FDP, Grüne und SPD sprechen über Ampelkoalition: Diese Streitpunkte werden heute wichtig
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Nun ist es offiziell: Die Spitzen von Grünen, SPD und FDP wollen über eine Ampelkoalition für Deutschland sprechen.
© Quelle: Getty Iamges 2021/dpa/imago/RND-Montage Behrens
Berlin. Am heutigen Donnerstag wollen SPD, Grüne und FDP erstmals zu einem gemeinsamen Gespräch zusammenkommen. Es ist die erste Dreierrunde bei der Suche nach einer neuen Regierung. Sie sähen den Moment gekommen, verkünden die beiden Grünen-Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck am Mittwochmorgen. Das Land könne sich „keine lange Hängepartie leisten“, sagt Baerbock. Wenig später legt FDP-Parteichef Christian Lindner nach: „Wir haben den Vorschlag eines Gesprächs mit der SPD angenommen, um Gemeinsamkeiten zu prüfen, die unser Land nach vorne bringen.“
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Mit Blick auf ein mögliches Ampelbündnis sagte Habeck, die Einzelrunden der vergangenen Tage hätten gezeigt, „dass dort die größten inhaltlichen Schnittmengen denkbar sind“. Dies gelte vor allem für den Bereich der Gesellschaftspolitik. Doch auch der Ausgang möglicher Sondierungsgespräche mit SPD und FDP sei noch offen. Den Grünen sei klar, „dass der Keks noch lange nicht gegessen ist“. Es gebe da noch Lücken und erhebliche Differenzen. Zudem stelle der Vorschlag für Ampelsondierungen keine Komplettabsage an ein Jamaika-Bündnis mit Union und FDP dar.
Ampel: Streitpunkte und Gemeinsamkeiten
Der zentrale Streitpunkt zwischen SPD, FDP und Grünen dürfte die Steuer- und Arbeitsmarktpolitik werden, glaubt Politikwissenschaftler Stefan Marschall. Die SPD hat ihre rote Linien bereits klargemacht: Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ist für sie unumgänglich. Auch die Grünen sprechen sich dafür aus, nicht jedoch die FDP. Sie beharrt darauf, dass die unabhängige Mindestlohn-Kommission die genaue Höhe festlegt. Ob es hier zu einer Einigung kommen kann, ist unklar. Doch die SPD hat gute Chancen, sich durchzusetzen.
Die rote Linie der FDP ist die Absage an die Vermögenssteuer. Für die hatten sich zuvor die Grünen ausgesprochen, um verschiedene Investitionen finanzieren zu können. Auch die SPD hatte bisher eine Besteuerung hoher Vermögen versprochen. Die FDP will dagegen die Besserverdienenden entlasten, indem sie die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz anhebt. Außerdem will die FDP den Solidaritätszuschlag abschaffen und die Unternehmenssteuern auf 25 Prozent deckeln, die Gewerbesteuer sogar ganz abschaffen. Die Grünen wollen das Gegenteil: einen höheren Spitzensteuersatz und die Gewerbesteuer behalten. Eine mögliche Einigung: Die FDP verzichtet auf Steuersenkungen für Unternehmen, dafür rücken Grüne und SPD von der Vermögenssteuer ab. Der Spitzensteuersatz könnte angehoben werden, die Einkommensgrenze, ab wann dieser höhere Steuersatz greift, aber ebenfalls.
Nicht auf einer Linie sind die Parteien auch beim Thema Miete: Während SPD und Grüne eine Begrenzung der Mieterhöhungen fordern, fürchtet die FDP, dass dann weniger neue Wohnungen gebaut werden. Da zuletzt das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietpreisdeckel für verfassungswidrig erklärt hat, ist dieses Thema ohnehin ein heißes Eisen. Ob zumindest die Mietpreisbremse nachgeschärft wird, wie es die Grünen fordern, oder ein Mietenmoratorium nach SPD-Vorstellungen eingeführt wird, ist offen.
Teure Sozialpolitik von SPD und Grünen
Der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier erklärte zuletzt gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), dass die hohen Kosten der Wahlversprechen von SPD und Grünen für die FDP zum Problem werden könnten. „Die FDP will in keine Koalition mit Steuererhöhungen und zudem ist ihr die finanzpolitische Solidität wichtig“, sagte er dem RND. Auf die Beibehaltung der Schuldenbremse pocht die FDP, die Grünen wollen sie dagegen reformieren und mehr Investitionen ermöglichen. Da aber auch die SPD an der Schuldenbremse festhält, dürften sich die Grünen hier kaum durchsetzen können.
Im Fall einer Ampelkoalition müssten die Parteien also an anderer Stelle für finanziellen Spielraum sorgen, um die teuren Projekte Klimaschutz (Grüne) und Sozialpolitik (SPD und Grüne) umsetzen zu können. „Wird die FDP dies mitmachen?“, das ist laut Jun die entscheidende Frage einer Ampelkoalition.
Eine schnellere Erhöhung des CO₂-Preises ist bei den Grünen ein Muss. Sie wollen die Erhöhung auf 60 Euro zu 2023 vorziehen. Die FDP lehnt einen staatlich festgelegten CO₂-Preis aber grundsätzlich ab, die SPD fürchtet eine Spaltung, da sich manche den höheren Preis nicht leisten können – etwa bei einem höheren Spritpreis. Eine Einigung könnte zwar bei einer geringeren Erhöhung liegen. Doch die Grünen-Basis und Umweltverbände haben schon länger deutlich gemacht, dass der CO₂-Preis ohnehin viel zu gering für eine echte Lenkungswirkung ist. Die Grünen stehen daher unter Druck, hier zu einem vorzeigbaren Verhandlungsergebnis zu kommen.
Klimaschutz: Einigung bei Windenergie wahrscheinlich
Fraglich ist, wie viele Klimaschutzforderungen die Grünen am Ende durchsetzen können. Doch zumindest beim Ausbau der Windenergie gibt es viele Schnittpunkte. Mehr Flächen für Windkraft und vereinfachte Genehmigungsprozesse – dazu könnte sich auch die FDP durchringen. Sie will vor allem, dass die Bürokratie vereinfacht wird und erneuerbare Energie stärker in den freien Wettbewerb überführt werden. Da inzwischen auch weite Teile der deutschen Wirtschaft den Ausbau der erneuerbaren Energien fordern, findet dieses Anliegen auch bei der FDP Unterstützung.
Dass auch ein Tempolimit von 130 km/h bei einer Ampelkoalition kommen wird, gilt inzwischen als unwahrscheinlich. Die FDP hatte sich vehement gegen diese Forderung der Grünen ausgesprochen. Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, hatte bereits eingeräumt, dass man beim Thema Tempolimit möglicherweise verhandeln könne.
Einigung bei Cannabis und Wählen ab 16
Einigkeit herrscht zwischen SPD, Grünen und FDP in der Frage der Cannabis-Legalisierung. Alle drei Parteien sprechen sich für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene aus. Das Cannabis-Verbot würde mehr Probleme verursachen, als es löst.
Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre für Bundestagswahlen fordern ebenfalls SPD, FDP und Grüne.
Klar ist bei der Ampelkoalition, dass SPD und Grüne inhaltlich nah beieinander sind und im Falle einer Koalition Zugeständnisse an die FDP machen müssen. Doch Olaf Scholz ist als Wahlgewinner in einer starken Verhandlungsposition und die FDP könnte ihren Wählern plausibel verkaufen, dass sie den Umweltschutz sozialverträglich und wirtschaftsfreundlich durchsetzen möchte.