Energieversorgung: Ifo-Präsident Fuest fordert Debatte über Atomkraft
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22.06.2022, Sachsen, Dresden: Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, sitzt während einer Pressekonferenz in der ifo Niederlassung Dresden auf seinem Platz. Thema der Pressekonferenz sind u.a. die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Konjunktur und den Wirtschaftsstandort Deutschland.
© Quelle: Sebastian Kahnert/dpa
Dresden. Ifo-Präsident Clemens Fuest hat in der Debatte um eine sichere Energieversorgung angemahnt, alle Möglichkeiten im Blick zu behalten. „Wir sind jetzt in einer Lage, in der die Politik gut beraten ist, alle Optionen sehr, sehr ernsthaft zu prüfen und die Möglichkeiten zu nutzen“, sagte der Chef des Ifo-Institutes am Mittwoch in Dresden. Es sei gesamtwirtschaftlich problematisch, auf Optionen zu verzichten, die die Energieversorgung verbessern könnten.
Im Falle der Atomkraft gehe es nicht darum, den Ausstieg in Frage zu stellen, sondern die Kraftwerke länger laufen zu lassen, sagte Fuest. „Man hat jetzt schon viel Zeit verstreichen lassen. Je mehr Zeit verstreicht, desto schwieriger wird es, das Ganze zu machen.“ Eine Verlängerung der Laufzeiten scheine möglich zu sein, sei aber sehr aufwendig - auch für die Firmen. Bei den Betreibern sei die Lust zur Umsetzung daher eher begrenzt.
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© Quelle: dpa
Derzeit scheine sich die Politik auf Kohlekraftwerke zu konzentrieren, betonte der Professor für Volkswirtschaftslehre: „Das wird auf jeden Fall passieren. Das geht auch gar nicht anders. Bei Flüssiggas stehe Deutschland vor einem Test: ‚Schaffen wir das wirklich, in einer Notsituation schnell zu handeln.‘“ Man müsse jetzt beweisen, dass es in Deutschland auch schneller gehen kann: „Wirtschaftlich wäre das jedenfalls dringend erforderlich.“
Fuest warnt vor Gasembargo
Laut Fuest hat Deutschland Erfahrungen mit schwankenden Energiepreisen. Das helfe auch der Wissenschaft bei ihren Bewertungen und Prognosen. Als die Corona-Krise ausbrach, hätten Virologen und Mediziner auch vor einem nicht wirklich bekannten Phänomen gestanden. Ein Gasembargo wäre eine vergleichbare Situation. „Ich finde es wichtig, dass man unterscheidet zwischen Prognosen, die sich auf Dinge beziehen, mit denen man Erfahrungen hat und Prognosen, bei denen man über Dinge redet, mit denen man keine Erfahrungen hat.“
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Für den Fall eines kompletten Gasembargos seien die Prognosen schwer, weil es ein solches Szenario noch nie gegeben habe, betonte Fuest. Große Auswirkungen würden sich erst 2023 ergeben, dann könne es zu großen Problemen im Winter kommen. Das Bruttoinlandsprodukt könnte im Fall eines Embargos um etwa fünf Prozent zurückgehen. „Das wäre dann ein wirtschaftlicher Einbruch, der dem ähnelt, was 2020 passiert ist.“ Wenn es kein Gasembargo gebe, rechne man nicht mit einer Rezession.
„Je länger man wartet, desto schlimmer wird es hinterher“
„Ich denke schon, dass man aus der Energiekrise der 1970er Jahre lernen kann“, sagte Fuest. Auch damals habe es Preissteigerungen und eine Diskussion darüber gegeben, ob die Geldpolitik einschreitet. „Die Lehre aus den Siebziger Jahren ist: Je länger man wartet, desto schlimmer wird es hinterher. Ich glaube, das ist eine wichtige Lehre für heute.“
Zugleich sprach sich Fuest dafür aus, bei weiter steigenden Gaspreisen bedürftige Verbraucher zu entlasten: „Wenn das passiert, muss man gleichzeitig darüber nachdenken, ob man Haushalte, die nicht die Mittel haben, die überfordert sind von den höheren Kosten, dass man denen nochmal gezielt hilft. Das sind aber nicht alle Haushalte.“
Fuest erinnerte an die Ausgangslage vor Kriegsbeginn in der Ukraine. Schon zuvor habe es steigende Energiepreise und Lieferprobleme gegeben: „Der Ukraine-Krieg war nur ein weiterer Schock in einer schon fragilen Situation.“
RND/dpa