Die Politik ist nicht schuld am Wirecard-Skandal
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Befragung im Untersuchungsausschuss.
© Quelle: Getty Images
Berlin. Nein, es war nicht Olaf Scholz, der die Bilanzen des früheren Dax-Konzerns Wirecard manipuliert hat. Es war nicht Peter Altmaier, der Geldscheinbündel in Aldi-Tüten aus der Konzernzentrale in Aschheim bei München herausgetragen hat. Und es war auch nicht Angela Merkel, die dem Hauptverdächtigen Jan Marsalek die Flucht ermöglicht hat.
Verantwortung und Schuld für den Wirecard-Skandal, einen der größten Betrugsfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte, liegen zuallererst beim früheren Management. Dort waren Betrüger am Werk, die über Jahre und mit hoher krimineller Energie die Schwachstellen im System für den eigenen Vorteil ausnutzten. Die Bande krimineller Nadelstreifenträger ist ein Fall für Strafverfolger und Gerichte.
Vor diesem Hintergrund war es übertrieben, die zurückliegenden Tage im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur „Woche der Wahrheit“ zu erklären. Der Erkenntnisgewinn, den die stundenlangen Vernehmungen von vier Ministern, einem Staatssekretär und der Bundeskanzlerin gebracht haben, steht in einem Missverhältnis zu dem Getöse im Vorfeld.
Und trotzdem war es richtig, dass die Abgeordneten die Regierungsvertreter über deren Verhältnis zum einstigen Börsenshootingstar befragten. Zu viele Gerüchte standen im Raum. Hatte Finanzstaatssekretär Jörg Kukies 2019 mit dem damaligen Wirecard-Chef Markus Braun dessen Geburtstag gefeiert? Hatte Finanzminister Olaf Scholz die Rettung des Unternehmens mit Steuermilliarden geplant? Und hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen einer China-Reise für das Unternehmen eingesetzt, obwohl sie längst von massiven Unregelmäßigkeiten wusste?
Diese Fragen mussten gestellt, und sie mussten beantwortet werden. Dass die politischen Zeugen in allen drei Fällen mit einem entschiedenen „Nein“ antworteten, kam wenig überraschend.
Warum der Wirecard-Ausschuss ein Erfolg war
Der Wirecard-Ausschuss war dennoch ein Erfolg. In Rekordzeit haben sich die Abgeordneten durch Tausende Aktenseiten geackert. Sie haben mehrere Hundert Stunden Zeugenaussagen gesammelt, oft bis spät in die Nacht. Mühsam, aber stetig haben sie das lückenhafte Bild des Skandals vervollständigt – auch wenn manches Rätsel vorerst ungelöst bleibt. Das vielleicht wichtigste: Wo steckt Schlüsselfigur Jan Marsalek?
Die Arbeit des Untersuchungsausschusses blieb nicht ohne Folgen, vor allem für die Aufsichtsbehörden, denen im Gegensatz zur Politik gravierende Fehler und schwere Versäumnisse anzulasten sind. Dass Kontrolleure trotz eindeutiger Hinweise weggesehen haben, dass sie den Ausreden der Beschuldigten eher glaubten als der Arbeit investigativer Journalisten, dass sie zum Teil sogar auf eigene Rechnung mit Wirecard-Aktien handelten, ist nicht hinnehmbar. Die Entlassung der Chefs der Finanzmarktaufsicht Bafin und der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas war deshalb unvermeidlich.
Wichtiger als personelle Konsequenzen an der Spitze aber ist, dass die staatlichen Kontrollbehörden von Grund auf besser aufgestellt werden. Auch für private Wirtschaftsprüfer wie jene von Ernst & Young, die die Erfindung von Milliardenumsätzen über Jahre nicht bemerkten, müssen strengere Regeln her. Beides haben die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss durch ihre Arbeit eindrucksvoll belegt.
Wirtschaftsminister Altmaier und Finanzminister Scholz haben versprochen, zügig schärfere Regeln für die Kontrolleure einzuführen. An diesem Versprechen wird man sie messen. Mag sein, dass die Politik keine Schuld am Wirecard-Skandal trägt. Aber sie trägt umso größere Verantwortung dafür, dass er sich nicht wiederholen kann.