Ruanda statt Großbritannien: Das steckt hinter Johnsons Plänen für Geflüchtete
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Winkend steigt der britische Premierminister Boris Johnson in ein Flugzeug ein.
© Quelle: Getty Images
London. Priti Patel ergriff diese Woche im Parlament selbstbewusst das Wort. „Unser Mitgefühl ist unendlich, nicht aber unsere Kapazität“, sagte die 50-jährige Innenministerin zischend in Richtung der Opposition und verteidigte so die höchst umstrittenen Pläne der britischen Regierung, Migranten in das rund 7000 Kilometer entfernte Ruanda zu schicken. Ihr Argument: Anders als die Labour-Partei böten die Tories nun endlich eine „innovative“ Lösung an.
Doch was meint Patel, wenn sie von einer innovativen Lösung spricht? Die Regierung will männliche Geflüchtete, die mit Hilfe von Schleppern nach Großbritannien gekommen sind, in das ostafrikanische Land ausfliegen. Dort sollen diese zunächst in vorübergehenden Unterkünften untergebracht werden und schließlich dauerhaft dort leben können – insofern ihrem Asylantrag stattgegeben wird. Eine Rückkehr in das Vereinigte Königreich sei nicht vorgesehen, hieß es.
Erste Flüge von Großbritannien in Richtung Ostafrika im Mai?
Dem Innenministerium zufolge sollen Wirtschaftsflüchtlinge so von der gefährlichen und illegalen Überfahrt über den Ärmelkanal abgeschreckt und Schleusern das Handwerk gelegt werden. Und das wohl sehr bald. Schon im Mai könnten die ersten Flüge Richtung Ostafrika starten, erklärte ein britischer Regierungsvertreter kürzlich.
Der ruandische Präsident Paul Kagame stimmte dem Deal laut Medienberichten Mitte April zu, um zur Lösung der internationalen Flüchtlingskrise beizutragen und um Investitionen zur Weiterentwicklung ihres Landes zu erhalten, wie es hieß. Laut Premierminister Boris Johnson fiel die Wahl auf das Land, da es angeblich „eines der sichersten Länder der Welt“ sei.
Nach Partygate-Affäre: Boris Johnson entschuldigt sich im Parlament
Der britische Premier Johnson hat sich im Unterhaus für sein Verhalten in der sogenannten Partygate-Affäre entschuldigt.
© Quelle: Reuters
In Großbritannien stehen „die Kommunalwahlen an“
Der Zeitpunkt für die Ankündigung des umstrittenen Abkommens ist dabei nicht zufällig, wie Anand Menon von der Denkfabrik „UK in a changing Europe“ gestern gegenüber dieser Zeitung betonte. „Schließlich stehen am 5. Mai die Kommunalwahlen an.“ Tatsächlich hängt die politische Karriere von Johnson und Patel Beobachtern zufolge maßgeblich davon ab, ob sie dem Versprechen, illegale Einwanderung in das Vereinigte Königreich in den Griff zu bekommen, gerecht werden. Denn bislang ist ihnen dies nicht gelungen. Im vergangenen Jahr erreichten Schätzungen zufolge mehr als 28.000 Geflüchtete die englische Küste.
Das Abkommen mit Ruanda ist indes nicht das erste Vorhaben Patels, illegale Migration über den Ärmelkanal einzuschränken. Die meisten Versuche, wie beispielsweise die Forderung nach Pushbacks, also das Zurückdrängen von Migranten auf offener See, wurden jedoch durch das britische Unterhaus gestoppt. Nun will sie Beobachtern zufolge zumindest den „Ruanda-Deal“ als Erfolg vorweisen.
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Beamte der Einwanderungsbehörde und Mitglieder der Royal National Lifeboat Institution (RNLI) helfen einer Gruppe von Menschen, bei denen es sich vermutlich um Migranten handelt, beim Ausstieg aus einem Rettungsboot. Die Menschen wurden nach einem Zwischenfall mit einem kleinen Boot im Ärmelkanal nach Dungeness in Kent gebracht.
© Quelle: Gareth Fuller/PA Wire/dpa
Für Asylexperten gleicht der Vorschlag Patels jedoch eher einem Albtraum. Menschen sollten nicht wie Waren ins Ausland geschickt werden, betonte die UNHCR-Vertreterin Gillian Triggs. Die Opposition rechnete im Parlament überdies vor, dass das Programm die Briten teuer zu stehen kommen werde und wies außerdem auf die fragwürdige Sicherheitslage in Ruanda hin. Mitarbeiter des Innenministeriums drohten gestern mit Streiks und zogen Vergleiche mit der Arbeit für das „Dritte Reich“. Auch die Kirche übte harsche Kritik an den Plänen. Die eigene Verantwortung an ein anderes Land auszulagern sei „das Gegenteil der Natur Gottes“, sagte der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby.
Trotz der Kritik ist der Regierung mit der Ankündigung, Geflüchtete in das ostafrikanische Land ausfliegen zu wollen, wohl ein politischer Coup gelungen, wie Experten betonen. Denn schließlich hatte der Premierminister schon vorausgesagt, dass es sich viele politisch motivierte Anwälte bereits zur Aufgabe gemacht hätten, „die Verschiffung zu verhindern“. In anderen Worten: Selbst wenn die Pläne durch Gerichte gekippt werden, spielt dies in die Hände der Tories, wie die Tageszeitung „The Times“ betont. Schließlich, so die mögliche Argumentation, wollten sie das Problem durch den „Ruanda-Deal“ lösen, wurden dabei jedoch durch Kräfte, die man mit der Labour-Partei verbindet, gestoppt.