Das entscheidende Jahr: Autobauer unter Strom
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Alles auf E: Der Genfer Autosalon steht im Zeichen von Designreihen wie Mercedes EQ.
© Quelle: Foto: Christoph Gateau/dpa
Hannover. Mit dem Genfer Autosalon läutet die Branche in dieser Woche ein entscheidendes Jahr ein: Die Umstellung auf den Elektroantrieb beginnt, und die Konjunktur ist wacklig wie lange nicht mehr.
"Genf leitet eher ein Jahr der Gewinnwarnungen statt der großen Erfolge ein", sagt deshalb der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Während das Geschäft schwieriger wird, müssen die Investitionen steigen, denn allen Herstellern droht das gleiche heikle Datum: Ab 2021 gelten in der Europäischen Union deutlich striktere Abgasvorschriften. Um sie einzuhalten, müssen Hunderttausende Kunden vom Umstieg auf Elektro- oder wenigstens Hybridantrieb überzeugt werden.
So kommt kaum ein Hersteller ohne einschlägige Neuheit nach Genf. Und um klarzumachen, dass eine neue Zeit anbricht, haben viele eigens Elektromarken mit eigenem Design entwickelt. BMW hat das schon lange mit i3 und i8 vorgemacht. Bei Volkswagen trägt alles Elektrische den Namenszusatz ID, bei Mercedes ist es EQ, und Volvo hat die Marke Polestar gegründet. Honda kommt mit einem elektrischen Kleinwagen, Peugeot bringt den neuen 208 in ein paar Monaten als Elektrovariante – die Hersteller setzen alles auf E.
Die Alternativen sind teuer
Sie haben keine Wahl. Lange dachte die Branche, sie könne die künftigen CO2-Vorschriften mit sparsamen Dieseln und neuen Hybridantrieben erreichen, also der Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor. Doch der Diesel ist in Verruf geraten – auch wenn der ADAC bei neuen Modellen gerade makellose Stickoxidwerte gemessen hat. Außerdem wurden die Abgastests verschärft, sodass heute höhere Werte als früher herauskommen. Das trifft auch die Hybridautos, die zudem mit ihrem doppelten Antrieb teuer sind.
Die Alternative ist allerdings noch teurer: Für jedes Gramm Kohlendioxid, das ihre Autos zu viel ausstoßen, müssen die Hersteller von 2021 an 95 Euro Strafe zahlen – multipliziert mit der Zahl der verkauften Autos. Im Durchschnitt der Modellpalette sind 95 Gramm pro Kilometer erlaubt.
Lesen Sie hier: Kommentar: Der Staat muss sich um die E-Mobilität kümmern
Heute liegen selbst die meisten Kleinwagen über diesem Wert, im Durchschnitt kauften die Deutschen im vergangenen Jahr sogar Neuwagen mit mehr als 120 Gramm CO2-Ausstoß. Marken wie Mercedes und BMW könnte das von 2021 an Hunderte Millionen Euro im Jahr kosten, bei VW wäre es deutlich mehr als eine Milliarde – vom Imageschaden ganz abgesehen. Und im smoggeplagten China, dem wichtigsten Markt der Branche, dringt der Staat massiv auf die Umstellung des Antriebs.
Schwache Konjunkturen, sinkende Nachfrage
Die Elektromobile müssen also ein Erfolg werden. Wer kann, steckt alle Kraft in die Entwicklung. „Wir investieren allein in die Elektromobilität in den nächsten drei Jahren über 40 Milliarden Euro“, sagt Bernhard Mattes, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Es könnte noch etwas mehr werden, denn überall hinken die zu spät begonnenen Projekte hinter den Zeitplänen her.
Im nächsten Jahr sollen die Autos im großen Stil verkauft werden – in einem halben Jahr also müssen sie produktionsreif sein. Die Entwickler feilschen mit ihren Chefs um Wochen, Daimler soll die Einführung seines EQC bereits um einige Monate verschoben haben. So etwas treibt die Kosten.
Der Kraftakt kommt in einem ungünstigen Moment, denn es droht auch sonst ein schweres Jahr. Von „herausfordernden Rahmenbedingungen“ ist in den Unternehmensprognosen zu lesen. In vielen Teilen der Welt schwächt sich die Konjunktur ab, vor allem in den beiden wichtigsten Wachstumsmärkten der vergangenen Jahre: In den USA scheint die Konjunktur ihren Höhepunkt vor allem in der Autoindustrie überschritten zu haben, in China schrumpfte zuletzt die Nachfrage – erstmals seit 20 Jahren.
Geringer Produktionsaufwand führt zu Stellenabbau
Der VDA erwartet zwar weiter eine wachsende Produktion der deutschen Hersteller, aber in den heimischen Werken werde sie in diesem Jahr wohl um 5 Prozent schrumpfen. Mattes erwartet dennoch eine stabile Beschäftigung, nachdem die Mitarbeiterzahl in Deutschland im vergangenen Jahr weiter auf 834.400 gestiegen ist. „Das ist der höchste Beschäftigungsstand seit der Wiedervereinigung“, sagt Mattes. Zugleich stellt sich die Branche allerdings auf einen massiven Stellenabbau im nächsten Jahrzehnt ein, denn der Produktionsaufwand für E-Autos ist geringer.
Der Mann, der die hektische Aufholjagd mit ausgelöst hat, kämpft unterdessen mit eigenen Problemen. Tesla-Gründer Elon Musk, seit Jahren Angstgegner der etablierten Autobauer, irritiert mit sonderbaren Tweets, hat Ärger mit der amerikanischen Börsenaufsicht und muss sparen: Der Freigeist, dem Investoren über Jahre hinweg gern Milliarden anvertrauten, will das Einstiegsauto Model 3 nur online verkaufen – weil das billiger sei. Außerdem ist der versprochene Preis von 35.000 Dollar wohl nur mit einer vergleichsweise kleinen Batterie für 350 Kilometer Reichweite zu erzielen. In den nächsten Monaten sollen viele Autos kommen, die das können. Der Tesla-Vorsprung scheint zu schrumpfen.
Von Stefan Winter