Macrons Reform und der Zorn der Massen
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Aus Protest gegen die geplante Rentenreform der französischen Regierung ist die Müllabfuhr in den Streik getreten.
© Quelle: Alain Jocard/AFP/dpa
Paris. Fiktive Politikszenarien seien nichts für ihn, antwortete Emmanuel Macron vor ein paar Tagen auf die Frage eines Journalisten, ob seine unpopuläre Rentenreform per Dekret verordnet werde, falls sie bei den Abgeordneten durchzufallen drohe.
„Das Parlament wird den Vorgaben unserer Verfassung folgen, um einen Gesetzestext zu Ende zu bringen – nicht mehr und nicht weniger“, so der französische Präsident, bei dem alles so klar und sachlich klang. Doch nichts ist klar im Kampf um diese Reform, die rund 70 Prozent der Menschen in Frankreich ablehnen.
Diese Woche wird entscheidend für sie, aber auch für die Regierung und Macron selbst sein. Das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anzuheben war sein Hauptversprechen im Wahlkampf vor einem Jahr, manche würden auch sagen: seine einzige nennenswerte Ankündigung.
Sondersysteme abschaffen
Parallel dazu will der Präsident die bereits laufende schrittweise Anhebung der Einzahldauer für eine abschlagsfreie Pension auf 43 Jahre beschleunigen und mehrere Sondersysteme für bestimmte Berufsgruppen abschaffen.
Doch es ist ein heikles Unterfangen. Möglicherweise wird die Regierung in letzter Minute auf eine finale Abstimmung im Parlament verzichten, weil die Gefahr einer Ablehnung zu groß ist. Über den Sonderparagrafen 49.3 der Verfassung kann sie das Gesetz stattdessen verordnen. Doch der Imageschaden wäre gewaltig.
Unerwünschte Rentenreform: erneute Proteste in Frankreich
Das Innenministerium bezifferte die Zahl der Demonstrierenden auf rund 370.000. Gewerkschaften hatten dagegen bis zu eine Million Menschen erwartet.
© Quelle: Reuters
Außerdem müsste Premierministerin Élisabeth Borne dies mit der Vertrauensfrage verknüpfen. Im schlimmsten Fall könnte sie sogar stürzen. Sie selbst betont seit Monaten, dass sie den verhassten, als antidemokratisch gegeißelten Paragrafen 49.3 nicht anwenden will, sondern auf erfolgreiche Überzeugungsarbeit setze.
Insgesamt 20.000 Änderungsanträge
Am Samstag konnte die Regierungschefin vorerst aufatmen, denn der von den Republikanern dominierte Senat segnete die Reform mit 195 Stimmen zu 112 Stimmen ab. In der Nationalversammlung war es zuvor zu keiner Abstimmung gekommen, da die Debatten zeitlich begrenzt waren, aber von den insgesamt 20.000 Änderungsanträgen erheblich verlangsamt wurden. Eingebracht hatte sie überwiegend die Linkspartei.
Am Mittwoch soll sich nun eine Vermittlungskommission aus jeweils sieben Abgeordneten jeder Parlamentskammer auf einen Kompromiss einigen, über den am Donnerstag definitiv abgestimmt wird. Doch der Ausgang des Votums in der Nationalversammlung bleibt ungewiss.
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Premierministerin Élisabeth Borne
© Quelle: Reuters
Macrons Partei Renaissance und ihre Verbündeten haben dort bei den Parlamentswahlen im letzten Juni die absolute Mehrheit verloren. Jetzt sind sie auf die Stimmen der Republikaner angewiesen.
Diese traten zwar seit Jahren für die Rente mit 65 ein, sind nun aber gespalten. Viele wollen Macron nicht entgegenkommen, der ihre Partei massiv geschwächt hat. Sie treibt reiner Opportunismus, um wiederum die Regierung in Bedrängnis zu bringen.
Druck durch Widerstand auf der Straße
Diese ist zudem unter Druck durch den Widerstand auf der Straße. Sehr viele Menschen empfinden das Gesetz als ungerecht, weil es mit der Rente an eine für sie heilige soziale Errungenschaft geht. Doch die Regierung hat auch viel Vertrauen verspielt, indem sie behauptete, die Reform sei gerecht, da sie jenen entgegenkomme, die besonders früh ins Berufsleben einstiegen oder beispielsweise durch Mutterschaft unterbrochene Karrieren hätten.
Studien widerlegten diese Versprechen seither. Zurück blieb der Eindruck einer Regierung, die den Menschen aus ideologischen Gründen Härten auferlegt. Das Argument, dass ein ausgeglichenes Rentensystem im Sinn aller künftigen Generationen ist, verfing nicht. Heute findet der achte große Streik- und Protesttag statt.
Ob der Widerstand schwindet, sobald die Reform beschlossen ist, weiß keiner. Vor allem auf das Wie kommt es an: Zückt Premierministerin Borne letztlich doch den Paragrafen 49.3, wird die Wut der Menschen immens sein. Es wären schlechte Voraussetzungen für die vier Jahre im Amt, die Macron noch bleiben. Und für die Wahl 2027, bei der die Extremen, vor allem auf der Seite der Rechten, noch weiter zulegen könnten.