Kein Platz für Kritik: Pekings diplomatische Parallelwelt
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Xi Jinping, Chinas Staats- und Parteichef, hält eine Rede während der Eröffnungszeremonie des 20. Kongresses der Kommunistischen Partei Chinas in der Großen Halle des Volkes.
© Quelle: Mark Schiefelbein/AP/dpa
Peking. Selten lassen sich die Realitäten innerhalb und außerhalb der Volksrepublik China noch in Einklang bringen. Doch an Tagen wie diesen stehen sie sich diametral entgegen: Im fernen Ausland verärgern chinesische Wolfskriegerdiplomaten im Wochentakt ihre Gastländer, hat das Reich der Mitte so rasch wie nie zuvor an Ansehen verloren und prügelt ein Generalkonsul schon mal auf Demonstranten ein. Beim Pekinger Parteikongress übt man sich hingegen im Straußenblick: Dort wird alles ignoriert, was auch nur im Entferntesten die nationalistische Propagandashow stören könnte.
Am Donnerstag lud die Parteiführung schließlich zur traditionellen Außenpolitikkonferenz. Thematisch sollte es um Xi Jinpings Diplomatie „mit chinesischen Eigenschaften“ gehen. Und tatsächlich gäbe es momentan viel zu besprechen: etwa Chinas Loyalität zu Wladimir Putin trotz dessen brutalen Angriffskrieg in der Ukraine; der drohende Konflikt mit den USA; oder auch die zunehmend tiefen Gräben gegenüber Europa. Doch wer an diesem Vormittag inhaltliche Aussagen erwartet hatte, wurde herbe enttäuscht.
„Unsere Partei widmet sich einer harmonischen Weltgemeinschaft“
Stattdessen zündeten die Regierungsvertreter Pekings eine rhetorische Nebelgranate nach der anderen und warfen mit patriotischen Phrasen ohne Substanz oder konkrete Bedeutung um sich. „Unsere Partei widmet sich einer harmonischen Weltgemeinschaft. Wir engagieren uns für eine gemeinsame Zukunft der Menschheit“, sagte etwa Ma Zhaoxu, immerhin Vizeminister im Außenministerium.
Und über sein Staatsoberhaupt richtete der loyale Apparatschik aus: „Generalsekretär Xi Jinping ist ein marxistischer Staatsmann und strategischer Denker mit herausragender politischer Weisheit, exzellenter theoretischer Weitsicht und einer profunden globalen Vision.“ Mehr noch: „Er erforscht tiefgehend die Zukunft der Menschheit.“
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Ein Mann für 1,4 Milliarden: Doch die Macht von Xi Jinping bröckelt
Niemand seit Mao Zedong hat die chinesische Gesellschaft derart umgestaltet wie Xi Jinping. Kurz vor seiner umstrittenen wie historischen dritten Amtszeit mehren sich aber die Zeichen, dass der 69-Jährige den Zenit seiner Macht überschritten hat.
China büßt massiv an Beliebtheit ein
Im Pekinger Paralleluniversum könnte dabei fast untergehen, dass sämtliche diplomatischen Charmeversuche Xis auf ganzer Linie gescheitert sind: Laut einer Umfrage des Pew Research Centers hat das Land innerhalb des letzten Jahrzehnts in ausnahmslos jedem europäischen Land massiv an Beliebtheit eingebüßt. Noch stärker ist der Negativumschwung sogar bei den direkten Nachbarstaaten Südkorea und Japan ausgeprägt.
Das hat vor allem auch mit der aggressiv-nationalistischen und kontraproduktiven Wolfskriegerdiplomatie zu tun, die Xi Jinping kultiviert hat. Auf Twitter verbreiten Chinas Botschafter wüste Verschwörungstheorien und beschimpfen den Westen schon mal mit obszönen Schimpfwörtern.
Selbst Bilahari Kausikan, der mittlerweile pensionierte Spitzendiplomat aus dem freundlich gestimmten Singapur, äußerte zuletzt ungewohnt deutliche Kritik. „Ich sehe nicht, wie durch Chinas Wolfskriegerdiplomatie Chinas Interessen vorangetrieben werden. Tatsächlich denke ich, dass sie dadurch beschädigt werden“, sagte der 68-jährige Kausikan der japanischen Zeitung „Nikkei“.
Regierungsgegner in Chinas Konsulat in Manchester gezerrt und verprügelt
Protestierende hatten vor dem Konsulat Banner und Slogans gegen die regierende Kommunistische Partei Chinas und Präsident Xi Jinping aufgestellt.
© Quelle: Reuters
Keinerlei Rüffel von Xi Jinping zu befürchten
Erst vor wenigen Tagen hat etwa der chinesische Generalkonsul in Manchester für einen Eklat gesorgt, nachdem er die Protestbanner von Hongkonger Demonstranten niederriss und einen der Männer an den Haaren zog. Am Donnerstag schließlich hatte Zheng Xiyuan sein gewalttätiges Verhalten stolz in einem Fernsehinterview damit gerechtfertigt, er hätte nur seine „Pflicht“ getan.
Warum er so unverhohlen dreist auftritt, hat vor allem mit dem heimischen Publikum in Peking zu tun: Denn wer besonders selbstbewusst und nationalistisch auftritt, hat unter Xi Jinping keinerlei Rüffel zu befürchten, sondern wird im Gegenteil mit einer Beförderung belohnt.
Außenministerin Baerbock fordert Strategie im Umgang mit China
„Wir müssen aus den Fehlern unserer Russland-Politik lernen“, so die deutsche Außenministerin am Dienstag auf einer Veranstaltung in Berlin.
© Quelle: Reuters
Neue China-Strategie
Es ist kein Zufall, dass sich nach den USA nun auch in Europa immer mehr die pekingkritischen Stimmen durchsetzen. Derzeit arbeitet man etwa im deutschen Auswärtigen Amt bereits auf Hochtouren an einer neuen China-Strategie, die – trotz der aktuellen Debatte um den Teilverkauf des Hamburger Hafens an China – deutlich mehr Kante erkennen lassen wird als noch zu Zeiten Merkels. Jüngst hatte auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, unmissverständlich behauptet, dass von China im Gegensatz zu Russland die „weit erheblichere Bedrohung deutscher Sicherheit und Interessen“ ausgehen würde. Im Pekinger Außenministerium wurde all das natürlich nur mehr als „Gerüchte“ abgetan.
Jene Haltung deckt sich mit dem, was europäische Diplomatinnen und Diplomaten in Peking bereits seit rund zweieinhalb Jahren beklagen: dass sie nämlich mit inhaltlicher Kritik längst nicht mehr durchkämen – sämtliche Punkte werden schlicht als Lüge oder Anti-China-Kampagne abgetan.
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China will ein Stück von Hamburg: Macht sich Deutschland erneut von zweifelhaften Partnern abhängig?
Die Staatsreederei Cosco plant den Kauf eines Hafenteils. Befürworterinnen und Befürworter halten den Deal für wirtschaftliche Normalität, Kritikerinnen und Kritiker fürchten Macht und Einfluss Pekings. Wie viel Einfluss wollen wir China auf unsere kritische Infrastruktur gestatten?
Und auch bei der Pressekonferenz am Donnerstag sorgte die Regierung im Vorhinein dafür, dass man sich mit unangenehmen Themen gar nicht erst auseinandersetzen müsse. Sämtliche der ausgewählten Journalisten, die in den Raum gelassen wurden, mussten ihre Fragen im Vorfeld einreichen. Und am Ende wurden trotz allem nur die Propagandaarbeiter der Staatsmedien ans Mikrofon gelassen sowie zwei „freundliche“ Korrespondenten aus Syrien und Indonesien, die sich unter anderem nach den „unzähligen internationalen Glückwünschen“ erkundigen wollten, welche die Kommunistische Partei zu ihrem 20. Parteikongress erhalten habe.
Dabei täte die chinesische Regierung gut daran, wenn sie auf ihre Vorgänger hören würde. Wen Jiabao, bis vor zehn Jahren Premierminister, sagte einst, dass China nur eine helle Zukunft bevorstehen würde, wenn man pluralistische Debatten und kritisches Denken fördern würde. Seine Worte wirken mittlerweile nicht nur wie aus einer weit entfernten Vergangenheit, sondern scheinen regelrecht aus einem Paralleluniversum zu kommen.