Feierstunde im Krisenschatten: Wie Steinmeier nach seiner Wiederwahl Putin warnte
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nach seiner Wiederwahl deutliche Worte in Richtung Moskau gefunden.
© Quelle: imago images/photothek
Berlin. Der Bundespräsident hat die Macht des Wortes, also spricht das mit übergroßer Mehrheit wiedergewählte Staatsoberhaupt direkt nach seiner Antrittsrede in die zweite Amtszeit ein erstes Machtwort: „Mitsummen ist erlaubt“, ruft Frank-Walter Steinmeier der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) zu, nachdem diese die Hunderten Delegierten der Bundesversammlung gebeten hat, bei der abschließenden Nationalhymne aus Pandemiegründen „möglichst“ nicht mitzusingen.
Es ist einer der wenigen heiteren Momente dieser Bundespräsidentenwahl, die am Sonntagnachmittag zwar unter hellblauem Berliner Winterhimmel abläuft und erwartbar ausgeht, die aber gleich von mehreren Krisen überschattet wird: Die Corona-Pandemie hatte die fast 1500 Wahlleute – eine Rekordzahl – erstmals aus dem Plenarsaal des Bundestages vertrieben. Unter Abstandsregeln und Testpflicht kamen die Delegierten im benachbarten Paul-Löbe-Haus zusammen, geselliges Beisammensein entfiel.
Steinmeier mit deutlichen Worten in Richtung Moskau
Doch akuter als die planbaren Corona-Regeln legen sich am Sonntag die Sorgen um den Frieden in der Ukraine über Deutschlands größte parlamentarische Zusammenkunft, die – im Normalfall – alle fünf Jahre allein zur Wahl des Staatsoberhauptes zusammenkommt. Steinmeier, 66, wird im ersten Wahlgang wiedergewählt – als erst fünfter Bundespräsident der bundesdeutschen Geschichte mit einer zweiten Amtszeit.
Er geht nach ein paar kurzen Dankesworten sehr schnell und noch ehe er etwa Corona anspricht in sehr deutlichen Worten auf die Krise im russisch-westlichen Verhältnis ein: „Man mag viel diskutieren über die Gründe für wachsende Entfremdung zwischen Russland und dem Westen“, sagt der langjährige Außenminister und frühere SPD-Politiker, der sein Parteibuch als Bundespräsident ruhen lässt. „Nicht diskutieren kann man dies: Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Osteuropa. Dafür trägt Russland die Verantwortung.“
So klare Schuldzuweisungen scheuen viele in der SPD. Auch Steinmeier selbst hatte als Außenminister noch 2016 angesichts der Nato-Militärmanöver und der Truppenstationierung in Osteuropa vor einem Abschreckungskurs gegenüber Russland gewarnt sowie davor, „durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen“. Wie zerrissen die Partei ist, zeigte sich zugleich darin, dass die CDU zwar Angela Merkel als Wahlfrau einlud – der andere lebende Altkanzler, Putin-Freund Gerhard Schröder, aber nicht eingeladen war.
Bas geht auf Auswirkungen der Corona-Krise ein
Auch die Worte, die Bundestagspräsidentin Bas in ihrer Eröffnungsrede wählt, klingen weniger drohend als Steinmeiers, der unter anderem die deutsche Bündnistreue zu Nato und EU herausgestrichen hatte. Bas hatte betont, die Europäer seien nach dem Leid zweier Weltkriege „zum Frieden verpflichtet“: „Nutzen wir alle Möglichkeiten der Diplomatie, um die Gefahr eines Krieges zu bannen. Jeder Krieg kennt nur Verlierer!“
Überhaupt nutzt Bas die Gelegenheit ihrer ersten großen Rede nach dem Antritt im zweithöchsten Staatsamt: Die Corona-Pandemie habe Deutschland im doppelten Sinne befallen, klagt sie etwa: „Scheinbar unversöhnlich stehen sich Menschen gegenüber, die unterschiedliche Einstellungen haben. Die Stimmung im Land, in Familien und Freundeskreisen leidet darunter. Dagegen hilft kein Impfstoff.“ Sie ruft die Politiker auf, schwindendes Vertrauen ernst zu nehmen und sich zu hinterfragen – verteidigt sie jedoch auch gegen populistische Angriffe.
Die Bedeutung der Pandemie zeigt sich an in der Liste der „Personen des öffentlichen Lebens“ in der Bundesversammlung: Nie zuvor fand man dort so viele Pflegekräfte, Ärzte und natürlich auch Virologen auftauchen wie in diesem Jahr: Intensivpfleger Ricardo Lange hat ebenso mitgewählt wie Virologieprofessor Christian Drosten und und Biontech-Mitgründerin Özlem Türeci.
Wahl: Achtungserfolg für die einzige Frau im Rennen
Auch Frank-Walter Steinmeier hatte bereits in seiner ersten Antrittsrede vor fünf Jahren vor den Autokraten in aller Welt gewarnt und die Deutschen zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen. Beides wiederholt er nun, nach außen namentlich an die Adresse des russischen Präsidenten Wladimir Putin, nach innen an alle Feinde der Demokratie: „Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben“, gehört zu seinen ersten Sätzen nach der Wiederwahl.
Dass er diese im ersten Wahlgang schaffen würde, war vorab klar: Wie schon 2017 war Steinmeier der Kandidat von Union, SPD, Grünen und FDP. Die absolute Mehrheit von 737 Stimmen übertrifft er sofort um gut 300 Stimmen – auch wenn es mehr als 100 Delegierte des Steinmeier-Lagers gibt, die seine Herausforderer wählen.
Die vorab mit Spannung gestellte Frage, wie viele Konservative ohne AfD-Parteibuch für deren als „bürgerlich-konservative Alternative“ aufgestellten Kandidaten Max Otte votieren, ein CDU-Mitglied von deren rechtem Rand, geht für die AfD enttäuschend aus: Otte bekommt 140 Stimmen, sieben mehr als AfD-Wahlleute.
Einen Achtungserfolg erzielte dagegen die einzige Frau im Rennen, die Astrophysikerin und Kommunalpolitikerin Stephanie Gebauer von den Freien Wählern, die zwei Drittel ihrer 58 Stimmen von anderen Parteien erhielt. Auch der parteilose Kandidat der Linken, der Sozialmediziner Gerhard Trabert erhielt fast 30 über die Linken-Stimmen hinaus.
„Packen wir die Zukunft bei den Hörnern!“
Ungewöhnlich für eine Antrittsrede: Steinmeier dankt seinem Herausforderer Trabert für dessen Kandidatur und lädt ihn zu Gesprächen über und zum gemeinsamen Einsatz für dessen Herzensthema, die Bekämpfung der Obdachlosigkeit ein.
Im Zentrum seiner Rede – und, wie Steinmeier ankündigt, auch seiner zweiten Amtszeit – steht jedoch die Verteidigung der Demokratie, die doch die besten Lösungen aller Probleme hervorbringe. Das gelte für die Pandemie, die die Autokraten viel schlechter bekämpft hätten, wie für die „Überlebensfrage der Menschheit“, den Klimawandel.
Im Vorfeld der Wahl war Steinmeier oft ermuntert worden, doch mutiger bei Wortwahl und Themensetzung zu sein. Dem will er wohl nachkommen: „Seien wir nicht ängstlich“, schließt er am Sonntag seine Antrittsrede. „Packen wir die Zukunft bei den Hörnern!“
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RND