Ein Sommer ohne Loch und saure Gurken
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Ein Blick in den leeren Plenarsaal des Bundestages: Diese Sommerpause könnte im Regierungsviertel hektischer werden als sonst üblich.
© Quelle: dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
erinnern Sie sich noch an die Sommer, in denen es keine ernsthaften Nachrichten gab? Und dann büxte irgendwo ein Kaiman zum Baden im Baggerloch aus, eine Gesundheitsministerin wurde mit Dienstwagen in Spanien gesichtet, oder ein Landesminister forderte die 0,0-Promille-Grenze für Autofahrer. Im Sommer 2022 gibt es immer noch genug Aufreger und Pseudoaufreger. Beispiele: Sollte der Finanzminister zu seiner Hochzeit eine große Party auf Sylt abfackeln? Darf der Kanzler im Kurzarmhemd nach Kiew reisen? Wie lange sollte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki duschen?
Dank der sozialen Netzwerke wird unsere Bereitschaft, sich über Banales zu echauffieren, immer wieder angestachelt. Die Debatten über Geschmacksfragen und Skandälchen bekommen aber längst nicht mehr diese Wucht. Dafür sind die Zeiten einfach zu ernst. Der Krieg in der Ukraine, die Inflation, die Energiekrise, die Corona-Sommerwelle und die rasch wachsenden Zukunftssorgen in der Bevölkerung verändern die Stimmung. Wenn man früher bei manchem Aufreger fragen musste: „Haben die keine anderen Sorgen?“, ist die Antwort heute: „Doch, leider ja.“
Wirtschaftsminister Habeck befürchtet weiterhin steigende Energiepreise
Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf deutlich steigende Energiepreise einstellen.
© Quelle: Reuters
Im Regierungsviertel läuft gerade die letzte Woche vor der Sommerpause. Sie ist traditionell eine der prallsten im Parlamentsjahr überhaupt. Jeden Abend finden Empfänge und Feste statt. Alle Politikerinnen und Politiker, die noch einmal ihre Sicht der Dinge vermitteln wollen, laden zu Hintergrundgesprächen ein. Der Bundestag und der Bundesrat bringen noch schnell alle Entscheidungen durch, die bis zur Sommerpause fertig werden mussten.
Alles – vom lockeren Sommerfest bis zur Gesetzgebung – steht im Zeichen des Krieges. Und wenn beim traditionell letzten Fest vor der Sommerpause – der Stallwächterparty der Landesvertretung Baden-Württemberg – die Lichter ausgeknipst sind, werden dennoch kein Sommerloch und keine sauren Gurken rund um den Reichstag zu finden sein.
In diesem Sommer muss trotz sitzungsfreier Wochen die Arbeit weiterlaufen zur Beschaffung von Gas, Öl und Strom sowie im Kampf gegen die Auswirkungen der Inflation. Ende Juli wird Klarheit herrschen, ob künftig überhaupt noch Gas von Russland nach Deutschland fließt. Am 11. Juli wird Nord Stream 1 erst einmal für Wartungsarbeiten vom Netz genommen. So weit die Routine. Ob die Pipeline nach dem 20. Juli wieder in Betrieb geht, gilt als offen. Es könnte also ein Sommer der bösen Überraschung werden.
Machtpoker
„Dieser Vorschlag der Ampel grenzt an Wahlbetrug mit Ansage.“
Alexander Dobrindt,
CSU-Landesgruppenchef
Bei der Wahlrechtsreform wird es nun ernst. SPD, Grüne und Liberale haben sich darauf geeinigt, die Größe des Bundestags konsequent auf die ursprüngliche Plangröße von 598 Abgeordneten zu begrenzen. Die Mandate sollen streng nach dem Verhältniswahlrecht vergeben werden. Es sollen keine Überhangmandate mehr zugelassen werden.
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Fährt rhetorisch bereits scharfe Geschütze auf: Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Die Kehrseite der Medaille: Es kann passieren, dass ein im Wahlkreis mit Erststimmen direkt gewählter Abgeordneter sein Mandat nicht antreten kann. Ebendieses bringt die Union so auf die Palme. CDU und insbesondere die CSU haben traditionell die meisten Überhangmandate. In Bayern kann die Neuregelung die CSU-Leute bei der nächsten Bundestagswahl 2025 also reihenweise treffen. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Die Union fährt wie Dobrindt rhetorisch bereits scharfe Geschütze auf und hat Klage vor dem Verfassungsgericht angekündigt.
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Mit Blick auf die internationale Krisenlage trauen die Bürgerinnen und Bürger der Ampelkoalition nicht viel zu. Nur 15 Prozent geben in der aktuellen Forsa-Befragung an, sie hätten den Eindruck, dass die Bundesregierung über die Frage der Waffenlieferungen hinaus durchdachte Strategien für die langfristige Ausrichtung der deutschen Außenpolitik gegenüber Russland und der Ukraine nach einem möglichen Ende des Krieges habe.
In der Sonntagsfrage zementiert sich ein niedriger Wert für die Sozialdemokraten. Zugleich kann die Union nur kaum von der Schwäche der Sozialdemokraten profitieren. Vielmehr zahlt die anhaltende Unpopularität der früheren GroKo-Parteien bei den Grünen ein. Sie konnten seit Februar „ihren Kompetenzwert im Monatsdurchschnitt von 7 auf 21 Prozent verdreifachen“, heißt es im Forsa-Wochenbericht.
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