Bundesweit kaum noch freie Plätze im Maßregelvollzug
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In elf der 16 Bundesländer sind die Maßregelvollzugsanstalten überbelegt.
© Quelle: Thomas Frey/dpa/Symbolbild
Berlin. Der Justizskandal sorgt bundesweit für Aufregung: Ein Krimineller, der schwere Straftaten begangen hat, wurde in Berlin vorzeitig aus der Haft entlassen. Muhamed R. war wegen eines Überfalls auf einen Geldtransporter am Berliner Ku‘damm zu einer siebenjährigen Haft verurteilt worden.
Einen Teil seiner Strafe sollte R. wegen seiner notorischen Kokainsucht im sogenannten Maßregelvollzug verbringen – also in einem überwachten Krankenhaus hinter Gittern. Aus dem wurde der Mann, der Mitglied eines berüchtigten Berliner Clans ist, ein Jahr nach dem Urteil wieder entlassen. Der Grund: Der Kokain-Entzug war wegen fehlender Plätze nicht möglich. Nach Berichten von Spiegel-TV soll R. unmittelbar nach seiner Entlassung in die Türkei gereist sein.
Eine Abfrage der Gesundheits- und Sozialministerien durch das RND ergibt ein klares Bild: Nicht nur Berlin kämpft mit diesem Problem. In elf der 16 Bundesländer sind die Maßregelvollzugsanstalten überbelegt – das heißt sie haben mehr Patienten als Betten.
Besonders hoch ist die Auslastung in Hamburg mit 119,1 Prozent, in Schleswig-Holstein und Brandenburg mit jeweils 111,9 Prozent. Teilweise erklärt sich die Überbelegung damit, dass nicht permanent alle Plätze besetzt werden, wenn für Patienten bestimmte Lockerungen greifen oder sie auf Vorbereitung ihrer Entlassung im sogenannten Probe-Urlaub sind. Die Kliniken in den Ländern Bayern, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Hessen sind zwar nicht überbelegt, beobachten aber einen starken Belegungsanstieg.
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Immer häufiger auch suchtkranke Straftäter im Maßvollzug untergebracht
Insbesondere die nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuches (StGB) untergebrachten Patienten scheinen in vielen Krankenhäusern eine Rolle zu spielen: Neben den therapiebedürftigen, psychisch kranken Straftätern finden sich bundesweit in den speziellen Krankenhäusern immer häufiger auch Suchtkranke.
Zur Erklärung: Ein Gericht kann in seinem Urteil gemäß Paragraf 64 StBG neben der Strafe anordnen, dass der Täter in einer Entziehungsanstalt untergebracht wird, wenn er eine Tat aufgrund eines Hanges zu Rauschmitteln begangen hat. 1995 waren bundesweit knapp 1400 Personen untergebracht. Im Jahr 2019 hat sich die Zahl mit 4300 Personen mehr als verdreifacht, mit weiter steigender Tendenz.
Oft sind Personen untergebracht, die in der Entziehungsanstalt gar nicht richtig aufgehoben sind, sondern zum Teil sogar den Therapieverlauf der wirklich behandlungsbedürftigen Personen behindern.
Sprecherin des Berliner Senats
Offenbar seien in Berlin oft Personen untergebracht, „die in der Entziehungsanstalt gar nicht richtig aufgehoben sind, sondern zum Teil sogar den Therapieverlauf der wirklich behandlungsbedürftigen Personen behindern“, so eine Senatssprecherin. Die Berliner Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) hatte bereits Ende November 2022 auf die „unhaltbare und seit Jahren bekannte Situation im Krankenhaus des Maßregelvollzugs“ hingewiesen.
In Berlin gibt es aktuell 541 verfügbare Betten im Maßregelvollzug. Bei 600 klinischen Patientinnen und Patienten sei das Krankenhaus deutlich überbelegt, so die Sprecherin. Das ist eine Auslastung von mehr als 110 Prozent. Dabei handelt es sich ausschließlich um Patienten, die stationär im Krankenhaus des Maßregelvollzugs in Behandlung sind.
Viele Kliniken müssen die Belegung verdichten
Obwohl viele Landesregierungen auf diese Entwicklung reagiert und zusätzliche Plätze geschaffen haben, ist die Situation in nahezu allen Ländern weiterhin angespannt. Bereits jetzt behelfen sich viele Kliniken mit einer Verdichtung der Belegung, sodass mehr Patientinnen und Patienten versorgt werden können, als Planbetten ausgewiesen sind.