EU-Gipfel: Der Streit um Polen vermiest Angela Merkel den Abschied
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trifft zum Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs ein.
© Quelle: Nicolas Maeterlinck/BELGA/dpa
Brüssel. Der 107. ist vielleicht ihr letzter EU-Gipfel. Doch nach einem fröhlichen Abschied unter Freunden sieht es nicht aus, als Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag im Brüsseler Europaviertel vor die Kameras tritt.
Im Gegenteil: Die Stimmung unter den 27 Staats- und Regierungschefs der EU ist schlecht wie selten zuvor in Merkels fast 16-jähriger Amtszeit. Das liegt nur zum Teil an den rasant steigenden Energiepreisen in Europa. Der Hauptgrund sind die Verstöße der polnischen Regierung gegen Rechtsstaatsprinzipien. So stehen die Zeichen schon auf Sturm, noch bevor Merkels vielleicht letzter EU-Gipfel richtig losgeht.
Merkel setzt auf Dialog
Obwohl die Fronten verhärtet sind, seit sich Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang der Woche über den Vorrang europäischen Rechts gegenüber nationalem Recht öffentlich gefetzt haben, setzt Merkel weiter auf Dialog. „Rechtsstaatlichkeit ist ein Kern des Bestands der Europäischen Union“, sagt sie und fügt hinzu: „Auf der anderen Seite müssen wir Wege und Möglichkeiten finden, hier wieder zusammenzukommen.“ Schließlich sei eine „Kaskade von Rechtsstreitigkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof auch keine Lösung“.
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Hintergrund des Streits ist das Urteil des Verfassungsgerichts in Warschau, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidung wird von der EU-Kommission und etlichen anderen Staaten als höchst problematisch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, ihr unliebsame Urteile des Europäischen Gerichtshofes einfach zu ignorieren.
Doch trotz Merkels Appell zeichnet sich zu Beginn des Gipfeltreffens, das bis Freitag dauern soll, keine Lösung in dem erbittert geführten Streit um die Rechtsstaatlichkeit ab. Der polnische Premier Morawiecki sagt, die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof hätten sich Kompetenzen angeeignet, die sie nach den EU-Verträgen gar nicht hätten. Sanktionsdrohungen nennt er „Erpressung“.
Orban unterstützt Morawiecki
Schützenhilfe erhält Morawiecki vom ungarischen Regierungschef Viktor Orban, dem die EU-Kommission und das Europaparlament ebenfalls schwere Verstöße gegen europäische Grundwerte vorwerfen. „Polen?“, fragt er und gibt sich die Antwort gleich selbst: „Bestes Land in der EU. Sanktionen braucht es nicht. Das ist lächerlich. Gegen Polen läuft in Europa eine Hexenjagd.“
Es finde eine „schleichende Kompetenzerweiterung“ zugunsten der Brüsseler Gremien statt, die es zu stoppen gelte. „Die Polen haben lediglich den Mut gefasst, diese Schlacht zu eröffnen“, sagt Orban und macht deutlich: „Unser Platz ist an ihrer Seite.“
Damit ist schon einmal klar: Strafen gegen die Regierung in Warschau werden die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen nicht verhängen können. Denn dazu bräuchte es ein einstimmiges Urteil.
Rutte fordert harten Kurs gegen Polen
Morawiecki und Orban stehen auf der einen Seite. Merkel steht in der Mitte. Den Gegenpol bilden Staaten wie die Niederlande, Schweden, Belgien und Luxemburg. Der niederländische Premier Mark Rutte fordert einen harten Kurs gegen Warschau. Die Unabhängigkeit der Justiz in Polen sei „nicht verhandelbar“, sagt er. Es sei schwer vorstellbar, wie Polen Corona-Hilfen von der EU bekommen solle, wenn diese Frage nicht gelöst sei. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat schon am Dienstag angekündigt, dass die milliardenschwere Summe für Polen auf Eis gelegt werde, bis die Regierung in Warschau sich wieder an europäische Prinzipien halte.
Der Streit um die Rechtsstaatlichkeit dominiert den Gipfel. Die Debatte dauert mehrere Stunden, ist erst am späten Abend beendet. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten, so heißt es, sei überzeugt, dass die Unabhängigkeit der Justiz und die Rechtsstaatlichkeit fundamentale Bedeutung hätten. Die Debatte sei ein Schritt auf dem Weg dazu, eine Lösung zu finden. Übersetzt heißt das: Der Streit geht weiter, aber ist nicht weiter eskaliert.
Fast in Vergessenheit gerät darüber der eigentliche Grund, weshalb sich die Staats- und Regierungschefs treffen. Es sind die seit Monaten rasant steigenden Energiepreise.
Doch mit einem einheitlichen Plan, wie dem Problem der wachsenden Energiearmut beizukommen wäre, rechnet niemand. Denn auch hier sind sich die Mitgliedsstaaten nicht einig. Überdies bestimmt jedes Land seinen Energiemix selbst und damit auch mögliche staatliche Unterstützung für Menschen und Unternehmen in Energienot.
So scheint sich zu Beginn des Gipfels ein typischer Brüsseler Ausweg abzuzeichnen. Das Energieproblem wird zur Kenntnis genommen, aber eine Lösung wird verschoben. Die Energieminister der Mitgliedsstaaten sollen das Thema am kommenden Dienstag genauer unter die Lupe nehmen, heißt es im Entwurf der Gipfelerklärung.