Großbritannien und das Nordirland-Protokoll: Ein vermasselter Coup?
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Rishi Sunak (M), Premierminister von Großbritannien.
© Quelle: Jessica Taylor/UK Parliament/PA
London. Eigentlich war alles schon geplant. Am vergangenen Dienstag wollte der britische Premierminister Rishi Sunak einen überarbeiteten Deal zum Nordirland-Protokoll als Teil des Brexits-Abkommens im Parlament vorstellen. Ein großer Durchbruch im Streit zwischen London und Brüssel stand bevor, so der allgemeine Eindruck.
Doch es kam anders – wie so häufig in der Brexit-Saga. Sunak erhielt in den vergangenen Tagen Gegenwind von der unionistischen „Democratic Unionist Party“ (DUP) in Nordirland sowie den Euroskeptikern in den eigenen Reihen der Tory-Partei. Das Abkommen mit Brüssel geriet ins Stocken. Es sieht so aus, als würde er nun frühestens kommende Woche verkündet – wenn überhaupt. Wie konnte es so weit kommen?
Sunaks gescheiterter Deal: Wie konnte es soweit kommen?
Ein britischer Regierungschef, der die Kabinettsmitglieder in stundenlangen, zähen Sitzungen von einem Deal mit der EU zu überzeugen versucht? Vielen Beobachtern auf der Insel kommt das Szenario bekannt vor. Tatsächlich wirkten die Verhandlungen zum Nordirland-Protokoll wie ein Déjà-vu. „Wie David Cameron und Theresa May vor ihm scheint Sunak einen Kompromiss vereinbart zu haben, den er ungern in den eigenen Reihen anspricht“, erklärte Anand Menon von der Denkfabrik „UK in A Changing Europe“. In anderen Worten: Der Premier bezog die DUP sowie die „European Research Group“ (ERG), eine mächtige Gruppe von konservativen Brexit-Hardlinern, vergangene Woche erst ein, als die Verkündigung des überarbeiteten Gesetzestextes kurz bevor stand. Vielleicht, so vermutete Ulrich Hoppe von der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer, um eine Einigung zu beschleunigen.
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© Quelle: dpa
Statt sich unter dem Druck zu beugen, begehrten die Brexit-Hardliner auf, auch weil sie sich übergangen fühlten. Sunak buhlt nun insbesondere um die Zustimmung der DUP. Die Erzkonservativen aus dem Norden fordern unter anderem, dass es keine effektive Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien gibt und dass die Bevölkerung bei Gesetzen, die in dem Landesteil gelten, mitreden kann. Ihr Druckmittel: die politische Stabilität des ohnehin fragilen Landesteils. Sie drohen damit, die Regierungsarbeit mit der Sinn-Fein-Partei nicht aufzunehmen. Der Parteivorsitzende der DUP, Sir Jeffrey Donaldson, sagte nach einem Besuch Sunaks in Belfast am vergangenen Donnerstag, dass „Fortschritte erzielt wurden“, aber „noch einiges an Arbeit erforderlich sei“, um eine Einigung zu erzielen.
Nordirland-Protokoll: Eine Einigung ist bislang nicht in Sicht
Im Zuge des Nordirland-Protokolls wurde die Zollgrenze zwischen Nordirland auf der einen, und Schottland, England und Wales auf der anderen Seite in die Irische See verlegt. Damit sollten sichtbare Kontrollen zwischen Nordirland und Irland verhindert und so der Frieden in der Provinz gesichert werden. London hatte den Vertrag mit der EU 2019 ausgehandelt und unterschrieben, verschob die vollständige Einführung des Protokolls jedoch immer wieder – und somit auch damit verbundene Probleme, wie beispielsweise die zusätzliche Bürokratie. Der überarbeitete Deal mit der EU soll die Überführung von Waren von Großbritannien nach Nordirland vereinfachen und sieht möglicherweise vor, dass bei den meisten Streitfällen irische oder britische Gerichte eingeschaltet werden.
Doch eine Einigung ist bislang noch nicht in Sicht. Schließlich wurde Sunak auch durch Ex-Premier Boris Johnson unter Druck gesetzt. Er drohte mit einer Rebellion innerhalb der konservativen Partei. Im Mittelpunkt steht dabei der Streit um ein im vergangenen Sommer eingebrachter Gesetzentwurf, der es London ermöglichen würde, die bestehende Nordirland-Abmachung eigenmächtig aufzukündigen. Mehrere Tory-Politiker, unter ihnen Innenministerin Suella Braverman, wollen ihn nicht aufgeben. Manche Minister drohten sogar mit ihrem Rücktritt. „Ich weiß nicht, warum so viel politisches Kapital investiert wurde, ohne vorher die DUP und die ERG mit einzubeziehen“, sagte der erzkonservative frühere Wirtschaftsminister und Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg.
Das Paradoxe daran: „Da es sich nicht um einen neuen Deal handelt, braucht Sunak eigentlich weder die Zustimmung der DUP noch der ERG“, betonte Menon. Und auch wenn er das Parlament darüber abstimmen ließe, wäre die Mehrheit der Abgeordneten auf seiner Seite. Schließlich hatte Labour-Chef Keir Starmer schon vor einigen Tagen klargemacht, dass seine Partei den Premier unterstützen werde. Dass die Brexit-Hardliner die Debatte dennoch so stark prägen, zeigt, wie prekär die Stellung des Parteichefs ist. „Er muss umsichtig vorgehen, sonst droht eine Regierungskrise“, betonte Menon.