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“Die Schüler machen das besser als mancher Fußballprofi”

Die ersten Schüler dürfen wieder an die Schulbank, Abstand wird eingehalten, Hände werden desinfiziert.

Die ersten Schüler dürfen wieder an die Schulbank, Abstand wird eingehalten, Hände werden desinfiziert.

Frau Lassek, mal ehrlich, kann es an Grundschulen überhaupt gelingen, die Abstandsregeln in Zeiten von Corona einzuhalten?

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Bei den Viertklässlern, die ja als erste zurück in die Schulen gekommen sind, haben die Lehrer positive Erfahrungen gemacht. Viele Schüler sind nach der langen Zeit selbst mit etwas Unsicherheit und großer Vorsicht in die Schule zurückgekommen. Deshalb war es gut möglich, mit ihnen über Abstands- und Hygieneregeln zu sprechen und sie einzuüben. Die Schüler machen das besser als mancher Fußballprofi – nach dem, was man so gesehen hat.

Es gibt also nicht ständige Zusammenstöße von Schülern, etwa auf den Gängen?

Überall passieren Fehler. Aber die Schulen geben sich große Mühe, den Betrieb so zu organisieren, dass Abstandsregeln eingehalten werden können. Es gibt Ampelsysteme an den Toilettenräumen, damit jeweils nur ein Schüler in den Raum geht. Viele Schulen haben Einbahnstraßen in ihren Gebäuden geschaffen und mittels Klebeband markiert. Wenn Sie einer Schule etwas Gutes tun wollen, fragen Sie mal: Braucht ihr noch Klebeband?

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Unterm Strich bleibt für das einzelne Kind nur sehr wenig Unterrichtszeit. Das ist ein Riesenproblem.

Maresi Lassek

Grundschulverband

Sie sehen also in Pandemiezeiten gar keine gravierenden Probleme an den Grundschulen?

Doch, natürlich. Grundschulklassen haben nicht selten so viele Schüler, dass sie jetzt in drei Gruppen eingeteilt werden müssen, die abwechselnd zum Unterricht kommen. Sonst ließe sich im Klassenzimmer der Abstand gar nicht einhalten. Das heißt: Unterm Strich bleibt für das einzelne Kind nur sehr wenig Unterrichtszeit. Das ist ein Riesenproblem. Darunter leiden Eltern die arbeiten müssen, insbesondere aber auch die Kinder, die zu Hause nicht so gut gefördert werden können.

Zu viele Schüler pro Klasse, ein Mangel an ausreichend großen Räumen – das klingt so, als fielen uns in Zeiten der Pandemie vor allem altbekannte Probleme auf die Füße.

Leider haben Politik und auch die Schulträger in der Vergangenheit nicht oder zu wenig an den Schulbaustellen gearbeitet, auch wenn es laute Hinweise gab. Dass viele Schulgebäude marode und die Toiletten für Schüler furchterregend sind, darf keinen überraschen.

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Das kennt praktisch jeder aus seiner eigenen Jugend.

Genau. Noch schlimmer ist aber: Es gibt an den Grundschulen einen verheerenden Lehrermangel, der sich in Zeiten von Corona verschärft auswirkt. Die Politik hat in den vergangenen Jahren nicht rechtzeitig und energisch genug gegengesteuert. Jetzt rächt sich das besonders: Die während der Pandemie zwingend notwendigen kleinen Lerngruppen können nur dann regelmäßig in die Schulen kommen, wenn genug Personal da ist. Zum bisherigen Lehrermangel kommt nun noch das Problem dazu, dass ein Teil der Lehrer zu Risikogruppen in Sachen Corona gehört – und sie deshalb zu Recht aus dem Unterricht herausgenommen werden.

Die Ausbildung neuer Lehrer benötigt Jahre. Kann den Schulen also gar nicht schnell geholfen werden?

Langfristig lässt sich Lehrermangel nur durch eine gute Planung verhindern. Kurzfristig gilt: Lernen wir in den Schulen vom Gesundheitswesen! So wie Medizinstudenten in Zeiten von Corona in den Krankenhäusern aushelfen, müssen wir auch die Lehramtsstudierenden in die Schulen holen. Sie können dort wertvolle praktische Erfahrungen sammeln. Und in den Schulen wären mehr Menschen, die sich um die Betreuung von kleinen Lerngruppen kümmern können. Das wäre eine sinnvolle Unterstützung in dieser Ausnahmesituation. Davon hätten alle etwas – vor allem auch die Eltern und Kinder.

Befürchten Sie eine starke Zunahme der Bildungsungerechtigkeit in der Krise?

Ja. Es gibt eine Schülergruppe, für die der Präsenzunterricht besonders wichtig ist: Das sind die Schüler, deren Eltern zu Hause nicht vorlesen, zum Lernen anregen und sich um die Bildung ihrer Kinder kümmern können. Die Kluft zwischen diesen Schülern und denen, bei denen die Eltern sich engagieren, wächst in der Krise weiter. Es fehlen jetzt auch wichtige Kita-Monate vor der Einschulung. Die Kita trägt ja viel dazu bei, dass das einzelne Kind sich selbstbewusst artikulieren und in eine Gruppe einbringen kann. Auf den Nachholbedarf werden sich die Schulen einstellen müssen, wenn im neuen Schuljahr Kinder eingeschult werden.

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Was schließen Sie daraus?

Je länger es keinen regulären Schulbetrieb gibt, umso dringender ist eines: Wir müssen Schüler aus schwierigen sozialen Verhältnissen bevorzugt an die Schulen zurückholen. Sonst können deren Bildungswege nachhaltig Schaden nehmen. In Zeiten von Corona sprechen wir viel über digitales Lernen und darüber, dass die Ärmeren zu Hause dafür oft nicht die nötigen Mittel haben. Noch wichtiger aber ist: Viele haben dort keinen Arbeitsplatz, an dem sie ungestört Schulaufgaben machen können. Es fehlt dann an der Ruhe, an Hilfsangeboten und ohne Schulbesuch auch an der Perspektive.

Ist digitales Lernen bei Grundschülern überhaupt schon eine Option?

Ich finde es toll, wenn es sich organisieren lässt, dass sich die Klasse an Tagen ohne Schule per Videokonferenz auch mal zum gemeinsamen Morgenkreis zusammenschalten kann. Aber Lernen, gerade in den ersten beiden Schuljahren, kann so nur sehr begrenzt erfolgen. Wischen können die Kinder doch alle, heißt es immer mit Blick auf Tablets. Aber für das weitere Lernen werden Schreiben und Lesen als Voraussetzung gebraucht, um erfolgreich weiter zu machen. Dafür braucht es Übung und die Unterstützung der Pädagogen.

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