Brief einer Iranerin aus dem Gefängnis: „Ich bin bereit, mein Leben zu geben“
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Die Frauenrechtlerin Bahareh Hedayat (41) sitzt ihr achtes Frühjahr hinter Gittern.
© Quelle: Faacebook
Es ist scheinbar still geworden um die Protestbewegung im Iran. Die großen Massenproteste in den Städten, die es in der zweiten Jahreshälfte 2022 nach dem gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini unter der Losung „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frau, Leben, Freiheit) gegeben hat, sie scheinen abzuebben, seit das Regime seine Sicherheitskräfte gnadenlos durchgreifen lässt – mit Gewalt, Massenverhaftungen, Hinrichtungen.
Die Bewegung konsolidiert sich
„Ich glaube, dass sich die Bewegung in einer Art Konsolidierung befindet“, äußert der gebürtige Iraner und Schweizer Islamwissenschaftler Mahdi Rezaei-Tazik gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Gleichzeitig wird leicht übersehen, dass es immer noch Proteste gibt. Es gibt neue Videos aus der kurdischen Stadt Sanandadsch, die zeigen Protestaktionen. Auch haben in letzter Zeit viele LehrerInnen protestiert, als Reaktion auf die mysteriösen Giftanschlägen auf Schülerinnen. Es ist also das Gegenteil von ‚ruhig‘“, erläutert der in Zürich lebende Wissenschaftler.
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„Erwähnt werden muss auch, dass die jungen Frauen weiterhin unverschleiert in der Öffentlichkeit auftreten und tanzen – wie erst jüngst in der Siedlung Ekbatan in Teheran. Das Video ging weltweit viral. Da die Verschleierung zur Ideologie des Regimes gehört, kann der unverschleierte Tanz der Frauen als ziviler Ungehorsam der Bewegung dienen“, so Rezaei-Tazik.
Der gebürtige Iraner mit Schweizer Pass ist überzeugt, „dass auch andere Formen des Ausdrucks von Widerstands genutzt werden, in dem zum Beispiel vor-islamische, persische Kulturfeste wie das Ende Märze begangene Neujahrsfest Nowruz mit dem Gedenken an die Toten des Aufstands begangen werden. Viele versammelten sich aus diesem Anlass am Grab von Jina Mahsa Amini“, so Rezaei-Tazik.
Laut dem jüngsten Report von Amnesty International vom 27. März 2023 wurden seit Beginn der Proteste im Iran mehr als 22.000 Menschen willkürlich festgenommen. Eine von ihnen ist die Frauenrechtlerin Bahareh Hedayat, die seit dem 11. Oktober 2022 in der Abteilung 209 im berüchtigten Evin-Gefängnis am nördlichen Stadtrand der Hauptstadt Teheran inhaftiert ist. Seit ihrem 26. Lebensjahr ist die heute 41-Järhige mehrfach inhaftiert gewesen, wie sie in einem Brief aus dem Gefängnis schreibt, der RND vorliegt.
Ich sitze hier aufrecht und mit erhobenem Haupt, weil ich stolz bin, solche Mitmenschen zu haben.
Bahareh Hedayat,
Wirtschaftswissenschaftlerin und Regime-Kritikerin
„Ich erinnere an all die Iranerinnen und Iraner, die einfach nur normal leben wollten und deshalb auf die Straße gingen, aber durch die Hände der Feinde unserer Bewegung ‚Frau, Leben, Freiheit‘ umkamen. Ich sitze hier aufrecht und mit erhobenem Haupt, weil ich stolz bin, solche Mitmenschen zu haben.“, schreibt sie.
Der Brief wurde kurz vor dem persischen Neujahrsfest Nowuz am 20. März geschrieben, für die Menschen im Iran das höchste Fest des Jahres. „Nowruz ist eine Erinnerung an unser gemeinsames Schicksal in einem Land, in dem Diskriminierung, Unterdrückung und Mangel an Menschenwürde tiefe Narben hinterlassen haben. Ich hoffe, dass mein achter Frühling in Gefangenschaft zur Heilung der Wunden der Nation und ihrer letztendlichen Rettung beitragen kann. Ich bin bereit, mein Leben ohne zu klagen oder zu zögern in den Dienst der Menschen meines Landes zu stellen“, schreibt Bahareh Hedayat.
Erstmals 2007 inhaftiert
Die Wirtschaftswissenschaftlerin war 2007 Mitinitiatorin der Kampagne „Eine Million Unterschriften“, die von dem konservativen Regime die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau forderte. Die „Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen“ der Vereinten Nationen forderte am 14. Juni 2016 die sofortige Freilassung von Bahareh Hedayat, da ihre 2009 erfolgte Inhaftierung willkürlich war und gegen internationales Recht verstieß. In ihrer Haft wurden ihr phasenweise der Zugang zu medizinischer Versorgung sowie Familienbesuche und Anrufe verweigert.
Proteste gegen Vergiftungen von Schülerinnen im Iran
Am Dienstag hatte das Gesundheitsministerium mitgeteilt, Hunderte Mädchen in mehreren Schulen seien erkrankt.
© Quelle: Reuters
Auf vorübergehende Freilassungen folgten willkürlich neue Verhaftungen – zuletzt im Oktober 2022. Dennoch gibt sich die 41-Jährige ungebrochen – und entschlossener denn je. „Ich bin bereit, mein Leben zu geben, wenn das der Preise für Freiheit und Gerechtigkeit im Iran sein soll.“, schreibt sie. „Frauenrechte, die Unverletzlichkeit des Lebens und die Freiheit bleiben grundlegende Werte für uns, auch in Zukunft.“
Kompromisse mit den Mullahs ausgeschlossen
Kompromisse mit dem Regime schließt sie aus: Zwar hätten einige vor der Entstehung der aktuellen Bewegung den Sturz des Regimes als nicht real wahrgenommen, aber heute habe sich der Sturz des Regimes zu einer realistischen Forderung entwickelt, welche „nicht mehr zu ignorieren“ sei.
Und an anderer Stelle: „Deshalb sollten wir unser Ziel nicht aus den Augen verlieren. Egal, welche Abkürzungen wir nehmen, um Freiheit zu erlangen, es wird unweigerlich zur Zerstörung der Islamischen Republik und zur Entfernung des politischen Islam aus der Regierung führen.“
Die Ideologie des Regimes ist tot. Und es wird früher oder später abgelöst. Nur auf die Frage nach dem ‚Wann‘ kann zurzeit niemand eine Antwort liefern.
Mahdi Rezaei-Tazik,
Islamwissenschaftler in Zürich
Diese Haltung sei heute in der Bewegung sehr verbreitet, erläutert der Islamwissenschaftler Mahdi Rezaei-Tazik. „Die Ideologie des Regimes ist tot. Und es wird früher oder später abgelöst. Nur auf die Frage nach dem ‚Wann‘ kann zurzeit niemand eine Antwort liefern“, ist er überzeugt.
Irans Zukunft – säkular?
„Es scheint mir, dass die Zukunft des Iran säkular und demokratisch ist: Die iranischen Oppositionellen im In- und Ausland haben sich auf eine ‚säkulare Demokratie‘ geeinigt“, so der in Zürich lebende Wissenschaftler. „Dies kann man an Erklärungen, Reden, Parolen, Plakaten und so weiter erkennen. Eine oft ausgerufene Parole lautet: ‚Mit oder ohne Hijab (islamische Kopfbedeckung – d. Red.) bewegen wir uns Richtung Revolution‘. Für mich gilt diese Forderung als die säkularste Parole, die diese Bewegung je hatte“, so Rezaei-Tazik.