Schlimmste Dürre in Somalia seit Jahrzehnten: „Man kann dem Hunger nicht entkommen“
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Eine Mutter sitzt in Mogadischu am Krankenbett ihres Kindes, das wegen Unterernährung behandelt wird.
© Quelle: Getty Images
Wie ist die Situation in Somalia?
Mehr als eine Million Somalier sind als Binnenflüchtlinge unterwegs, da sie in ihren Dörfern und Städten keine Nahrung finden. „Eine Hungersnot steht vor der Tür“, warnte letzte Woche der Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für Humanitäre Einsätze, Martin Griffiths.
Auch für den Koordinator der südafrikanischen Hilfsorganisation Gift of the Givers in Mogadischu, Abdirisack M. Hashi gehört der Anblick von ausgemergeltem Vieh und Kinderskeletten inzwischen zum Alltag. „Die Auswirkungen der Dürre sind in jedem Winkel Somalias sichtbar, man kann dem Hunger nicht mehr entkommen“, so der Helfer. Er spricht von einer „menschlichen Tragödie“, die selbst die Dürre von 2011 übertreffen könnte. Damals starben 250.000 Menschen.
Wie wird geholfen – und genügt das?
„Wir verteilen Lebensmittelpakete, drei nahrhafte Mahlzeiten am Tag, stellen eine Wasserversorgung sicher und behandeln unterernährte Kinder“, so Hashi. Zudem unterstütze Gift of the Givers Schulen, um zu garantieren, dass Kinder geflüchteter Familien weiter unterrichtet werden.
Auch die Weltbank hilft: „Wir haben einige unserer Langzeitprojekte ausgeweitet und neu fokussiert, um Somalias Regierung bei der Dürrebewältigung zu unterstützen“, sagt Landesvertreterin Kristina Svensson. Geholfen werde unter anderem durch Wasserprojekte und Zuschüsse für 500.000 Haushalte. Jedoch herrscht Sorge, dass die Hilfe nicht ausreicht. Obwohl das UN‑Welternährungsprogramm (WFP) mit 3,7 Millionen so viele Somalier mit Notrationen versorgt wie nie zuvor, droht eine Hungersnot. Dazu meint Hashi: „Viele internationale Organisationen und Spender haben ihren Fokus auf die Krise in der Ukraine verlegt.“
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Würde die Ausrufung einer Hungersnot helfen?
Die Definition einer Hungersnot ist komplex: Laut WFP müssten unter anderem 30 Prozent der Bevölkerung „extrem unterernährt“ sein und täglich zwei von jeweils 100.000 Bewohnern an den Folgen sterben, um diese höchste Stufe des Ernährungsnotstands auszurufen. „UN‑Agenturen erwarten, dass gegen Ende des Jahres eine Hungersnot für Teile des Landes erklärt wird. Unseren Beobachtungen nach sollte diese aber sofort ausgerufen werden“, meint Hashi. Unklar bleibt, ob dadurch mehr Hilfe ankommt. Einer Allianz aus UN‑Agenturen und Hilfsorganisationen zufolge wurden Warnrufe bislang „größtenteils überhört“.
Welche Rolle spielt der Terror im Land?
Fast eine Million Somalier leben in Gebieten, die sich unter Kontrolle der islamischen Miliz al‑Shabaab befinden. Humanitäre Helfer wagen sich selten in das Dschihadistengebiet vor. „Bei der Hilfe geht es nicht bloß um die Finanzierung“, erinnert Svensson, „wir müssen auch sicherstellen, dass diese Unterstützung die Verwundbarsten erreicht und alle, die vor einer Hungersnot stehen.“
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Melinda French Gates: Baerbocks Weg zu feministischer Außenpolitik wird lang und hart
Die Co-Vorsitzende der weltweit größten Privatstiftung für Armutsbekämpfung erklärt, warum Frauen mehr Geld und Macht brauchen, damit die Welt gerechter wird. Corona und Russlands Krieg gegen die Ukraine hätten die Geschlechtergleichstellung dramatisch zurückgeworfen. Frauen dächten an die Zukunft, Männer oft nur an sich selbst, sagt die Ex-Frau von Microsoft-Mitgründer Bill Gates in einem exklusiven RND-Interview.
Hat niemand die ernste Lage kommen gesehen?
Doch, allerdings hat das ostafrikanische Land zuletzt mehrere Dämpfer gleichzeitig erlitten: Die Dürre des Vorjahres, eine Heuschreckenplage, Covid‑19 und seit Kurzem der Ukraine-Krieg schwächten die schon zuvor krisengebeutelte Nation noch mehr. „Somalia war stark abhängig von Importen aus Russland und der Ukraine“, so die Weltbankvertreterin.
Worauf muss sich Somalia vorbereiten?
Prognosen seien laut Krisenhelfer Hashi schwierig. Jedoch deute vieles darauf hin, dass auch die nächste Regensaison ausbleibt. Eine weitere Verschlimmerung der Dürresituation könnte den „Tod mehrerer Millionen Somalier“ bedeuten. Dabei konnte das ehemalige Bürgerkriegsland zuletzt einige Fortschritte verbuchen: In Mogadischu sitzt wieder eine stabile Regierung, somalische Ärzte und Architekten kehrten aus dem Exil zurück, Kinos und Stadien sperrten ihre Tore wieder auf.
Und auch wirtschaftlich gab es Reformen, berichtet Svensson. Sie fürchtet, dass die Krisen der vergangenen Jahre auf Kosten von Somalias Langzeitentwicklung kommen: „Ein Großteil der internationalen Unterstützung fließt jetzt wieder an die humanitären Helfer, wodurch andere Notstände vernachlässigt werden. Es gilt nach wie vor, ein Gesundheits-, Schul- und Sozialsystem aufzubauen.“
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