CDU-Menschenrechtler zu Moria: “Katastrophe hätte jederzeit passieren können”
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Frank Heinrich ist CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
© Quelle: picture alliance / dpa
Berlin. Herr Heinrich, wo liegt die Ursache für die Katastrophe im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos?
Die erste Frage muss sein, wie wir jetzt helfen können. Die Menschen in Moria haben jetzt absolut nichts mehr, nicht einmal Platz, um zu sitzen. Dringender denn je müssen wir die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in der EU endlich regeln.
Es gibt Berichte und Gerüchte darüber, dass Campbewohner selbst den Brand gelegt haben. Was sagen Sie dazu?
Es muss geklärt werden, was passiert ist. Kürzlich gab es einen einfachen Herdbrand, der auch 200 Menschen ihr Dach gekostet hat. Es muss also nicht zwingend ein Aufruhr gewesen sein. Es ist unfassbar, was mich dennoch für Facebook-Nachrichten erreichen. Da schreibt einer: “Jetzt fackeln die ihr eigenes Lager ab, ich würde dafür bei uns hier in Deutschland in den Knast gehen.” Es macht mich fassungslos, wenn Menschen andere so vorschnell verurteilen.
Die EU spricht schon seit Beginn der Flüchtlingskrise über Verteilungsschlüssel, aber 17 Mitgliedsstaaten blockieren das Vorhaben. Was muss die EU sich vorwerfen lassen?
Die EU war mit ihren eigenen Absprachen zu langsam. Wer schon in Moria war, wusste, dass eine Katastrophe jederzeit hätte passieren können. Die 17 Blockierer wissen jetzt hoffentlich, was sie mit verursacht haben, und lassen sich motivieren. Auch wegen ihnen hat die EU die Situation nur auf einem Auge im Rückspiegel wahrgenommen. Sie ist auch nicht eingeschritten, als Griechenland immer überforderter wurde und prekäre Fehler gemacht hat. Es wurden Menschen einfach wieder aufs Wasser geschickt. So regelt Europa Probleme nicht.
Dass die 17 Staaten jetzt noch umschwenken, ist eher unwahrscheinlich. Wer steht personell in der EU in der Pflicht?
In der EU sind Kommissionspräsidentin Frau von der Leyen und ihre zuständige Kommissarin für Migration Ylva Johansson gefragt, sich mit allen Mitgliedsstaaten zu befassen und auf eine Lösung zu drängen. Die Kommission hat sich mit Corona beschäftigt und gehofft, dass in Moria nichts passiert. Das ist, wie wenn in einem Haus alle Leitungen frei liegen, man fasst nichts an und hofft, so durch den Winter zu kommen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat aber die Bereitschaft einiger Kommunen und Bundesländer, Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen, blockiert, um eine bundeseinheitliche Lösung zu erarbeiten. Daraufhin wurden 13.000 Stühle vor den Bundestag gestellt und vor einer Katastrophe gewarnt.
Das ist ja das Makabere, dass sich die Warnungen vor einer Katastrophe zwei Tage nach dem Protest negativ bewahrheiten. Herr Seehofer hat nicht einfach nur blockiert, er hat auf Strukturen hingewiesen. Die Länder hätten es insofern leicht, weil sie die politische Verantwortung für die Entscheidung nicht tragen müssen, die trägt der Bund. Die Kommunen hätten es leicht, weil sie das benötigte Geld nicht selbst aufbringen müssten, sondern von den Ländern beziehen würden. Ich bin dankbar, dass der deutsche Innenminister innerhalb der EU einer der Ersten war, als es Anfang des Jahres um die Aufnahme von 1600 kranken und unbegleiteten Kindern ging.
Trotzdem sind es die Kommunen, die sich um die praktische Umsetzung der Integration kümmern, und die Länder, die die Verantwortung für Sicherheit und Bildung tragen müssten?
Das Angebot von Städten und Kommunen ist nobel, es bleibt aber eine gesamtdeutsche Debatte und eine der EU. Die Gemeinschaft muss mitziehen. Wir nehmen schon auf, worüber wir froh sind. Aus der Bevölkerung kommt dann aber ein riesiger Shitstorm, wie es bei den Kindern und Jugendlichen war, die wir in diesem Jahr geholt haben. Die vielen nicht kindlich genug waren. Wir lehnen uns gern raus, um mehr zu tun, aber zu einem gewissen Prozentsatz muss das doch vom Volk mitgetragen werden.
Welche konkreten Fehler wurden denn gemacht?
Menschen, die Moria besichtigt haben, haben gewarnt. Dass dort Zustände wie in afrikanischen Camps herrschen und das auf europäischem Boden, ist Politikern und Entscheidungsträgern nicht nah genug gegangen. Prioritäten wurden woanders gesehen und das rächt sich jetzt. Als ich im Januar da war, wurde schon geklagt, dass die Müllabfuhr einfach nicht kam und die Wasserversorgung chaotisch geregelt ist.
Das Muster wiederholt sich. Es passiert etwas, der Aufschrei ist groß und dann wird gehandelt. Das wirkt ein paar Jahre bis zur nächsten humanitären Katastrophe. Was muss passieren, damit sich nicht alles wiederholt?
Das rührt daher, dass Menschenrechtspolitiker hin und wieder belächelt werden. Da wird dann gesagt: “Ach, die übertreiben ja auch immer etwas.” Die Frage ist, inwieweit Menschenrechte, die wir in der Demokratie als so wichtig ansehen, in der Realpolitik tatsächlich eine entsprechend große Rolle spielen. Unser Ausschuss ist der zweitkleinste im Bundestag. Es geht nicht darum, die Welt zu retten, sondern darum, dass Menschenrechte und humanitäre Hilfe Säulen der Demokratie sind und wir auf deutschem und europäischem Boden die Verantwortung dafür haben, dass sie zum Tragen kommen. Wir sagen: Menschenrechte siedeln wir ganz hoch an, jetzt wird sich zeigen, ob wir das auch so meinen.