Der Hauptstadtflughafen BER eröffnet doch noch: Aus der Zeit geflogen

Flughafen Berlin-Brandenburg BER: Ein Flughafen, ja und?

Flughafen Berlin-Brandenburg BER: Ein Flughafen, ja und?

Schönefeld. Wer das Terminal des neuen Hauptstadtflughafens BER betritt, kommt an Ikarus vorbei. Da liegt er abgestürzt am Boden, die Flügel über dem hellen Jura-Kalkstein ausgebreitet – ein Opfer seines eigenen Übermuts. Die Skulptur, die die Gesichtszüge des Luftfahrtpioniers Otto Lilienthals trägt, stand früher am Flughafen Berlin-Tegel. Jetzt, in seiner neuen Umgebung, wirkt der Bronze-Ikarus wie ein ironischer Kommentar zu diesem ewigen Nichtflughafen, dieser Kathedrale des Brachliegens und Scheiterns, diesem Mahnmal der Inkompetenz und Selbstüberschätzung.

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Der modernste Flughafen Europas sollte hier einmal entstehen. Er verkam zur internationalen Lachnummer – und öffnet nun nicht nur mitten in der Corona-Pandemie, sondern auch in einer Zeit, in der eine Kathedrale der Luftfahrt als Anbetung einer aus der Zeit gefallenen Gottheit erscheint.

Am Samstag soll der in Schönefeld vor den Toren Berlins gelegene Flughafen endlich öffnen – nach fast drei Jahrzehnten Planungs- und fast 14 Jahren Bauzeit mit opulenter Verspätung. Anders, als es 2012 geplant war, geht der Flughafen Berlin-Brandenburg Willy Brandt nun ohne Pomp und Party ans Netz. Angesichts sinnlos verplanter Milliarden und einer blamablen Leistung von Managern, Planern, Ingenieure und Politikern verbietet sich die große Geste . „Es gibt keinen Grund, sich zu brüsten. Wir machen einfach auf“, sagt Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup.

Engelbert Lütke Daldrup, Flughafenchef, steht im Terminal 1 vor der Eröffnung des Flughafens Berlin-Brandenburg Willy Brandt.

Engelbert Lütke Daldrup, Flughafenchef, steht im Terminal 1 vor der Eröffnung des Flughafens Berlin-Brandenburg Willy Brandt.

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Dem Stadtplaner und ehemaligen Berliner Staatssekretär ist gelungen, woran drei hoch dotierte Geschäftsführer und ebenso viele Bauleiter vor ihm gescheitert waren. Er hat das verfahrenste Bauprojekt der Republik in den vergangenen drei Jahren pragmatisch und zielstrebig zu einem Ende geführt. Genau das war sein Auftrag. Wenn am Samstagnachmittag die ersten beiden Maschinen am BER landen, hat er doppelten Grund zu feiern: Es ist sein 64. Geburtstag.

Er habe den Job als Flughafenchef vor drei Jahren in einer Mischung aus „Verantwortung und Pflichtgefühl“ übernommen, sagt der Mann mit der schmalen Statur und der manchmal ins Kieksige kippenden Stimme. Anders als seine Vorgänger brachte Lütke Daldrup Bau- und Planerfahrung mit. Er war als Leipziger Stadtplaner an der Olympiabewerbung beteiligt und am Umbau des Zentralstadions beteiligt, der heutigen Red-Bull-Arena. Ein halbes Jahr nahm er sich Zeit, um sich einen Überblick über die Mängel auf der Baustelle zu verschaffen, die vor allem hinter den Deckenverkleidungen, in den Kabelschächten und Lüftungsanlagen lauerten. Erst vor einem Jahr, als er wirklich sicher war, dass die Probleme beherrschbar sind, legte er sich auf das Eröffnungsdatum fest.

Lütke Daldrup brachte die Baustelle auf Kurs

Sein Verdienst: Er hat erkannt, dass einige Bau- und Technikfirmen den BER regelrecht gemolken haben – und zwar völlig legal. Sie hatten mit der überforderten Flughafengesellschaft einst lukrative Verträge abgeschlossen, die keine Fertigstellungsfristen kannten. Jeder Monat Nichteröffnung, jeder gerissene Eröffnungstermin bedeutete, dass für sie weiter Geld floss. Lütke Daldrup verpflichtete die Vertragsnehmer auf konkrete Zusagen und sorgte dafür, dass der weitgehende Stillstand, der seit der abgeblasenen Eröffnung 2012 geherrscht hatte, ein Ende nahm.

Das erkennt auch der unabhängige Flughafenplaner Dieter Faulenbach da Costa an, einer der schärfsten Kritiker des BER. „Lütke Daldrup hat das Projekt mit dem Glück des Tüchtigen erfolgreich zu Ende geführt“, sagt er. „Er weiß als Stadtplaner, wie Behörden funktionieren, und er hat sich nicht von den Baufirmen oder von der Politik treiben lassen. Das muss man neidlos anerkennen.“

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Aber, sagt Faulenbach: „Auch Lütke Daldrup hat die technischen und funktionalen Probleme des Flughafens nicht gelöst.“ Der BER sei zu klein geplant, habe zu wenige Gepäckbänder und Check-in-Schalter für einen Flughafen dieser Größe, sagt er. Für 24 Millionen Passagiere im Jahr ist das gläserne Terminal ausgelegt. „Die Frage, ob die Kapazitäten reichen, wird der BER wegen Corona in den nächsten Jahren nicht unter Beweis stellen müssen“, sagt Faulenbach.

In der Corona-Krise ist der Flugverkehr massiv eingebrochen: Ein gutes Dutzend Lufthansa-Jets steht geparkt am BER.

In der Corona-Krise ist der Flugverkehr massiv eingebrochen: Ein gutes Dutzend Lufthansa-Jets steht geparkt am BER.

Dieter Faulenbach da Costa war um die Jahrtausendwende selbst am Projekt BER beteiligt. Er beriet damals das Unternehmen Hochtief, als der Flughafen noch von privater Hand gebaut und betrieben werden sollte. Die Privatisierung wurde gestoppt, weil das Konsortium von der Politik ein Renditeversprechen forderte – auf Steuerzahlerkosten.

2007, nach Baubeginn, beschlossen die BER-Gesellschafter Berlin, Brandenburg und der Bund, den Flughafen auf eigene Faust zu bauen – und zwar aus Kostengründen ohne einen Generalunternehmer, der das komplexe Projekt koordinieren würde. Ein großer Fehler, sagt Faulenbach, aber nicht der entscheidende. „Man hat den Flughafen, während schon gebaut wurde, umgeplant und gleichzeitig noch erweitert. Das war tödlich.“

Der Brandschutz war die Achillesferse

Auf Wunsch der Politik wurde auch das Terminal mehrfach während des Baus verändert, mit mehr Handelsflächen versehen und sogar mit einem zusätzlichen Geschoss ausgestattet. Dass größere Flächen und mehr Räume auch ein leistungsfähigeres Sprinklersystem benötigen, hatte man dummerweise übersehen.

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Der Brandschutz entpuppte sich die Achillesferse. Die labyrinthische Entrauchungsanlage sollte sich der klaren Architektur unterordnen. Entgegen der Physik sollte Rauch im Brandfall über unterirdische Luftschächte, durch die bequem ein SUV fahren könnte, nach draußen geblasen werden. Die Anlage hatte zu wenig Power, die Steuerung signalisierte permanent: „Störung“.

Fast 15.000 Mängel dokumentierten die BER-Prüfer alleine an diesem „Monster“, so der interne Spitzname. Kurz vor der damals für Juni geplanten Eröffnung klappte am BER so gut wie gar nichts.

Großreinemachen am BER vor der Eröffnung.

Großreinemachen am BER vor der Eröffnung.

Bis zuletzt versuchte das damalige Management, den Airport trotzdem ans Netz zu bringen, obwohl zum Beispiel die elektronische Türsteuerung streikte. Die Flughafengesellschaft ersann kurzerhand die sogenannte Mensch-Maschine-Lösung, die aus einem Monty-Python-Sketch stammen könnte: Im Notfall sollten eben 700 Helfer die Türen mit der Hand öffnen und schließen. Die Baubehörde lehnte dieses gemeingefährliche Theater ab und versagte dem BER schließlich die Genehmigung.

Das Brandschutzmonster ist inzwischen gezähmt. Auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Terminal faucht jetzt nur noch das Dampfbiest. „Steam Beast“ steht am Wagen der Reinigungsfirma, die mit einem riesigen Hochdruckreiniger gegen die letzten hartnäckigen Verkrustungen vorgeht, die der jahrelange Stillstand auf den Platten und Treppenstufen hinterlassen hat. Zur Eröffnung soll wenigstens alles sauber aussehen.

Die Nervosität – und ja, auch ein bisschen Vorfreude – ist im Noch-nicht-Flughafen wenige Tage vor dem Beginn mit Händen zu greifen. Auch bei den Sicherheitsleuten in den gelben Neonwesten, die vor den Treppen zur Haupthalle stehen und Neugierigen den Zugang versperren: „Am Samstag geht es los, jetzt noch nicht“, sagen sie dem zu früh eingetroffenen Gast.

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Noch immer wird hier gewerkelt. Handwerker schrauben noch Regale für einen Supermarkt an, das Reisezentrum der Bahn daneben ist dagegen schon fertig eingerichtet, und der Bäcker verkauft Brezeln.

Jahrelang im Schlafzustand: Das Hotel Steigenberger am BER.

Jahrelang im Schlafzustand: Das Hotel Steigenberger am BER.

In der Bar des Steigenberger Hotels sitzt noch kein einziger Gast. Neun Jahre lag der fertige Luxuskasten direkt neben dem Terminal im Schlafzustand, regelmäßig wurden Wasserhähne an- und abgedreht und Toilettenspülungen betätigt, damit nichts gammelt. „Nun wachen wir langsam auf“, sagt der Rezeptionist. Zwei Bundeswehrsoldaten in Uniform kommen vorbei. Sie sind zum Corona-Einsatz in Berlin in Marsch gesetzt, das Hotel bot dem Militär einen guten Preis. In der Bar läuft Jazz in Endlosschleife, kein Staubkorn ist zu sehen. Die Möbel konnte man behalten, die Monitore mussten nach neun Jahren ausgewechselt werden, berichtet die Kellnerin.

Am BER nebenan musste auch viel ausgewechselt werden. Unfähige Geschäftsführer, falsche Ingenieure, korrupte Prokuristen, veraltete Technik, Tausende Kilometer Kabel. Zuletzt sogar die Mülleimer. Beim Probebetrieb mit 10.000 Komparsen stellte sich heraus, dass die Mülleimer zu kleine Öffnungen haben und schon bei mittelgroßen Kaffeebechern verstopfen.

Aber das war für Patrick Muller nicht die wichtigste Schlussfolgerung aus dieser mehrwöchigen Generalprobe. Muller wurde vor zwei Jahren an den BER geholt. Er hat zuvor als Planer und Betriebsleiter an den Airports von Doha, Dubai und Dschidda gearbeitet. Mit dem Ergebnis des Probebetriebs ist er zufrieden. Zumindest im Rollenspiel funktioniert der Flughafen.

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„Meine größte Sorge war, dass die Fluggäste, wenn sie vom Bahnhof ins Terminal kommen, einfach vor den Informationstafeln stehen bleiben und die nachfolgenden Passagiere nicht mehr von der Rolltreppe runterkommen“, sagte er bei einem Rundgang durch das Terminal. Immerhin kann ein Regionalexpress, der direkt unter dem Terminal hält, 600 bis 800 Leute auf einmal ausspucken.

Doch die Befürchtung war laut Muller unbegründet. Zwar stehen die Anzeigetafeln nur wenige Meter vom Ende der Rolltreppen entfernt. Aber ihre Schrift darauf sei so klein, dass die Passagiere gezwungen seien, näher heranzutreten und so den Weg hinter sich freizugeben, erklärt Muller zufrieden.

Am Eröffnungswochenende dürfte es ohnehin nicht allzu voll werden. Am Samstag werden nur Maschinen landen. Am frühen Nachmittag sollen sich zwei Flugzeuge von Lufthansa und Easyjet im Luftraum südöstlich von Berlin begegnen und dann gemeinsam zeitgleich am BER landen. Das ist der Plan. Der britische Billigflieger nimmt die Nachfolge der gescheiterten Air Berlin als zweiter wichtiger Gesellschaft am Ort ein. Zurzeit zeigt sich die Doppeldominanz der beiden Linien darin, dass jede von ihnen ein gutes Dutzend Jets auf dem Rollfeld geparkt hat, die Triebwerke mit Schutzfolien überzogen. Corona zwingt die nicht benötigten Jets dazu, am Boden zu bleiben.

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„Am Boden bleiben“ nennt sich auch ein Protestbündnis, das in Pinguinkostümen am Eröffnungstag den Flughafen blockieren will. Die Protestler im Gewand der flugunfähigen Vögel fordern, den BER zu einem „Museum des fossilen Kapitalismus“ zu erklären. Doch viel zu blockieren gibt es nicht. Nur eine reguläre Maschine landet am Eröffnungsabend.

Für die Öffentlichkeit ist das Terminal erst ab 20 Uhr abends geöffnet. Der erste richtige Flugbetriebstag wird dann der Sonntag sein, mit dem Eröffnungsflug vom BER nach London-Gatwick. Die Zahl der Passagiere selbst wird überschaubar sein. „Wir erleben derzeit die größte Krise der Luftfahrt seit Ende des Zweiten Weltkriegs“, sagt Flughafenchef Lütke Daldrup und räumt ein, dass damit bei der Eröffnung auch etwas weniger Druck auf dem Kessel ist. „Wir erwarten etwa nur 20 Prozent dessen, was für einen Herbst normal wäre“, erklärt er. Die Inbetriebnahme des Lowcost-Terminals T2, das ausnahmsweise im Kostenrahmen blieb und rechtzeitig fertig wurde, wird daher derzeit gar nicht gebraucht.

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Der Flughafen bleibt ein Sanierungsfall

Zu der Verdreifachung der Baukosten von 2 auf 6 Milliarden Euro kommen nun Einnahmeverluste durch die Corona-Krise. Die Flughafengesellschaft fährt ein Sparprogramm, die BER-Besatzung ist in Kurzarbeit. Auch nach seiner Eröffnung bleibt der Flughafen ein Sanierungsfall. Eine weitere halbe Milliarde Euro an Staatshilfen wird die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg im kommenden Jahr benötigen.

Juristisch belangt wurde für das ganze Flughafendebakel bis heute niemand. Mag auch vieles am BER nicht geklappt haben, auf eines konnte man sich immer verlassen: Der Verantwortungsverschiebebahnhof hat stets funktioniert.

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