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Bürgermeister von Budapest: “Die EU sollte den Städten mehr Geld geben”

Gergely Karácsony, Oberbürgermeister von Budapest

Gergely Karácsony, Oberbürgermeister von Budapest

Brüssel. Der 45 Jahre alte Oppositionspolitiker Gergely Karácsony ist seit Oktober vergangenen Jahres Oberbürgermeister der ungarischen Hauptstadt Budapest. Sein Wahlsieg in der größten Stadt Ungarns kam überraschend. Warum das dem EU-kritischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán Sorgen machen muss und was das mit dem polnischen Präsidentschaftswahlkampf zu tun hat, verrät Karácsony im RND-Interview:

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Wie schwer hat die Corona-Krise Ihre Stadt getroffen?

Es gab vor allem viele Infektionen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, aber vergleichsweise wenige Fälle in der Bevölkerung. Denn diese Einrichtungen sind seit zehn Jahren chronisch unterfinanziert – also ungefähr seit Ministerpräsident Viktor Orbán das Land regiert. Es ist sogar vorgekommen, dass Menschen wegen anderer Beschwerden ins Krankenhaus gegangen sind und sich dort mit Corona angesteckt haben. Das ist also ein systemisches Problem in Ungarn.

Das ungarische Parlament hat das international kritisierte Corona-Notstandsgesetz inzwischen wieder aufgehoben. Ist das nicht ein gutes Zeichen?

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Ich sehe das nicht so. Die Aufhebung der Corona-Notstandsgesetze ändert nichts daran, dass das ungarische Parlament eine Abstimmungsmaschine für Orbán bleibt. Orbán kann mit der Zweidrittel-Mehrheit seiner Partei im Parlament alles durchsetzen, was er will. Alle Institutionen, die für die Gewaltenteilung in einer Demokratie wichtig sind, stehen unter der Kontrolle von Orbáns Partei und seiner Regierung. Das Machtmonopol Orbáns bestand vor dem Notstandsgesetz, und es besteht weiter.

Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn.

Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn.

Der Think Tank “Freedom House” aus den USA kam jetzt zu dem Schluss, dass Ungarn keine Demokratie mehr sei. Sehen Sie das auch so?

Orbán selbst hat ja gesagt, dass Ungarn eine “illiberale Demokratie” sei, also eine besondere Art der Demokratie, ein Hybrid. Ich glaube nicht, dass Ungarn eine Demokratie ist. Es ist aber auch keine Diktatur. Ein Wandel ist über Wahlen weiter möglich. Dass ich zum Oberbürgermeister von Budapest gewählt worden bin, ist der beste Beweis dafür. Doch die Wettbewerbsbedingungen für die einzelnen Parteien und ihre Kandidaten sind natürlich grob verzerrt. Denken Sie nur daran, dass Orbáns Partei die meisten Medien in Ungarn kontrolliert.

Werden Sie bei den Wahlen im Jahr 2022 gegen Orbán antreten?

Das habe ich nicht vor. Ich werde mich aber bemühen, der Opposition zu helfen, damit sie gut wie möglich abschneidet.

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Die Frage drängte sich auf. Es gibt schließlich eine bemerkenswerte Allianz der liberalen Oberbürgermeister in den Hauptstädten der sogenannten Visegrad-Staaten Ungarn, Polen und Tschechien, die alle in Opposition zu den EU-kritischen Nationalregierungen stehen. Der Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski dürfte bei den Präsidentschaftswahlen in Polen am kommenden Sonntag in die Stichwahl kommen. Dann hätte er gute Chancen, polnischer Präsident zu werden. Reizt es Sie nicht, es ihm nachzumachen?

Nein. Aber ich drücke meinem guten Freund Rafal ganz fest die Daumen. Wenn er gewinnen sollte, dann hätte das natürlich Auswirkungen auf Ungarn. Das wäre ein wichtiges Signal.

Zusammen mit Ihren Kollegen aus Warschau und Prag haben Sie vor kurzem an die EU appelliert, das System der europäischen Geldverteilung zu verändern. Es sollte direkte Zahlungen an die Städte geben. Wie soll das gehen?

Natürlich bleibt die EU ein Bund der Nationalstaaten. Aber wir wollen, dass auch die Rolle der Städte berücksichtigt wird. Das hat zwei Gründe: Auf Ebene der Kommunen können wir sehr effektiv gegen den Klimawandel vorgehen. Und der zweite Grund ist die Krise der Demokratie in der EU. Die Menschen haben den Eindruck, die EU habe sich weit von ihnen entfernt. Wenn man also EU-Ziele in den Kommunen umsetzen würde, dann würde das eine Brücke zwischen der EU und der europäischen Bevölkerung schaffen.

Klingt gut, aber glauben Sie, dass der ungarische Ministerpräsident Orbán das zulassen würde? Er müsste einer neuen Methode, das Geld zu verteilen, zustimmen.

Das wird schwierig, das weiß ich. Aber es wäre im Interesse Ungarns. Und es gibt bereits EU-Fonds, für die sich Städte bewerben können. Das müsste man nur ausweiten. Und wir sind nicht allein in diesem Kampf. Es sind nicht nur die Visegrad-Hauptstädte, die solche Direktzahlungen verlangen. Wir werden in dieser Frage von mehr als 30 Metropolen in der EU unterstützt.

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Sollten EU-Zuwendungen an Nationalstaaten künftig an die Beachtung der Rechtsstaatsprinzipien geknüpft werden?

Das ist eine gute Idee, aber da verbirgt sich eine Falle. Die Regierungen, die ihrer Bevölkerung ohnehin weismachen wollen, dass die EU gegen sie ist, würden es erst recht ausnutzen, wenn weniger Geld fließt. Nach dem Motto: Seht her, so bestraft uns die EU.

Was also tun?

Direktzahlungen an Städte könnten das Problem lösen. Die Regierungen, die sich nicht an Rechtsstaatsnormen halten, würden weniger Geld bekommen, nicht aber die Menschen in den Städten.

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