Einheitsbericht: Demokratiedefizite in Ostdeutschland
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Berlin: Ein Mann fährt mit einem Fahrrad in der Niederkirchnerstraße an dem 200 Meter langen Reststück der Mauer vorbei.
© Quelle: Paul Zinken/dpa
Berlin. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), hat anlässlich der Vorstellung des Jahresberichts zum Stand der Deutschen Einheit anhaltende Demokratiedefizite in Ostdeutschland beklagt. Dabei wies er am Mittwoch auf den verbreiteten Rechtsextremismus ebenso hin wie auf eine immer wieder anzutreffende Verharmlosung der SED-Diktatur.
Wirtschaftlich und sozial sei die Entwicklung unmittelbar vor dem 30. Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober weiter positiv, sagte Wanderwitz. Die Lebensbedingungen in Ostdeutschland hätten sich stetig verbessert, sodass es in vielen Bereichen kaum noch messbare Unterschiede gebe. “Man findet mehr Gemeinsames als Trennendes”, so der CDU-Politiker. Auch habe der Osten dem Westen seit 1989 positive Impulse gegeben – etwa bei der Frauenerwerbstätigkeit, der Kinderbetreuung oder der Bildung. Ohnehin müssten sich Ost- und Westdeutsche “das Glücksgefühl” der Einheit wieder stärker “vor Augen führen”.
Tatsächlich lag die durchschnittliche Wirtschaftskraft der “neuen Länder” laut Bericht je Einwohner bei 73 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnitts – ohne dass irgendein ostdeutsches Flächenland das Niveau des westdeutschen Landes mit der niedrigsten Wirtschaftskraft erreicht hätte.
DDR als Unrechtsstaat wird bestritten
Bei der Festigkeit der Demokratie existierten in Ostdeutschland aber nach wie vor “noch strukturelle Probleme”, räumte Wanderwitz, der aus Sachsen stammt, ein. “Das zeigt sich insbesondere im Bereich Rechtsextremismus.” Überdies sei der Charakter der DDR als Unrechtsstaat zwar offensichtlich, fügte er hinzu. Dennoch werde er des Öfteren unverändert bestritten.
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CDU-Mann Marco Wanderwitz.
© Quelle: imago images/Metodi Popow
Wanderwitz sieht den Grund für die Demokratiedefizite nicht zuletzt in einem Mangel an politischer Bildung. So falle ihm in Bürgersprechstunden “regelmäßig die Kinnlade runter”, wenn er höre, wie sehr es Bürgern an grundlegenden Kenntnissen über das heutige politische System fehle. Man habe in dieser Hinsicht nach 1989 zu viel dem Selbstlauf überlassen.
Wanderwitz ruft Ostdeutsche auf, in die ganze Welt zu schauen
Er betonte ferner, dass sich die strukturelle Überalterung der ostdeutschen Gesellschaft nur mit dort nicht selten unerwünschter Zuwanderung kompensieren lassen werde. Hier müssten die Ostdeutschen “in die ganze Welt schauen”. Und wenn sie sich dabei nicht entsprechend attraktiv präsentierten, dann werde diese Zuwanderung “nicht stattfinden”.
Der Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn (Linke) kritisierte den Bericht als “Gefälligkeitsgutachten”. Denn “die Unterschiede zwischen West und Ost sind weder wenige noch graduell”, sagte er. So werde im Osten unverändert länger gearbeitet und im Durchschnitt weit weniger verdient als im Westen. Der ökonomischen Benachteiligung folge die soziale Bedeutungslosigkeit, so Höhn, da schätzungsweise nur 3 Prozent der Ostdeutschen in Führungspositionen vertreten seien – bei einem Anteil von 17 Prozent an der Gesamtbevölkerung.
Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, sagte: “Die langsame wirtschaftliche Annäherung zwischen Ost und West darf kein Grund sein, die Hände in den Schoß zu legen. Die Bundesregierung muss weit mehr unternehmen, damit sich die bestehenden materiellen Ungleichheiten, die das Leben vieler Menschen im Osten prägen, nicht dauerhaft verfestigen.” Sie verwies auf die Unterschiede in den Haushaltseinkommen, im Steueraufkommen und in der Wirtschaftskraft. Deshalb reiche es nicht aus, wenn die Regierung einmal im Jahr und im kleinen Kreis einen Bericht verfasse, aus dem dann keine weiteren Konsequenzen gezogen würden.