Drei Experten geben Antworten

„Entnazifizierung“ der Ukraine: Was hat Putin wirklich vor?

Der russische Präsident Wladimir Putin strebt die „Entnazifizierung“ der Ukraine an.

Der russische Präsident Wladimir Putin strebt die „Entnazifizierung“ der Ukraine an.

Hannover/Kiew/Moskau. Am 24. Februar begann der Angriff russischer Streitkräfte auf die Ukraine. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte die Invasion mit einer notwendigen „Entnazifizierung“ begründet und sprach von einer Regierung in Kiew aus „Faschisten“, von der er die Menschen in der Ukraine befreien wolle. Kiew würde einen „Genozid“ an der russischsprachigen Bevölkerung verüben, so Putin mit Blick auf die selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk.

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Doch was meint Putin mit der „Entnazifizierung“ der Ukraine? Der Osteuropa‑ und Militärexperte Gustav Gressel vom Thinktank European Council on Foreign Relations hält verschiedene Szenarien in Russlands Krieg in der Ukraine für möglich: „Das Worst-Case-Szenario: Die Ukraine kann dem Ansturm nicht standhalten und verliert den Krieg. Russland besetzt das Land und beginnt mit der angekündigten Entnazifizierung“, so Gressel im Gespräch mit dem RND. Das bedeute laut dem Experten:

Moskau löscht die kulturelle und politische Elite der Ukraine aus, die Menschen kommen in Konzentrationslager und sterben dort durch Folter oder eine Kugel im Kopf.

Gustav Gressel,

Osteuropa- und Militärexperte

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Schließlich würde der Kreml ein Marionettenregime in Kiew installieren, „das von russischen Soldaten gestützt wird und Kriegsverbrechen ausübt“, so Gressel. Russland radikalisiere sich daraufhin weiter und könnte dem Westen weiter drohen, sich nicht in die Ukraine einzumischen. „Das bedeutet, wir haben einen Kalten Krieg wie in den 1940er-Jahren unter Stalin, wo er seine Gebiete gesäubert und den Westen zurückgedrängt hat“, erklärte Gressel.

Der Russland-Experte und Politologe an der Universität Innsbruck, Gerhard Mangott, hält es hingegen durchaus für möglich, dass die politische Führung in Kiew weiterregieren könne: „Wenn es eine politische Kapitulation der ukrainischen Regierung gibt und die russischen Forderungen weitgehend erfüllt werden, könnte die Regierung Selenskyjs durchaus im Amt bleiben“, erklärt Mangott im Gespräch mit dem RND. Ein Sturz der Regierung durch Russland sei bei einer Kapitulation Kiews nicht zwingend nötig.

Selenskyj fordert ein direktes Treffen mit Putin
HANDOUT - 21.03.2022, Ukraine, Kiew: Dieses vom Pressebüro des ukrainischen Präsidenten zur Verfügung gestellte Videostandbild zeigt Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, in Kiew. Selenskyj hat Ultimaten aus Russland eine grundsätzliche Absage erteilt. Foto: Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Bald beginnt die vierte Woche der russischen Invasion der Ukraine. Bislang haben die Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland zu keinem Ergebnis geführt.

„Entnazifizierung“ lediglich ein Codewort

Mangotts Einschätzungen zufolge sei die „Entnazifizierung“ der Ukraine dabei lediglich ein Codewort für den Sturz der politischen Führung: „Wenn die Regierung politisch nicht kapituliert und Russland die Ukraine militärisch besiegt, würde die ukrainische Elite gestürzt und das politische System gesäubert werden“, so der Russland-Experte.

Der erste Schritt wäre die Beseitigung der politischen Elite von den offiziellen Ämtern, es kommt zu Inhaftierungen und Schauprozessen. Ich glaube nicht an Exekutionen, aber an lange Haftstrafen.

Gerhard Mangott,

Politologe und Russland-Experte an der Universität Innsbruck

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Mangott verweist auf „einige äußerst brutale russische Haftanstalten“, die extrem harte Haftbedingungen hätten und die auf ukrainische Politiker zukommen könnten. Es ist längst kein Geheimnis, dass Gefangene in russischen Haftanstalten oder Strafkolonien auch Folter und Misshandlungen ausgesetzt sind.

Sollte es zur militärischen Kapitulation der Ukraine kommen, könnte Putin versuchen, in Kiew eine Marionettenregierung mit einer moskauhörigen politischen Führung einzusetzen, glaubt auch der Politologe. „Diese neue Regierung hätte in der Ukraine natürlich überhaupt keinen Rückhalt und könnte nur bestehen, wenn Russland das Land besetzt hält.“

Kiew kontert mit „Entputinisierung“

Der Völkerrechtler Christian Tomuschat schätzt Putins „Entnazifizierungspläne“ ähnlich wie Osteuropa-Experte Gustav Gressel ein: Es werde auf die „Tötung oder Verschleppung aller gegenwärtigen Führungspersonen in der Ukraine hinauslaufen“, sagte er dem RND.

Mit dem Begriff „Entnazifizierung“ verwende Putin ganz bewusst ein Schlagwort, das in der russischen Gesellschaft Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die Untaten des Nazi-Regimes heraufbeschwöre. „Putin will aber lediglich die Entwicklung hin zu einer demokratischen Gesellschaft stoppen“, so Tomuschat, der lange Mitglied der UN-Völkerrechtskommission war.

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Es handelt sich bei dem Begriff der „Entnazifizierung“ um nichts anderes als einen großangelegten Versuch zur Täuschung der eigenen Bevölkerung und gleichzeitig der Weltöffentlichkeit.

Christian Tomuschat,

Experte für Völker- und Europarecht und ehemaliges Mitglied des UN-Völkerrechtskommission

Tomuschat geht ebenfalls davon aus, dass Putin im Fall eines Sieges die Regierung in Kiew durch ein moskautreues Marionettenregime ersetzen werde.

Anstelle der vom Kreml verlangten „Entnazifizierung“ der Ukraine forderte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba in der vergangenen Woche eine „Entputinisierung“. Russland solle international von jedem Einfluss auf Politik, Wirtschaft, Energie und Kultur abgeschnitten werden, schrieb er bei Twitter.

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