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Wie sinnvoll waren Lockdown & Co.?

Expertengremium mahnt: „Wir können es besser machen als in den letzten beiden Jahren“

Jutta Allmendinger (l-r), Soziologin, Hendrik Streeck, Virologe, Harald Wilkoszewski, Abteilungsleiter Kommunikation und Pressesprecher des WZB, und Helga Rübsamen-Schaeff, Virologin und Chemikerin, nehmen an einer Pressekonferenz des Sachverständigenausschuss zur Evaluation des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) teil.

Jutta Allmendinger (l-r), Soziologin, Hendrik Streeck, Virologe, Harald Wilkoszewski, Abteilungsleiter Kommunikation und Pressesprecher des WZB, und Helga Rübsamen-Schaeff, Virologin und Chemikerin, nehmen an einer Pressekonferenz des Sachverständigenausschuss zur Evaluation des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) teil.

Berlin. Die Expertenkommission zur Bewertung der bisherigen Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland hat am Freitag ihren Evaluationsbericht vorgestellt - und dabei vor allem die schlechte Datenlage bemängelt. Die Virologin und Infektiologin Helga Rübsamen-Schaeff betonte als stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses zwar direkt zu Beginn, es gehe um „keine Abrechnung mit der Politik“, sondern darum, eine „informierte und solide Grundlage“ für zukünftige Entscheidungen zu Maßnahmen und Strategien zu geben. Allerdings sei der Auftrag dadurch „erheblich erschwert“ worden, dass es seit Beginn der Pandemie nicht gelungen sei, „eine ausreichende und stringent begleitende Datenerhebung zu etablieren“, so Rübsamen-Schaeff.

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Die Expertinnen und Experten bemängelten auch deshalb, dass die Wirkungen und Nebenwirkungen einzelner bisheriger Schutzmaßnahmen in der Corona-Krise kaum für sich genommen zu beurteilen seien. Der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, Christoph Schmidt, konkret: „Wir wünschen uns eine bessere Datenlage.“ Die Aufgabe, dieses Ziel zu erreichen, müsse „Chefsache“ werden. Der aktuelle Missstand sei ein „Weckruf“.

Streeck: „Masken wirken“

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck sagte, es seien Maßnahmenbündel gleichzeitig ergriffen worden, die man nicht auseinanderrechnen könne. Generell könne man sagen: „Jede Maßnahme hat ihre Zeit“, sagte Streeck. So sei es gerade zu Beginn sinnvoll, eine Verbreitung in der Bevölkerung zu reduzieren, sagte er mit Blick auf Schließungen und Lockdown-Maßnahmen. Je länger dies dauere, desto geringer seien aber Effekte. Bei Zugangsregeln nur für Geimpfte, Genesene oder Getestete (3G/2G) seien Effekte von Virus-Varianten und Impfstoffen abhängig. Generell verpuffe Ansteckungsschutz sehr schnell wieder, machte er deutlich. Daher sollte man mit tagesaktuellen Tests arbeiten.

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Streeck betonte: „Masken wirken. Das muss man deutlich sagen.“ Wichtig sei aber, dass Menschen Masken auch tragen wollten. Im Bericht heißt es, eine schlecht sitzende und nicht eng anliegende Maske habe „einen verminderten bis keinen Effekt“. Der Virologe betonte jedoch: „Man kann das richtige Tragen aber nicht verordnen.“

Kommissionsmitglied fordert politischen Diskurs mit Bericht

Kommissionsmitglied Jutta Allmendinger forderte eine Auseinandersetzung der Politik mit dem Evaluationsbericht an, auch wenn die Datenlage - wie offen erklärt - nicht optimal sei. Es sei eine „Frage des Respekts“, dass man die Arbeit des Gremiums ernst nehme, sagte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). „Es muss keine Zustimmung geben, aber es muss einen Diskurs geben, mit dem, was wir hier vorlegen.“

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Um die Akzeptanz für potenzielle Maßnahmen im Herbst zu steigern, sei es aus Allmendingers Sicht für die Politik auch sinnvoll, sich offen zu entschuldigen: „Wir sollten schon in die Kameras sagen, dass wir es besser machen können, als wir es in den letzten zwei Jahren gemacht haben.“ Von zentraler Bedeutung sei dabei auch die Beantwortung der Fragen, warum und wie es besser laufen könnte, so die Soziologin.

Rechtsanspruch auf soziale Kontakte für Kinder?

Allmendinger forderte zudem einen Rechtsanspruch auf soziale Kontakte für Kinder. Es gebe starke Evidenzen, was Schulschließungen mit Kindern machten, sagte Allmendinger bei der Vorstellung des Gutachtens zur Evaluierung der Corona-Auflagen am Freitag in Berlin. Es gebe also Gewissheiten über psychische Auswirkungen. Folglich sei „so etwas wie ein Rechtsanspruch auf ein Mindestmaß an sozialen Kontakten“ nötig. Allmendinger stellte weiter heraus, dass es auch in den Familien insgesamt negative Auswirkungen durch Schulschließungen gegeben habe - etwa einen „Rückfall in alte Geschlechterrollen“ und ein „unglaubliches Ausmaß an mentaler Erschöpfung“.

Dem Sachverständigenausschuss gehören Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen an. Die Evaluation sollte im Auftrag des Gesetzgebers vor allem die Vorgaben im Rahmen der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ beleuchten. Diese vom Bundestag laut Infektionsschutzgesetz festgestellte Lage bestand über mehrere Monate bis Ende November 2021 und ermöglichte Schließungen zahlreicher Einrichtungen sowie Alltagsauflagen. In ihrem Evaluationsbericht zur Bewertung der bisherigen Corona-Schutzmaßnahmen hatte das Gremium eine gemischte Bilanz gezogen.

Mit Material der dpa

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