Die Grundrente ist richtig – und darf nicht das Ende der Rentenreformen sein
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Der Bundestag hat die Grundrente beschlossen – aber wann bekommen die Menschen das Geld?
© Quelle: Dobrilla Vignejvic/Getty Images/iStockphoto
Eine Grundrente einführen – mitten in der Corona-Krise? Dafür 1,3 bis 1,6 Milliarden Euro im Jahr ausgeben? Kann das richtig sein?
Ja, es ist gut, dass die große Koalition nach einem viele Monate langen Dauergezerre endlich die Grundrente im Bundestag beschlossen hat. Denn die Grundrente ist geeignet, ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem zumindest abzumildern: Es gibt viele Menschen, die jahrzehntelang hart gearbeitet und eingezahlt haben, die aber am Ende wegen niedriger Löhne nur eine sehr geringe Rente herausbekommen.
Es geht nicht nur um Mathematik
Mathematisch ist die Höhe der Rente in solchen Fällen korrekt ermittelt, sie wird aber von den meisten Menschen nicht als gerecht empfunden. Gemessen an der Lebensleistung des Einzelnen ist sie es auch nicht.
Es geht um die Rente der Frisörin, die für einen überschaubaren Lohn von früh bis spät im Geschäft gestanden hat. Es geht um die Supermarktkassiererin oder zum Beispiel auch den Krankenpfleger. Das sind Menschen, denen wir auf unseren Balkonen in der Corona-Krise ein ums andere Mal fleißig applaudiert haben. Applaus reicht aber nicht aus. Echte Wertschätzung bemisst sich auch daran, ob wir uns den Einsatz von Menschen etwas kosten lassen.
Niemand wird so naiv sein zu glauben, wir würden den Krankenpfleger oder die Kassiererin wegen der erkannten Systemrelevanz künftig wie einen Fußballprofi bezahlen. Es sind Zweifel erlaubt, ob die Gesellschaft nach der Krise – trotz der vielen Sonntagsreden – tatsächlich die Kraft aufbringt, die Arbeit dieser Menschen zumindest etwas aufzuwerten. Vollkommen absurd wäre es aber gewesen, ihnen jetzt auch noch zu sagen: Die in Aussicht gestellte Grundrente gibt es nun doch nicht, weil das Konjunkturpaket in der Corona-Krise zu teuer geworden ist.
Das gilt umso mehr, als die Politik das Problem zu schmaler Renten für diese und andere Menschen lange erkannt hat: Mehrere Vorgängerregierungen hatten sich daran gemacht, etwas zu entwickeln, was denen hilft, die nach jahrzehntelanger Arbeit mit sehr wenig auskommen müssen. Einer der Gründe, warum es vorher nie geklappt hat, ist, dass solche Eingriffe ins Rentensystem höchst kompliziert sind.
Keine Frage, das Gesetz, das die große Koalition jetzt beschlossen hat, ist alles andere als perfekt. Es wird – wie übrigens immer in der Rentenpolitik – nicht jedem gleichermaßen gerecht. Aber es bedeutet für viele eine konkrete Verbesserung.
Das hat Hubertus Heil durchgeboxt
Arbeitsminister Hubertus Heil und die Sozialdemokraten haben bei der Grundrente gegen die Union eine Lösung durchgeboxt, die deutlich über das hinausgeht, was im Koalitionsvertrag vereinbart war. Die Union wiederum hat eine Einkommensprüfung durchgesetzt, um die Grundrente zielgenauer zu machen und die Kosten zu begrenzen.
Im Zuge des harten Ringens in der Koalition – mit immer neuen Finten von beiden Seiten – ist die Lösung am Ende sehr kompliziert geworden. Eigentlich ist es kaum zu glauben: Das Gesetz soll zum 1. Januar 2021 in Kraft treten, aber viele werden im schlimmsten Fall erst Ende 2022 das zusätzliche Geld bekommen, wenn auch rückwirkend. Die Deutsche Rentenversicherung steht vor einer Herkulesaufgabe und würde sich wünschen, der Gesetzgeber hätte es ihr einfacher gemacht. Die Verwaltungskosten sind bedrückend hoch.
Paradoxerweise stellt die große Koalition mit der Grundrente also beides unter Beweis: Union und SPD sind – auch jenseits von Corona-Krisenbewältigung – noch immer in der Lage, gemeinsam etwas zustande zu bringen. Der steinige Weg zum Gesetz legt aber dennoch nahe, dass die Gemeinsamkeiten in der Frage, wie das Land grundlegend weiterentwickelt werden kann, zunehmend aufgebraucht sind.
Bei der Grundrente ist es der großen Koalition gelungen, einen Pflock für mehr Gerechtigkeit ins Rentensystem einzuschlagen. Das sollte zugleich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Union und SPD sich in dieser Legislaturperiode davor gedrückt haben, einen dauerhaften Plan zu entwickeln, wie die Rente in Zeiten des demografischen Wandels zukunftsfähig wird. Die nächste Bundesregierung muss diese Aufgabe angehen. Sie lässt sich dann nicht mehr ignorieren.