafter in Deutschland.

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Es geht unter anderem um Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und unabhängige Justiz.

Man will Ungarn bestrafen. Wir werden täglich 20-mal angegriffen, dass es in Ungarn keine Pressefreiheit gibt. Ich lese täglich ein Dutzend deutsche Medien, und ich finde, die ungarische Presselandschaft ist bunter als die deutsche. Dieser Streit ist kein rechtlicher, sondern ein politischer. Wir möchten die Frage des neuen Mechanismus vor dem Europäischen Gerichtshof klären lassen und sind auf das Urteil sehr gespannt.

Die Publizistin Anne Applebaum schreibt in ihrem neuen Buch „Die Verlockung des Autoritären“, die Medien in Ungarn unterstehen zu 90 Prozent der Regierung. Stimmt das?

Wissen Sie, jemand behauptet etwas faktenignorantes, und das wird dann als Tatsache weiterverbreitet. Das ist Unsinn. Nach meiner Einschätzung liegt in Ungarn bei der Verteilung von Inhalten die regierungskritische Meinung in manchen Medien leicht vorn, bei anderen liegt die regierungsfreundlichere Sicht leicht vorn. Aber eines der Lager möchte den Diskurs ausschließlich bestimmen, und das findet in Ungarn nicht statt. Deshalb bedroht man uns auch ständig in der EU: bestrafen, aushungern, rauswerfen.

Applebaum schreibt auch, Ungarn habe im März 2020 ein Gesetz erlassen, das es Premier Viktor Orbán erlaubt, am Parlament vorbei zu regieren und Journalisten bis zu fünf Jahre einzusperren, wenn sie Corona-Maßnahmen der Regierung kritisieren.

Faktenignoranz Nummer zwei und Nummer drei von Frau Applebaum. Es geht hier um die erste Welle der Corona-Pandemie. Da hat es in allen EU-Mitgliedsstaaten Sonderregelungen gegeben, und bis heute sieht man auch in Deutschland verbreitete Kompetenzen des Bundesgesundheitsministers oder den Streit über die Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz. In Ungarn endete das Regieren im Notzustand am 21. Juni 2020. Und ja, es gibt einen Paragraphen, dass gegen Personen, die durch falsche Berichterstattung Menschenleben gefährden (und nicht die Regierung kritisieren), ein Strafverfahren eingeleitet werden kann. Solche Fälle werden alle vor Gericht geklärt, niemand wird einfach irgendwie eingesperrt.

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Stichwort Corona – Ungarn liegt beim Impfen in Europa weit vorn, offenbar haben Sie nicht alles falsch gemacht.

Von unseren fast zehn Millionen Einwohnern sind bis jetzt rund 30 Prozent geimpft. Damit liegen wir in der EU auf Platz zwei und sind darauf sehr stolz! Uns war schon im Dezember klar, dass die von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zugelassenen und von der Europäischen Kommission bestellten Impfstoffe nicht ausreichen würden. Deshalb haben wir zusätzlich auch den Impfstoff Sinopharm aus China und Sputnik V aus Russland bestellt, der übrigens von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen worden ist.

Ungarn wurde zumindest indirekt kritisiert, weil es Sputnik V „im Alleingang“ zugelassen hat, ohne das Ergebnis der EMA abzuwarten.

Auch hier bewegen wir uns absolut rechtskonform mit den EU-Richtlinien, die besagen, dass in Krisensituationen die Mitgliedsländer frei entscheiden können, ob ihre Behörden zusätzliche Impfstoffe zulassen. Sollen wir uns dafür entschuldigen, dass wir uns um die Gesundheit unserer Bürger kümmern? Die EMA empfiehlt Astrazeneca durchweg, und Deutschland setzt den Impfstoff kurzzeitig ab, dann wieder ein, und dann nur für über 60-Jährige. Das heißt, man muss offenbar flexibel reagieren, und das machen wir. Viktor Orbán ist bereit, out of the box zu denken, und das passt manchen nicht.

Polen, die baltischen Staaten und die USA sind gegen die Ostseepipeline Nord Stream 2, die russisches Erdgas nach Deutschland bringen soll. Wie steht Ungarn dazu?

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Das ist primär eine deutsche Angelegenheit, die man nicht ideologisch diskutieren sollte. Deutschland ist erwachsen genug, das selbst zu entscheiden. Wir selbst beziehen auch russisches Gas über eine Pipeline auf dem Landweg. Das funktioniert zuverlässig, aber wir setzen auf Diversifizierung. Das heißt, je mehr Quellen, desto sicherer und preiswerter ist die Versorgung der Bevölkerung und der Industrie. So bekommen wir beispielsweise jetzt endlich Flüssigerdgas aus Kroatien. Auf der Insel Krk wurde ein neues LNG-Terminal gebaut, dort kommt Gas aus aller Welt per Schiff an. Und wir setzen auch weiter auf Atomenergie, bauen bis 2030 zwei weitere Reaktorblöcke in unserem AKW in Paks.

Das heißt, Sie teilen die Kritik Polens nicht, dass durch Nord Stream 2 in Russland der Militärhaushalt gestärkt wird und dass man sich bedroht fühlt?

Wir respektieren, dass das Projekt bei unseren Verbündeten Ängste auslöst. Wir stehen unseren NATO-Bündnispartnern bei geopolitischen Bedrohungen voll zur Seite. Ungarische Kampfjets sichern mit den Luftraum über dem Baltikum ab. Wir haben unsere eigenen historischen Erfahrungen mit Russland. Unsere Lage war immer am schwierigsten, wenn es einen Konflikt zwischen West und Ost gab, und wir saßen in der Mitte. Darunter haben wir immer gelitten. Wir setzen derzeit das größte Rüstungsprojekt in der Geschichte um und erneuern unsere Streitkräfte technologisch komplett. Daran sind in erster Linie deutsche Unternehmen beteiligt, wie etwa Airbus oder Rheinmetall.

Deutschland engagiert sich nicht nur in der ungarischen Rüstungsindustrie. Wie schätzen Sie die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder ein?

Sehr gut. Wir waren 2020 mit einem Warenverkehr von 52 Milliarden Euro der drittgrößte Handelspartner Deutschlands in Osteuropa, noch vor Russland. Und der Saldo war positiv. Das heißt, wir haben mehr Waren nach Deutschland exportiert, als wir selbst importiert haben. In Ungarn gibt es 6000 deutsche Unternehmen mit 300.000 Mitarbeitern. Natürlich ist da an erster Stelle die Autoindustrie zu nennen, mit Audi in Györ, BMW in Debrecen oder Daimler in Kecskemét. Aber es passiert auch sehr viel bei Forschung und Entwicklung. Da fragen wir uns manchmal, warum es so viele Auslandsinvestitionen aus allen Industrieländern der Welt in Ungarn gibt, wenn es um unsere Rechtsstaatlichkeit so schlecht bestellt ist.

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