Wie die ukrainische First Lady Olena Selenska die Herzen ihrer Landsleute gewann
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Olena Selenska, Ehefrau des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, spricht vor Kongressmitgliedern auf dem Capitol Hill in Washington D. C.
© Quelle: Saul Loeb/AFP Pool/AP/dpa
„Wenn er eines Tages sagen würde: ‚Okay, ich werde als Astronaut ins All fliegen‘, dann müsste ich mit ihm fliegen“, sagte Olena Selenska Anfang Juni in einem Interview mit dem amerikanischen TV-Sender ABC. Und ein bisschen beschreibt dieser Satz das Leben der 44-Jährigen mit ihrem gleichaltrigen Ehemann Wolodymyr Selenskyj in den vergangenen Jahren.
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Denn als die beiden in den 90er-Jahren in ihrer Heimatstadt Krywyj Rih in der südlichen Ukraine ein Paar wurden, war natürlich nicht abzusehen, welche geradezu schicksalhafte Rolle dem Paar zugedacht war: Sie studierte Bauingenieurwesen, er Rechtswissenschaften in der Hauptstadt Kiew.
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Wolodymyr Selenskyj (rechts) als Wassyl Petrowitsch Holoborodko, Präsident der Ukraine, in einer Szene aus „Diener des Volkes“.
© Quelle: picture alliance/dpa/Arte
2003 heirateten sie, da tingelte Wolodymyr bereits mit der von ihm gegründeten Kabarettgruppe Kwartal 95 durch das sprachverwandte Universum der ehemaligen Sowjetunion. Sie schrieb die Drehbücher, gründete zusammen mit ihrem Mann später die TV-Gesellschaft, die ihn mit der sehr erfolgreichen Fernsehserie „Diener des Volkes“ weit über die Grenzen der Ukraine hinaus berühmt machte.
Geburt der Tochter 2004
Mit Geburt der Tochter Oleksandra im Jahr 2004 und des Nachzüglers Kyrylo 2013 schien ein normales Leben an der Seite eines in der Ukraine gefeierten Schauspielers und Comedians vorgezeichnet. Doch es kam anders.
Weil Selenskyjs beißende Satire sowie seine Parodien korrupter ukrainischer Politiker – wie jene des ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch – die Realität kopierten und einen Nerv dieses bereits 2014 von Russland angegriffenen und in seiner Substanz bedrohten Landes trafen, konnte er dem öffentlichen Wunsch, selbst in die Politik einzusteigen, irgendwann nicht mehr widerstehen.
Ob Selenskyj es wirklich ernst meinte, als er 2019 kandidierte, oder das als Krönung seines kabarettistischen Gesamtkunstwerks ähnlich dem Italiener Beppo Grillo sah – es ist nicht überliefert. Auch nicht, wie er sich Olena Selenskas Zuspruch zu diesem Streich abkaufen ließ. Fakt ist, dass er im April 2019 die Stichwahl gewann – und Olena Selenska sich plötzlich in der Rolle der First Lady des Landes wiederfand.
Später erzählte sie eher beiläufig, spät von der Kandidatur ihres Mannes erfahren und obendrein diese mit Blick auf die Erfolgsaussichten nicht besonders ernst genommen zu haben – doch da war es bereits zu spät. Rote Teppiche, Damenprogramme?
Darauf hatte sie keine Lust – „Ich schreibe die Drehbücher wie früher“, verriet sie damals der „Vogue“. „Aber jetzt muss man seinen Tag zwischen dem Büro des Präsidenten und dem Quartier aufteilen und sich an den Zeitplan halten.“
Jill Biden und der kanadische Premierminister Trudeau besuchen die Ukraine
Justin Trudeau teilte mit, dass Kanada weiterhin Waffen und militärische Ausrüstung an die Ukraine liefern wird.
© Quelle: Reuters
Sie hielt sich im Hintergrund, setzte ihre eigenen Themen im Rahmen der üblichen First-Lady-Charity: „Gesundheit der Kinder, Chancengleichheit für alle Ukrainer und Kulturdiplomatie.“ Doch der Krieg veränderte alles, auch für Olena Selenska, die so gern unauffällig, unbekannt, unsichtbar geblieben wäre.
Zumindest Letztgenanntes wurde in den ersten Kriegswochen zur wichtigsten Überlebensstrategie, galt sie mit ihren beiden Kindern doch als das „Ziel Nummer zwei“ der russischen Aggressoren, hieß es vom Präsidenten, der war nämlich „Ziel Nummer eins“.
Während Wolodymyr Selenskyj in Kiew blieb, mussten seine Frau und die beiden Kinder sich verstecken. Freunde in Europa hätten ihr angeboten, sie für die Dauer des Krieges aufzunehmen, schreibt „Time“. Aber Selenska und ihre Kinder seien in der Ukraine geblieben. Sie seien gezwungen gewesen umherzuziehen, um der Gefahr eines Angriffs zu entgehen.
Ich bin ein nichtöffentlicher Mensch. Aber die neuen Realitäten erfordern ihre eigenen Regeln.
Olena Selenska,
First Lady der Ukraine
Während Wolodymyr Selenskyj in jenen ersten Kriegswochen über sich hinauswuchs, indem er zum Kraftquell des ukrainischen Widerstands wurde, indem er motivierte und im Ausland mit charismatischen Reden Unterstützung mobilisierte, erwuchs daraus auch für Olena Selenska eine neue Rolle. „Ich bin ein nichtöffentlicher Mensch. Aber die neuen Realitäten erfordern ihre eigenen Regeln, und ich versuche, sie einzuhalten“, gestand sie der „Vogue“.
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Jill Biden (links), First Lady der USA, erhält bei ihrem Besuch in der Ukraine Blumen von Olena Selenska, der Ehefrau von Präsident Selenskyj.
© Quelle: Susan Walsh/AP Pool/dpa
Ihrer enormen Wirkung wurde sie sich erstmals bewusst, als sie Anfang Mai die Gattin des US-Präsidenten, Jill Biden, in Lwiw (Lemberg) im Westen des Landes traf. Es war ein Durchbruch. Beide Frauen verstanden sich blendend, ein Gegenbesuch in Washington wurde vereinbart.
„Ich habe für mich selbst Gründe gefunden, die für die Öffentlichkeitsarbeit sprechen. Einer davon ist die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Menschen auf wichtige gesellschaftliche Themen zu lenken“, begründete sie.
Rede im Kongress am Mittwoch
Am Mittwochabend sprach sie auf Einladung der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, auch vor Mitgliedern des US-Kongresses. Eindringlich bat Selenska um mehr Waffen und speziell um Luftabwehrsysteme.
Sie warf Russland einen „Terrorkrieg“ gegen ihr Land vor und ließ Bilder getöteter ukrainischer Kinder zeigen. Und sie dankte den USA: „Während Russland tötet, rettet Amerika“, so Selenska.
Sie vermied drastische Formulierungen, sprach nicht wie ihr Mann von Völkermord oder Holocaustvergleichen. Indem sie beklagte, dass den Ukrainern Normalität vorenthalten werde, erreichte sie jene Amerikanerinnen und Amerikaner, für die diese Normalität eine Selbstverständlichkeit ist:
Wird mein Sohn im Herbst in seine Schule zurückkehren können?
Olena Selenska
„Wird mein Sohn im Herbst in seine Schule zurückkehren können? Ich weiß es nicht, wie Millionen von Müttern in der Ukraine. Wird meine Tochter in der Lage sein, zu Beginn des akademischen Jahres an die Universität zu gehen und ein normales Studentenleben zu führen? Das kann ich nicht beantworten. Worauf sollen sich ukrainische Lehrer vorbereiten – in Klassenzimmern zu arbeiten oder in Bunkern? Wir hätten Antworten, wenn wir Luftabwehrsysteme hätten.“
Von den Abgeordneten gab es tosenden Applaus. US-Präsident Joe Biden überreichte ihr einen Strauß mit Sonnenblumen – der ukrainischen Nationalblume.
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