Erst Butscha, jetzt Borodjanka: Haben Kriegsverbrechen an Zivilisten System?
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Ein ukrainischer Soldat steht neben zerstörten russischen Panzern in Butscha am Stadtrand von Kiew.
© Quelle: Felipe Dana/AP/dpa
Nach dem Fund Hunderter Leichen in Butscha werden auch aus anderen Städten im Großraum Kiew Dutzende tote Zivilistinnen und Zivilisten gemeldet. In der Kleinstadt Borodjanka, wo nach dem Rückzug russischer Truppen die Suche nach Opfern begonnen hat, sei das Ausmaß der Gräueltaten noch „viel schrecklicher“ als in Butscha, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft. Die Behörden hätten in Borodjanka „noch mehr Opfer“ russischer Truppen gefunden.
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In Butscha gab es nach Angaben des Bürgermeisters Anatolij Fedoruk mindestens drei Orte, an denen während der russischen Besatzung Massenerschießungen von Zivilistinnen und Zivilisten stattgefunden haben sollen. Mehr als 400 zivile Personen sollen getötet worden sein. „Massaker wie in Butscha oder Borodjanka sind Teil der russischen Kriegsführung“, erklärte der Osteuropa- und Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR). „Gräueltaten braucht man den russischen Soldaten nicht befehlen, sie sind bereits darauf ideologisch getrimmt, solche Taten zu verüben.“
Ukrainische Bevölkerung durch Terror demoralisieren
Im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärte der Sicherheitsexperte, dass solche Taten System hätten. „Russland will die gegnerische Zivilbevölkerung durch anhaltenden Terror zur Aufgabe ihres Widerstandes zwingen“, so Gressel. Dazu greife Russland zu blankem, überwältigendem Terror, der von der Bombardierung von Schulen, Krankenhäusern und Kindergärten bis hin zum Foltern von Zivilistinnen und Zivilisten in besetzten Gebieten reiche. „Gräueltaten werden nicht verboten oder sanktioniert, sondern sind gewollt.“
Laut Christian Marxsen vom Münchner Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ist noch unklar, ob es einen Befehl für diese Taten gegeben habe. „Es ist aber durchaus denkbar, dass man hier tatsächlich toleriert hat, wie gegen die Bevölkerung vorgegangen wurde“, sagte er dem RND. „Es gibt sehr starke Anhaltspunkte dafür, dass hier Kriegsverbrechen begangen worden sind.“ Für den Völkerrechtler deutet alles darauf hin, dass „die Gewalt direkt gegen Zivilisten gerichtet worden“ sei. Das sei eindeutig als Kriegsverbrechen zu bewerten.
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Mitglieder der ukrainischen Verteidigungskräfte hatten die Sukhoi entdeckt. Über das Schicksal des Piloten wurde zunächst nichts bekannt.
© Quelle: Reuters
Verbrechen an Zivilistinnen und Zivilisten sind „Teil des russischen Kriegssystems“
Der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj sagte am Freitag, dass viele Menschen aus Borodjanka unter den Trümmern verschüttet worden seien. „Derzeit ist die Stadt Borodjanka eine der am stärksten zerstörten Städte in der Region Kiew“, wird Monastyrskyj in ukrainischen Medien zitiert. Völkerrechtler Marxsen sieht darin ein weiteres Indiz für einen Völkerrechtsverstoß. „Die großflächigen Schädigungen und Zerstörungen von ziviler Infrastruktur spricht dafür, dass hier Kriegsverbrechen begangen worden sind.“
Dass russische Soldaten zu Massakern wie in Butscha und Borodjanka fähig sind, überrascht den Militärexperten Gressel nicht. „Die Soldaten kommen aus einem militärisch und patriotisch geprägten System und sind von Putins Propaganda geprägt.“ Sie würden an Russlands Ruhm glauben, für den man in der Logik Putins über Leichen gehen müsse. „Dass Soldaten Kriegsverbrechen verüben, ist Teil des russischen Kriegssystems.“ In einer verbrecherischen Armee gehöre das Verbrechen zum Selbstverständnis, sagte Gressel. Dass Putin jemals vor Gericht kommt, hält Völkerrechtler Marxsen für unwahrscheinlich. Doch ausgeschlossen sei das nicht.