Warum die Bundesregierung Afghanistan hilft – trotz der Taliban
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Schäden in Afghanistan nach der Erdbebenkatastrophe.
© Quelle: IMAGO/Xinhua
Berlin. Die Taliban haben um Hilfe gerufen. Mindestens 1000 Menschen sind bei einem Erdbeben im Norden Afghanistans gestorben, in einem abgelegenen Gebiet an der Grenze zu Pakistan. Mindestens 1500 Verletzte hat es gegeben, viele haben ihre Häuser verloren. Die Erdstöße haben ihre Unterkünfte zusammensacken lassen, auch die Ruinen sind alles andere als sicher. Nach Vermissten wird noch gesucht.
In dieser Lage hat der selbst ernannte Taliban-Regierungschef Mullah Mohammed Hassan Achund die internationale Gemeinschaft um Unterstützung ersucht, einmal mehr. Seine Regierung ist international nicht anerkannt. Außenministerin Annalena Baerbock spricht in einer Pressekonferenz am Donnerstag von einer „Terrorregierung“. Diese habe nach dem Abzug der internationalen Truppen vor zehn Monaten „die Macht an sich gerissen und für das ganze Land Hoffnung auf Zukunft zerstört“. Es habe sich „ein dunkler Schleier über das gesamte Land gelegt“.
In solchen Momenten zählt allein das Gebot der Humanität gegenüber Menschen in Not.
Annalena Baerbock,
Außenministerin
Und doch kündigt Baerbock Unterstützung an: „In solchen Momenten zählt allein das Gebot der Humanität gegenüber Menschen in Not“, sagt sie. Hilfen würden aber „nicht über die Taliban“ fließen, sondern direkt über Hilfsorganisationen.
UN-Organisationen wie das Welternährungsprogramm und Unicef sind vor Ort. Die Rettungsorganisation Johanniter, die ebenfalls bereits in Afghanistan war, hat sich auf den Weg ins Katastrophengebiet gemacht. Thomas ten Boer, Landesdirektor Afghanistan der Welthungerhilfe, fasst das Bild weiter: „Ich hoffe, dass diese Katastrophe die Leute daran erinnert, dass es ein Land wie Afghanistan gibt“, sagte er dem RND. „Das Erdbeben ist eine Katastrophe. Aber mit 20 Millionen von Hunger bedrohten Menschen, mit steigenden Lebensmittelpreisen und einer Wirtschaftskrise zieht eine weit größere Katastrophe auf.“
In dieser Lage warten noch einige Tausend Afghaninnen und Afghanen auf die Ausreise nach Deutschland, die ihnen von der Regierung zugesagt worden ist. 21.000 Personen seien bereits in Deutschland angekommen. Damit seien zwei Drittel der Aufnahmezusagen bislang erfüllt worden, sagt Baerbock. Von den ehemaligen Ortskräften deutscher Einrichtungen wie der Bundeswehr sei noch ein Viertel derjenigen in Afghanistan, die auf einer Reiseliste der Bundesregierung stünden. Noch nicht nach Deutschland geschafft hätte es außerdem die Hälfte derer, die die Regierung als besonders schutzbedürftig identifiziert hat, wie Frauen, Menschenrechtler oder Journalisten. Es gibt eine neue Vereinbarung mit Pakistan, das sich als Transitland zur Verfügung gestellt hat. Digitale Visaverfahren wurden eingerichtet und mehr Leute zur Visabearbeitung eingestellt. Außerdem würden die Bedingungen für Familiennachzug gelockert, sagt Baerbock. So sollen Mädchen weiter ein Nachzugsrecht haben, wenn sie 18 Jahre alt geworden sind.
Die Taliban arbeiteten allerdings daran, Menschen „systematisch nicht ausreisen zu lassen“, beklagt Baerbock. Das Problem sei in vielen Fällen der fehlende Reisepass. Zudem hätten die Taliban die Reisebedingungen für Frauen deutlich verschärft – sie dürften nun nur noch in männlicher Begleitung unterwegs sein.
Keine Hoffnung auf Umdenken bei Taliban
Die Hoffnung, dass das Erdbeben und der damit verbundene Hilfebedarf ein Umdenken bei den Taliban auslösen könnten, äußert sie nicht. „Es ist vielleicht ein Anknüpfungspunkt“, hatte Entwicklungsstaatssekretär Niels Annen (SPD) im Deutschlandfunk gesagt. Welthungerhilfe-Experte ten Boer berichtet: „Wir sind häufig mit unnötigen Verzögerungen und Missverständnissen konfrontiert. Oft müssen wir mit den unterschiedlichen Ebenen der Regierung über unsere humanitären Prinzipien diskutieren.“ Es werde versucht, Listen von Hilfsempfängern zu beeinflussen und Unterstützung in bestimmte Regionen umzulenken. „Dass die Taliban nun um internationale Hilfe bitten, sehen wir als Fenster der Gelegenheit, um sie aufzufordern, unserer Arbeit offener zu begegnen.“
Über 1000 Tote nach schwerem Erdbeben in Afghanistan
Die Erdstöße in Afghanistan hatten nach Angaben der US-Erdbebenwarte USGS eine Stärke von 5,9.
© Quelle: Reuters
Im Bundestag hat am Donnerstag ein Untersuchungsausschuss des Bundestags die Arbeit aufgenommen, um den von der letzten Regierung aus SPD und Union verantworteten Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu durchleuchten. Sehr gut findet das Ministerin Baerbock. Man könne „gemeinsam aus Fehlern lernen“.
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