IG-Metall-Chef: “Strauchelt die Autoindustrie, brechen ganze Regionen ein”

Wie viele Arbeitsplätze sind in der Autoindustrie bedroht?

Wie viele Arbeitsplätze sind in der Autoindustrie bedroht?

Berlin. Herr Hofmann, Deutschland schnürt ein milliardenschweres Konjunkturpaket, um aus der Corona-Krise herauszukommen. Wenn Sie nur einen einzigen Wunsch dafür frei hätten, welcher wäre das?

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Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre das Mut zu einem großen, schnellen und zielgenauen Wurf. Ohne ein umfassendes Konjunkturpaket wird unsere Wirtschaft nachhaltig erheblichen Schaden nehmen.

Was müssen die wichtigsten Leitplanken für das Konjunkturpaket sein?

Die Notfallmedizin muss gegen drei unterschiedliche Probleme wirken: Wir müssen denjenigen helfen, die wegen Corona ihre Betriebe nicht oder nur sehr eingeschränkt öffnen können. Daneben brechen den Kommunen die Gewerbesteuereinnahmen weg – sie brauchen dringend Unterstützung. Und wir befinden uns in einer Weltwirtschaftskrise, der wir uns mit aller Kraft entgegenstemmen müssen. Diese wird uns weit über Corona hinaus beschäftigen.

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Jörg Hofmann, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall (IGM).

Jörg Hofmann, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall (IGM).

Wie groß muss das Konjunkturpaket insgesamt sein?

Die Volkswirte sagen, notwendig sind mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für ein Konjunkturpaket, das wirklich etwas bewegen kann. Demnach wären wir bei mindestens 100 Milliarden Euro. Wenn wir dazu die kommunalen Haushalte stärken wollen, sind wir bei insgesamt über 150 Milliarden Euro. Dieses Geld – auch das für die Städte und Gemeinden – ist gut angelegt. Niemand will, dass die Schulen und Schwimmbäder unsaniert bleiben. Und genauso wenig wollen wir, dass Handwerker in die Pleite gehen, weil die Kommunen keine Aufträge mehr vergeben können.

Ein Punkt, den Sie vorschlagen, ist auch eine Abwrackprämie zugunsten der Autoindustrie. Wie erklären Sie denen, die Kühlschränke oder Waschmaschinen herstellen, warum die Arbeit der Kollegen, die Autos produzieren, für den Staat wichtiger sein soll als die eigene?

Genau deshalb muss die Kaufprämie für Autos eingebunden sein in ein Konjunkturprogramm für alle Branchen. Drei Voraussetzungen sind dabei entscheidend: Die Kaufprämie leistet einen deutlichen Beitrag zur Senkung der CO₂-Emissionen. Sie ist verbunden mit dem Abbau von Kurzarbeit und Beschäftigungssicherung und muss daher auch die 90 Prozent der Beschäftigten der Branche erreichen, die an Fahrzeugen mit Verbrennungsantrieb arbeiten. Drittens erwarten wir einen kräftigen Eigenbeitrag der Automobilhersteller. Unter diesen Bedingungen sagen wir unbedingt ja zur Kaufprämie.

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Die Autoindustrie ist Deutschlands Schlüsselindustrie. Wenn zu wenig Autos gekauft werden, trifft das nicht nur die Beschäftigten in den Autofabriken und Zulieferbetrieben.

Jörg Hofmann

IG Metall

Ist die Autoindustrie für Deutschland so wichtig? Oder hat sie einfach nur die stärkere Lobby?

Die Autoindustrie ist Deutschlands Schlüsselindustrie. Wenn zu wenig Autos gekauft werden, trifft das nicht nur die Beschäftigten in den Autofabriken und Zulieferbetrieben. Es fehlen dann Aufträge und Arbeit für viele andere: vom Werkzeugmaschinenbau bis hin zur Stahlindustrie. Jeder vierte Euro industrieller Wertschöpfung hängt von dieser Branche direkt ab. Und da sind die Millionen von Handwerkern, Einzelhändlern oder Restaurants, die von der Kaufkraft der dort Beschäftigten abhängig sind, nicht mitgerechnet. Strauchelt die Autoindustrie, dann brechen ganze Regionen wirtschaftlich komplett ein. Das dürfen wir nicht zulassen.

Rund 10 Prozent der Betriebe in unseren Branchen sind bereits jetzt akut von Insolvenz bedroht. Das trifft über 100.000 Beschäftigte, die schnell in die Arbeitslosigkeit fallen könnten.

Jörg Hofmann, IG Metall

Wie viele Jobs sehen Sie in der Automobilindustrie aktuell gefährdet?

Diejenigen, die bei den Herstellern selbst arbeiten, haben wir über Tarifverträge recht gut abgesichert. In Gefahr sind vor allem diejenigen, die für Zuliefererbetriebe arbeiten. Rund 10 Prozent der Betriebe in unseren Branchen sind bereits jetzt akut von Insolvenz bedroht. Das trifft über 100.000 Beschäftigte, die schnell in die Arbeitslosigkeit fallen könnten. Noch können wir gegensteuern. Tun wir es nicht, kann es zu einer Spirale nach unten kommen.

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Kann die Industrie überhaupt die Autos liefern, mit denen wir ökologisch einen Sprung nach vorn machen – oder käme die neue Abwrackprämie dafür in Wahrheit nicht drei Jahre zu früh?

Es stimmt: Die Automobilindustrie kann gerade kaum mehr an E-Autos in den Markt bringen als sie es bereits tut. Dafür muss etwa auch die europäische Batteriezellenproduktion in den nächsten zwei Jahren noch einen gehörigen Sprung nach vorn machen. Und die Politik muss noch entschiedener den Ausbau der Ladeinfrastruktur mit grünem Strom nach vorne bringen.

Mit anderen Worten: Die Konzerne haben es selbst verbockt.

Ja, die Autokonzerne haben Entwicklungen verschlafen. Wir könnten und sollten jetzt weiter sein. Aber es geht jetzt darum, Menschen den Arbeitsplatz zu retten und gleichzeitig die Klimaschutzziele zu unterstützen. Wir können die Weltwirtschaftskrise nun mal nicht nach hinten verlegen, bis die Rahmenbedingungen für mehr Elektrifizierung gegeben sind. Es geht hier nicht um ein Wünsch-Dir-Was, sondern um unmittelbar wirksame Schritte, die Konjunktur aus der Krise zu führen.

Die Verkäuferin und die Krankenschwester finanzieren dann mit ihren Steuern Kaufprämien für Autos, die sie sich selbst nicht leisten können.

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Wir brauchen eine funktionierende Industrie als Grundlage, um unseren Staat und auch den Sozialstaat finanzieren zu können. Das betrifft uns alle – auch die Krankenschwester. Es ist nicht in Ordnung, hier Beschäftigte gegeneinander auszuspielen.

Ich glaube, eine Summe von mindestens 300 Euro pro Kind würde den Familien wirklich helfen.

Jörg Hofmann,

IG Metall

In der Krise geht es auch um Hilfen für die Familien. Die SPD will 300 Euro Familienbonus pro Kind als Einmalzahlung durchsetzen, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet schlägt sogar 600 Euro vor. Bieten Sie mehr?

Ganz egal, wer das vorschlägt: Ich glaube, eine Summe von mindestens 300 Euro pro Kind würde den Familien wirklich helfen. Denn die Eltern haben ja durch die geschlossenen Kitas und Schulen einiges stemmen müssen. Wir sind hier aber auch nicht auf dem Basar. Das hierfür zur Verfügung stehende Volumen muss sich einordnen in ein Gesamtvolumen des Konjunkturpakets.

Würde der Staat das Geld nicht ohnehin besser in Betreuung und Bildung investieren?

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Der Staat kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Es ist gut, dass die Koalition jetzt die Lohnersatzleistung für Eltern, die wegen geschlossener Kitas und Schulen nicht zur Arbeit gehen können, verlängert hat. Doch die Höhe von 67 Prozent des Nettolohns und die Deckelung bei rund 2000 Euro ist ein starker Eingriff in das Familieneinkommen – unverschuldet von den Beschäftigten. Und dann ist die Sache auch noch mies administriert. Es ist alles andere als leicht, das Geld überhaupt zu bekommen und Rechtssicherheit herzustellen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollen ein Milliardenpaket für Europa schnüren. Unterstützen Sie Merkel darin?

Ganz nüchtern betrachtet: Wir werden keinen nationalen Aufschwung hinbekommen, ohne dass Europa wieder auf die Beine kommt. Die Verflechtung der Märkte ist zu eng. Es ist im Eigeninteresse Deutschlands, die Länder zu stützen, die gravierend stärker als wir betroffen sind. Unser Wohlstand beruht auf Europa. Deshalb ist es richtig, wenn die Kanzlerin sichtbar macht: Wir wollen solidarisch sein.

Die große Koalition hat sich vor längerer Zeit über die Grundrente verständigt – die Union blockiert aber bislang die Verabschiedung des Gesetzes. Müssen solche Ausgaben jetzt nicht tatsächlich noch mal auf den Prüfstand?

Das entschlossene Handeln der Regierung in der Krise war richtig. Und es ist auch vollkommen in Ordnung, dass die schwarze Null vom Tisch ist. Wir dürfen uns nicht kirre machen lassen von den neuen Schulden. Wir können das über 30 und mehr Jahre verteilt gut tilgen. Die stärkeren Schultern sollten dabei deutlich mehr tragen als die Schwachen. Die künftige Grundrentnerin darf dabei nicht die Leidtragende sein.

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