Europas Unterstützung für die Ukraine: Freiheit kostet
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, Mitte) spricht beim Gipfel des Europarats in Island.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Das kleine Island hat Großes vollbracht. Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdóttir hat den turnusgemäßen Vorsitz des Europarates dafür genutzt, wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die Chefebene des Gremiums mit seinen 46 Mitgliedsstaaten zusammenzutrommeln. Bis dahin war gar nicht ins kollektive Bewusstsein vorgedrungen, dass es auch noch einen Europarat gibt.
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Dabei ist er unabhängig von der Europäischen Union und hat einen Radius über die 27 EU-Staaten hinaus. Ihm gehören auch die Türkei, die Ukraine, Aserbaidschan und Großbritannien und viele Länder mehr an. Und zu ihm gehört auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Nur werden seine Urteile wegen Verstößen gegen die europäische Menschenrechtskonvention etwa von London und Ankara nicht respektiert. Das schafft Misstrauen.
Zu lange hat sich der Europarat in einer Nische eingerichtet. 18 Jahre sind seit dem letzten Gipfel vergangen. Überhaupt gab es erst vier Treffen dieser Art in der 74-jährigen Geschichte. Wenn man aber seine Stimme für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Frieden erheben will, muss man sich auch Gehör verschaffen. So wie Island. Fast 60 Delegationen, darunter die USA, Kanada, Japan, Mexiko und der Vatikan, kamen auf die Vulkaninsel. Von Reykjavik gehen nun drei wichtige Botschaften aus.
Erstens: Der russische Präsident Wladimir Putin wird noch stärker isoliert, seine Kriegsverbrechen und die Zerstörung in der Ukraine werden jetzt systematisch in einem Schadensregister erfasst. Russland und damit auch seine Bevölkerung werden einen hohen Preis zahlen.
Zweitens: Auch die europäischen Staaten, allen voran die reichen unter ihnen wie Deutschland, werden für den Wiederaufbau der Ukraine in „Marshallplan-Dimension“ zahlen, wie es der Bundeskanzler sagt.
Drittens: Je mehr Putin den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dessen Land vernichten will, desto inniger nimmt Europa Kiew in seine Mitte.
Europarat will Putin und Russland zur Rechenschaft ziehen
Die Staaten des Europarats wollen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine zur Rechenschaft ziehen.
© Quelle: Reuters
Und Selenskyj tritt immer selbstbewusster und fordernder auf. Nach seiner Tour durch europäische Hauptstädte, seinen Reden auf internationalen Konferenzen und den zum Teil pathetischen Reden seiner Gastgeber, seinen Gesprächen mit US-Präsident Joe Biden und seinen steten – und erfüllten – Bitten um noch mehr Waffen ist dies nicht mehr vorstellbar: dass Europa die Ukraine untergehen lässt. Denn danach wäre auch dieses Europa verloren.
Überlegungen zur Zeit nach dem Krieg
Regierende von London bis Madrid und Berlin bis Tiflis müssen sich solidarisch verhalten, wenn dort ein Präsident steht und sagt, dass sein Land, das nicht der EU angehört, deren Werte verteidigen wird. Bis zum Tod. Man kann nicht sagen, dann kämpft mal schön, wir schauen zu. Und deshalb ist es wahrscheinlich, dass Selenskyj auch Kampfjets bekommen wird, nach denen er verlangt. Auf die Gefahr hin, dass die Geberländer tiefer in diesen Krieg hineingezogen werden.
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Olaf Scholz hat in Reykjavik überraschend noch einen anderen Ton angeschlagen. Er hat Wenn und Aber davorgesetzt, aber ausgesprochen, dass der russische Krieg gegen die Ukraine irgendwann enden wird. Bis dahin müssten „Brücken“ aufrechterhalten werden zu den demokratischen Kräften in Russland. Brücken nach Russland – das ist auch Hoffnung auf Frieden mit Russland. Und es ist zu hoffen, dass auch Brücken für Friedensverhandlungen gebaut werden. Natürlich kann nur die Ukraine darüber entscheiden. Aber auch dabei könnte sie Unterstützung gebrauchen.
Scholz’ Mantra ist, die Ukraine werde so lange unterstützt wie nötig. Das ist auch eine Einstimmung der eigenen Bevölkerung auf die Nachkriegszeit: Freiheit kostet. Das wird noch zu Diskussionen führen. Aber wenn es nur Geld und nicht das Leben ist, ist es der richtige Weg.