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Europas Grenzen: neue Zäune, neue Mauern

Polnische Soldaten errichten einen Stacheldrahtzaun entlang der polnisch-belarussischen Grenze.

Polnische Soldaten errichten einen Stacheldrahtzaun entlang der polnisch-belarussischen Grenze.

Berlin. 25 Iraker und Syrer drängen sich auf der Lade­­fläche eines Klein­trans­porters, den Zoll­beamte auf der Autobahn 12 kurz hinter der deutsch-polnischen Grenze bei Frank­furt (Oder) anhalten. Bundes­polizisten bringen die Männer in die Erst­aufnahme­einrichtung für Asyl­bewerber. Der Fahrer wird fest­genommen. Solche Berichte kommen inzwischen täg­lich von der deutsch-polnischen Grenze. Allein am vergangenen Wochen­ende wurden mehr als 400 Migranten von der Bundes­polizei in Grenz­nähe aufgegriffen. Bis zu 5000 könnten es im Verlauf des Oktobers werden.

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Die Menschen kommen meist aus den Kriegs- und Krisen­gebieten des Nahen und Mittleren Ostens. Über die bela­russische Haupt­stadt Minsk werden sie an die polnische Ost­grenze gebracht. Überall sind sie Spiel­ball der Politik. Der Minsker Macht­haber Alexander Luka­schenko betreibt mit ihnen ein zynisches Reise­geschäft: Flug­tickets, Touristen­visa und Weiter­transport gegen harte Devisen. Und er will durch eine neue Flücht­lings­welle die Euro­päische Union destabili­sieren.

Warschau zeigt eigene Härte

Die national­konservative Regierung in Warschau findet darauf ihre eigene Antwort: Nur die Entschlossen­heit polnischer Uniformierter schütze vor den Fremden, die der Diktator aufs Abend­land loslasse, gibt sie zu verstehen. Die in der polni­schen Haupt­stadt ansässige EU-Grenzpolizei Frontex ist an der Grenze unerwünscht. Forderungen nach weiteren Sank­tionen gegen Luka­schenko erhebt Polen zwar – wichtiger aber ist Geld für eine „ernst­hafte Barriere“ gen Osten.

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Warschau erklärt den Ausnahme­zustand, hält Helferinnen und Helfer, Journalistinnen und Journalisten aus dem Grenzgebiet fern – und steuert den Krieg der Bilder selbst. Mal ist dort ein Grenz­schutz­jeep unter einer kitschigen Morgen­röte in der Puczcza Bialo­wiezka zu sehen. Mal sind es Videos von Gruppen dunkel­haariger junger Männer, die einen Stachel­draht­aun einreißen wollen – auf der anderen Seite Uniformierte mit Sturm­hauben, die den Zaun wieder aufrichten. In Warschau gibt es bereits die ersten Demons­trationen gegen die inhumanen Maßnahmen der Grenz­truppen.

Was nicht ganz zu diesem Bild der Härte passt: Nur eine Minder­heit derjenigen, die diese Grenze überwinden, wird in Polen als Asyl­suchende registriert, die Mehr­heit lässt man gen Westen ziehen.

Dilovan aus Kurdistan und seine beiden Töchter in der Erst­aufnahme für Asyl­bewerber in Eisen­hütten­stadt. Sie kamen über Belarus und Polen nach Deutsch­land.

Dilovan aus Kurdistan und seine beiden Töchter in der Erst­aufnahme für Asyl­bewerber in Eisen­hütten­stadt. Sie kamen über Belarus und Polen nach Deutsch­land.

Sofort fordern die Ersten Grenz­kontrollen an Oder und Neiße. Nachdem die – dem Populismus oft nicht abgeneigte – Deut­sche Polizei­gewerk­schaft – vorgelegt hatte, zogen vornehm­lich AfD-Vertreter nach. Die Antwort auf die Frage, was das bringen solle, blieben sie schuldig. Bereits jetzt ist die Bundes­polizei mit Hub­schraubern, Wärme­bild­kameras und Pferde­staffel an der gesamten Länge der Grenze im Einsatz.

Die Flücht­linge wiederum laufen ihr oft direkt in die Arme – sie haben ihr Ziel erreicht, können Asyl beantragen und werden verpflegt und unter­gebracht. Nach Polen zurück­­geschickt würde auch niemand, der direkt auf der Grenz­brücke angehalten wird. Eine konkrete Rücknahme­vereinbarung fehlt.

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Im eng verflochtenen deutsch-polnischen Grenz­raum sind die Erinnerungen an die temporäre Schlie­ßung der Über­gänge im Corona-Jahr 2020 noch frisch. Niemand will diese Situation erneut erleben – auch die verantwort­lichen Politiker nicht.

Das Bundes­innen­ministerium greift dem überforderten Land Branden­burg nun unter die Arme und richtet eine zentrale Anlauf­stelle in Frank­furt (Oder) ein. Wie bereits an der Süd­grenze in Rosen­heim sollen hier alle Ankommenden registriert, getestet und auf die Bundes­länder verteilt werden. Die Asyl­maschinerie läuft an.

Luka­schenko aber könnte sich verkalkuliert haben. Die nächsten Sank­tionen könnten die staat­liche Fluglinie Belavia hart treffen. Zudem bleiben immer mehr Migranten und Migrantinnen im Land zurück, die es nicht über die neuen Grenz­befesti­gungen schaffen. Sie sind die ersten Verlierer dieser zynischen Politik – ebenso wie die Bela­russinnen und Bela­russen. Sie leben in Zukunft in einem Land hinter neuen Mauern, die ihr Diktator verschuldet hat.

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