Diskussion um Wärmehallen: Das bedeutet eine „Kapitulation des Sozialstaats“
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Die Bundesregierung ruft dazu auf, Gas zu sparen und die Heizungen im kommenden Winter herunterzudrehen.
© Quelle: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa-Ze
Berlin, Ludwigsburg. Mit dem Krieg Russlands in der Ukraine droht eine Gasmangellage im Winter. Die Bürger fürchten sich vor kalten Wohnungen. Zugleich haben viele Menschen Angst, die steigenden Heizkosten finanziell nicht zu bewältigen.
Die Stimmung ist aufgeheizt. 44 Prozent der Deutschen haben angekündigt, wegen der Energiekrise auf die Straße gehen zu wollen. Das geht aus einer repräsentativen INSA-Umfrage für die „Bild“-Zeitung hervor.
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Auch die Debatte in den sozialen Medien ist hitzig. Auf Twitter wird intensiv über Wärmehallen diskutiert. Hintergrund sind die Pläne einiger Kommunen, im Winter Turn- und Mehrzweckhallen zu Wärmehallen umzufunktionieren. Dort sollen sich Bürger, die ihre Wohnung aus Kostengründen kalt lassen, aufwärmen können.
Bundesregierung mahnt Gas zu sparen
Der Vorschlag kam unter anderem vom Deutschen Städtetag. Auch die Bundesregierung mahnt dazu, Gas zu sparen und die Heizungen im kommenden Winter herunterzudrehen.
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Grundsätzlich hilft gegen die steigenden Energiepreise, seine Ausgaben zu kalkulieren und einen Überblick über die Fixkosten zu haben.
© Quelle: RND
Martin Voß, Sozialwissenschaftler und Katastrophenforscher an der Freien Universität Berlin, sagt dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Eine Gasmangellage haben wir jetzt schon und es verknappt sich weiter.“
Noch schlimmer wäre es, wenn wir die Wärmehallen tatsächlich bräuchten, sie aber nicht haben.
Martin Voß
Der mögliche Einsatz von Wärmehallen bedeute für ihn „eine Kapitulation des Sozialstaats.“ Er betont jedoch auch: „Noch schlimmer wäre es, wenn wir die Wärmehallen tatsächlich bräuchten, sie aber nicht haben.“
Aus Sicht der Caritas „muss alles getan werden, eine Situation zu vermeiden, in der wir Wärmeräume brauchen“. Dennoch sei es richtig, sich auf alle Szenarien vorzubereiten, sagte die Pressesprecherin des katholischen Wohlfahrtsverbandes, Mathilde Langendorf.
Mietergewerkschaft: Niemand sollte in einer Massenunterkunft wohnen müssen
Die Mietergewerkschaft Berlin zeigt sich von dem Vorschlag, für ältere Menschen, Obdachlose und Bedürftige Wärmehallen im Winter bereitzustellen, empört. „In einer Massenunterkunft sollte gar niemand wohnen müssen.“ Wärmehallen seien „Massenunterkünfte für arme Menschen“.
Tuttlingen erarbeitet Konzept für Wärmehallen
Eine der ersten Kommunen, die Wärmehallen ins Spiel brachte, ist die baden-württembergische Stadt Tuttlingen. Arno Specht, Pressesprecher der Stadt, sagt: „Derzeit sind wir noch dabei, das genaue Konzept zu erarbeiten.“ Dabei gehe es zum Beispiel um die Frage, wer berechtigt sei, die Halle zu nutzen. „Wichtig ist uns, jetzt Pläne vorzubereiten, die wir im Fall der Fälle - von dem wir nach wie vor hoffen, dass er nicht eintritt - schnell umsetzen können.“
Die Resonanz zu dem geplanten Vorhaben in der Bevölkerung falle unterschiedlich aus. „Die Bandbreite reicht von Lob bis Wut, von Häme bis zu Gleichgültigkeit“, sagt Specht.
Ludwigsburg will Erdgasverbrauch senken
Rund 150 Kilometer weiter nördlich in Ludwigsburg bei Stuttgart wurde ein Energie-Sparplan für den Winter vorgelegt. Das Maßnahmenpaket habe das Ziel, den Erdgasverbrauch um etwa 20 Prozent senken. Außerdem gebe es Pläne der Ludwigsburger Kirchengemeinden, eine Wärmestube einzurichten.
Ludwigsburgs Oberbürgermeister Matthias Knecht (parteilos) sagt: „Der kommende Winter wird eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft. Die Energiekrise wird für viele finanzielle Auswirkungen haben. Daher freue ich mich über die Pläne der Kirchengemeinden, in einer Kirche eine Wärmestube einzurichten.“ Das spreche für menschliche Wärme und Nächstenliebe, die den sozialen Zusammenhalt stärken.
Laut Karin Brühl, Pressesprecherin der Stadt, zeigen die Menschen Verständnis für die ehrgeizigen Sparziele der Stadt. „Den Bürgerinnen und Bürgern ist die Brisanz und Wichtigkeit des Themas bekannt, was sich in viel Unterstützung und eher Sorge statt Kritik äußert.“ Sie betont: „Wir hoffen, dass wir keine Wärmehallen im Winter benötigen und die Bürgerinnen und Bürger zu Hause mit Energie versorgt werden können.“
RND/epd