Flucht aus Ukraine hält an: Ist Deutschland vorbereitet?
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21.03.2022 , Am Bahnhof der polnischen Kleinstadt Przemysl kommen weiterhin jeden Tag tausende mit Zügen geflüchtete Menschen aus der Ukraine an. Hier erreicht ein Zug aus Lwiw Lviv Lemberg den Bahnhof.
© Quelle: IMAGO/Reichwein
Berlin. Nach vier Wochen Krieg tut sich die Bundesregierung immer noch schwer damit, das Ausmaß der Fluchtbewegung aus der Ukraine nach Deutschland einzuschätzen. „Noch ist völlig unklar, wie viele Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine bei uns Zuflucht suchen werden. Wir wissen nur: Es werden viele sein“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag.
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Auch wie viele vor dem Krieg Geflüchtete sich bereits in Deutschland aufhalten, ist nach wie vor unbekannt. Die Aufnahme und Unterbringung der geflüchteten Ukrainer liegt grundsätzlich in der Zuständigkeit der Länder. Bei der Verteilung ist allerdings auch der Bund gefragt.
„Wir haben noch keine Zahlen darüber, wie viele jetzt tatsächlich in welchem Bundesland untergekommen sind“, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Maximilian Kall. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe noch keine Übersicht, wie viele der vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geflohenen Menschen sich mittlerweile in den Erstaufnahmeeinrichtungen aufhielten.
Wie das Bundesinnenministerium mitteilte, hat die Bundespolizei seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine die Ankunft von 238.932 Kriegsgeflüchteten festgestellt. Ukrainer dürfen allerdings ohne Visum einreisen - die Zahl der Angekommenen ist daher wahrscheinlich insgesamt höher. Nicht erfasst wird außerdem, wie viele Geflüchtete von Deutschland aus weiterreisen zu Freunden oder Verwandten in anderen Staaten. Nachdem in der Vorwoche täglich über zehntausend neu eingetroffene Geflüchtete festgestellt worden waren, erfasste die Bundespolizei in den vergangenen zwei Tagen jeweils rund 7.000 Neuankömmlinge.
Scholz betonte: „Die Flüchtlinge sind hier bei uns willkommen.“ Deutschland werde helfen. Die Bundesregierung sei dafür auch zu zusätzlichen Maßnahmen bereit.
Um mehr Sicherheit für Geflüchtete zu gewährleisten, sei die Möglichkeit einer Registrierung der Anbieter von Unterkünften auf der Website unterkunft-ukraine.de geschaffen worden, teilte das Bundesinnenministerium mit. Eine Abholung der Geflüchteten sei nur nach einer Vor-Ort-Identifizierung durch Vorlage des Personalausweises möglich. Die Polizeibehörden von Bund und Ländern seien wachsam, um mögliche Fälle von Ausbeutung im Zusammenhang mit der Lage der Flüchtenden zu verhindern. „Es liegen bislang aber keine bestätigten Informationen über konkrete Menschenhandelsverdachtsfälle oder ausbeuterische Handlungen zum Nachteil von in Deutschland ankommenden Frauen aus der Ukraine vor“, berichtete eine Sprecherin auf Anfrage.
Union fordert: Hilfe von Geflüchteten soll „Chefsache“ Scholz‘ werden
Es habe nun absolute Priorität, für eine faire Verteilung in der gesamten EU zu sorgen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Zwar gebe es einen Schulterschluss zur gemeinsamen Aufnahme der Geflüchteten in allen EU-Staaten. Doch diese Vereinbarung müssten „jetzt auch alle gemeinsam umsetzen“. Zudem kündigte sie an, am Donnerstag mit den Innenministern der G7-Staaten darüber zu sprechen, „wie Geflüchtete auch in Staaten außerhalb der EU wie Kanada, den USA und Japan Schutz finden können“.
Scholz sagte, Faeser gehe die große Aufgabe, den Ukraine-Geflüchteten Schutz zu gewähren, entschlossen an. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Dorothee Bär (CSU) kritisierte hingegen, die Bundesregierung habe sich nicht darauf vorbereitet, die Aufnahme jener Menschen zu koordinieren, „die den Schutz vor den Bomben suchen“ Bär sagte: „Herr Scholz, ich erwarte, dass Sie das jetzt mal zur Chefsache machen.“ Dass es bislang nicht gelinge, die ankommenden Ukrainer und die sie hier abholenden Menschen zu registrieren, sei ein „Kontrollverlust“.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks haben seit Kriegsbeginn rund 3,6 Millionen Menschen die Ukraine verlassen. Kein anderes Land hat bisher so viele Ukraine-Flüchtlinge aufgenommen wie das Nachbarland Polen, wo nach Angaben des Grenzschutzes mehr als 2,17 Millionen Flüchtlinge eingetroffen sind. Allein am Dienstag waren es demnach rund 31.000 Menschen. Es gibt keine offiziellen Angaben dazu, wie viele der Kriegsflüchtlinge in Polen geblieben und wie viele bereits in andere EU-Staaten weitergereist sind. Die Ukraine - flächenmäßig das größte Land in Europa - hatte vor Beginn des russischen Angriffs mehr als 44 Millionen Einwohner.
RND/dpa