Bedrohtes Volk in Nordschweden

Die Samen, Greta und die seltenen Erden: „Das letzte indigene Volk der EU wird geopfert“

Der Klimawandel hat nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Die samische Bevölkerung protestiert nun an verschiedenen Orten, um sich zu Wort zu melden.

Der Klimawandel hat nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Die samische Bevölkerung protestiert nun an verschiedenen Orten, um sich zu Wort zu melden.

Kiruna. Es ist ein Fund, der in ganz Europa Beachtung fand. Vor wenigen Wochen hat der schwe­dische Bergbaukonzern LKAB in Nordschweden die bedeutendsten Vorräte an sogenannten seltenen Erden in ganz Europa entdeckt. Mehr als eine Million Tonnen seltener Erden warten in Kiruna darauf, gehoben zu werden.

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Derartige Metalle sind unverzichtbar für viele Hightechprodukte, auch die Energiewende kann ohne sie nicht gelingen, sie werden bisher hauptsächlich von China abgebaut und kontrolliert. Der Fund in Schweden, so hieß es deshalb vor einigen Wochen in Brüssel, könne die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie maßgeblich stärken und Abhängig­keiten verringern.

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Doch die Freude über den Fund ist in der Region in Nordschweden selbst durchaus getrübt. Denn das Gebiet rund um den Fundort ist der traditionelle Lebensraum der Samen, des letzten indigenen Volks Europas. Die meisten Samen leben in den nördlichen Teilen Schwedens, Finnlands, Norwegens und Russlands, viele von ihnen sind Rentierbesitzer oder arbeiten in der Rentierzucht. „Das letzte indigene Volk der EU wird geopfert, um die Rohstoff­abhängigkeit der EU von China und Russland zu verringern“, klagte Svenska Samernas Riksförbund, der Verband für Rentierzüchter in Schweden, kürzlich auf Facebook.

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Proteste in Norwegen

Gerade am Montag und Dienstag machten samische Aktivistinnen und Aktivisten auch in Norwegen auf sich aufmerksam. Sie blockierten zusammen mit der schwedischen Klima­aktivistin Greta Thunberg aus Protest gegen Windkraftanlagen im Westen Norwegens den Zugang zum Energieministerium in Oslo. „Wir können die sogenannte Klimawende nicht als Deckmantel für Kolonialismus benutzen“, sagte Thunberg am Montag vor den Türen des Ministeriums. „Eine Klimawende, die die Menschenrechte verletzt, ist keine Klimawende, die ihres Namens würdig ist“, sagte die Aktivistin dem Sender TV2.

Greta Thunberg hat sich den Aktivistinnen und Aktivisten von Natur und Jugend und der norwegischen Sami-Vereinigung Nuorat angeschlossen, die Eingänge zum Ministerium für Öl und Energie blockieren.

Greta Thunberg hat sich den Aktivistinnen und Aktivisten von Natur und Jugend und der norwegischen Sami-Vereinigung Nuorat angeschlossen, die Eingänge zum Ministerium für Öl und Energie blockieren.

Die samischen Aktivistinnen und Aktivisten fordern den Abriss der Windparks in der Region Fosen im Westen Norwegens: mehr als 500 Tage nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegen die Anlagen. Der Gerichtshof hatte beschieden, dass das Windparkprojekt die Rechte der indigenen Samen beschneide, ihre Kultur der Rentierzucht zu praktizieren. Die Vertreter der Samen verlangen nun den Abriss der Windkraftanlagen – selbst wenn das dem Kampf gegen Klimawandel nicht zuträglich ist.

Per Geijer: der Beginn einer Ära – das Ende einer anderen

Auch in Nordschweden muss abgewogen werden zwischen den Notwendigkeiten der Energiewende und den Rechten der Samen. Die Stadt Kiruna ist bereits für ihre riesige Eisenmine bekannt, die die weltweit größte für die Gewinnung von Eisenerz ist. Bei dem neuen Vorkommen, der Lagerstätte „Per Geijer“, handelt es sich laut LKAB um die größte bekannte Lagerstätte für kritische Rohstoffe in Europa. Eine Million Tonnen Seltenerd-Oxide, über 500 Millionen Tonnen Mineralvorkommen mit hohem Eisengehalt und etwa die siebenfache Menge an Phosphor, als bereits am Standort abgebaut wird. Diese Erdmetalle sind von größter Bedeutung für die Herstellung von unter anderem Elektroautos, Wind­kraftanlagen und Mobiltelefonen.

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Erdmetalle sind laut EU‑Kommission auch Materialien, die in der kommenden Zeit aufgrund der Digitalisierung und Elektrifizierung verstärkt nachgefragt werden. „Diese Stoffe werden heute in Europa so gut wie nicht produziert – daher ist dieser Befund bedeutsam für die künftige Selbstversorgung der EU“, sagt auch Anders Lindberg, Sprecher des LKAB. Bislang importiere Europa den Großteil des Phosphors aus Russland und die seltenen Erden aus China. Allerdings werde es laut LKAB mindestens zehn bis 15 Jahre dauern, bis die Rohstoffe abgebaut werden könnten.

Der staatseigene schwedische Bergbaukonzern LKAB hat im Norden des Landes ein bedeutendes Vorkommen seltener Erden entdeckt.

Der staatseigene schwedische Bergbaukonzern LKAB hat im Norden des Landes ein bedeutendes Vorkommen seltener Erden entdeckt.

Für die Rentierhalterkooperative Gabna Sameby bedeutete das Vorkommen in Kiruna vor allem eine Bedrohung ihrer Kultur. „Dies wäre das Ende unserer Rentierzucht“, sagt Karin Kvarfordt Niia, Vertreterin der Gabna Sameby. Ihr Land würde in zwei Hälften geteilt, wenn die Mine in Per Geijer tatsächlich gebaut würde. Laut Verband mache das die Rentierzucht dort unmöglich.

Ein Schock für die Samen

Das Gebiet um Per Geijer ist der letzte Durchgang der Rentiere zu den Weiden, die seit dem Abschmelzen der Eisdecke von den Samen genutzt wurden. „Es war ein Schock für uns, als LKAB das präsentierte. Wir werden die jahrtausendealte Rentierhaltung nicht mehr durch­führen können“, sagt Kvarfordt Niia.

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In den vergangenen 130 Jahren hat LKAB bereits viele Gebiete rund um Kiruna verschlungen, die traditionelles samisches Land waren. Die Samen wurden nach und nach von diesem Land vertrieben, Siedlungen und traditionelle Rentierrouten können nicht mehr genutzt werden.

Seit zwei Jahren hat die Bergbaufirma den Standort für die seltenen Erden untersucht, und davon wusste auch Gabna Sameby schon seit langer Zeit. Aber nur zwölf Stunden bevor das Vorkommen mehreren hochrangigen Vertretern der EU präsentiert wurde, erfuhr die Sameby von den Neuigkeiten in Per Geijer.

Das Unternehmen habe den Samen viel zu wenig Zeit gegeben, sich gegen die Nachricht zu wehren, sagt Karin Kvartfort Niia. „Vom ersten Moment an, als LKAB mit uns über diese Land­gebiete gesprochen hat, war uns klar, dass sie dieses Gebiet nicht berühren dürfen. Aber weder der schwedische Staat noch LKAB respektiert uns. Die Art und Weise, wie sie die Informationen präsentieren, zeigt auch, dass sie sich entschieden haben, unsere Menschen­rechte zu verletzen, eine samische Kooperative abzuschneiden und dem einzigen indigenen Volk der EU zu schaden“, sagt Kvarfordt Niia.

Karin Kvarfordt Niia will keine neue Mine in Per Geijer haben. Die Vertreterin der Gabna Sameby sagt, dass es die Rentierhaltung zerstört.

Karin Kvarfordt Niia will keine neue Mine in Per Geijer haben. Die Vertreterin der Gabna Sameby sagt, dass es die Rentierhaltung zerstört.

Das Bergbauunternehmen LKAB sieht das anders. Sprecher Anders Lindberg sagte dem RND, dass sie die Samen respektierten und Wege finden wollten, mit ihnen zu koexistieren. Man werde möglichst wenig Land beanspruchen und den Verbrauch kompensieren, indem man zum Beispiel Wildbrücken bauen lasse. Eine Wildbrücke ist eine Brücke, die wilden Tieren helfen soll, Hindernisse zu überwinden und gefahrlos zu queren.

Die Gesellschaft müsse entscheiden, ob es in Per Geijer diese Mine geben wird oder nicht. Lindberg argumentiert, die Lagerstätte in Kiruna habe schließlich das Potenzial, zu einer grünen Wende beizutragen, die alle vor dem Klimawandel retten könne. Man müsse abwägen und auch bedenken, „dass der Klimawandel alle samischen Kooperativen überall betreffe. „Ich sage nicht, dass es sehr einfach zu lösen ist. Aber auf der einen Seite ist hier eine Rentier­halter­­kooperative eingeschränkt durch die geplante Mine. Auf der anderen Seite sind alle Rentierhalter­kooperativen vom Klimawandel betroffen, den wir mit den seltenen Erden bekämpfen können.“

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Die Frage ist: Was ist eigentlich nachhaltig?

Karin Kvarfordt Niia von der Rentierhalterkooperative ist mit dieser Position von LKAB nicht zufrieden. „Selbst wenn sie uns durch Brücken und Zäune helfen, unsere Rentiere brauchen andere Bedingungen, um zu überleben.“ Doch sie stimmt zu, dass die Rentierhaltung bereits jetzt negativ vom Klimawandel betroffen ist und das in der Zukunft noch mehr tun wird.

Allerdings sieht sie die Lagerstätte in Per Geijer nicht als Teil eines nachhaltigen Übergangs. „Es ist wichtig, den Klimawandel zu stoppen, aber es muss mit Bedacht und nicht zu den Bedingungen der Industrie geschehen. Dass LKAB es für vernünftig hält, ein indigenes Volk zu opfern, zeigt nur, dass sie von Geld getrieben werden.“

Sie weist darauf hin, dass das Land und das Wasser neben der Mine verschmutzt werden, genauso wie es bei den anderen Minen in der Gegend passiere. „Kein vernünftiger Mensch würde zum Beispiel einen Fisch aus dem Torneälven essen.“ Sie erwähnt auch, dass das Land durch die Minen in der Stadt so stark „untergraben“ sei, dass Gebäude geleert und abge­rissen werden müssten. Seit einigen Jahren läuft in Kiruna ein Prozess, bei dem die Stadt schrittweise umgesiedelt wird, um Platz für die Bergbauindustrie zu schaffen. „Sie nehmen sich Freiheiten, die weit über das hinausgehen, was Sie haben, und verpacken es unter dem Vorwand, dass sie für die grüne Wende benötigt werden. Aber es ist nicht grün, nur etwas weniger schlimm.“

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Im Gegensatz dazu sieht sie die Rentierhaltung als nachhaltige Landnutzung. „Wir haben hier sehr lange operiert, ohne Spuren oder Wunden in der Natur zu hinterlassen. Das ist Nach­haltig­keit, denken wir.“

Die international bekannte Expertin für Seltenerdmetalle, Professorin Julie Klinger aus den USA, ist in ihrer Forschung zu dem Schluss gekommen, dass diese Metalle gar nicht so selten sind, wie ihr Name vermuten lässt. Sie sind zwar schwer zugänglich, aber laut Zahlen aus dem Jahr 2015 sind sie an mehr als 800 Orten auf der ganzen Welt zu finden.

Auf diese Forschung von Professor Klinger bezieht sich auch Karin Kvarfordt Niia. „Wer grün und langfristig nachhaltig denken will, muss bereits zerstörtes Land nutzen. Beginnen Sie damit, Systeme zu finden, um das zu nutzen, was sich in den bereits bestehenden Minen befindet. Auf diese Weise würde LKAB auch zeigen, dass sie die einzige indigene Bevölkerung der EU respektieren.“

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