Brasilien und der Krieg in der Ukraine

Bolsonaros unverhoffte Chance

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro.

Rio de Janeiro. Ein Spaziergang durch die Supermärkte in Rio de Janeiro offenbart: Speiseöl, Mehl, Nudeln – alles da. Wenn gleich deutlich teurer und für die ärmeren Bevölkerungsschichten kaum zu bezahlen. In ein paar Tagen holt die Metropole unter dem Zuckerhut die großen Karnevalsumzüge im weltberühmten Sambodromo nach.

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Die Regierung verkündete: ungeimpfte Touristen müssen in Kürze nicht mehr in Zwangsquarantäne, sondern brauchen nur noch einen negativen Test. Vollständig immunisierte Personen können ohne Test einreisen. Die aktuelle Sieben-Tage-Inzidenz im von der Pandemie schwer getroffenen Land liegt bei 73,1. Die Arbeitslosigkeit ist leicht rückläufig, die Zahl der Neugründungen von Kleinstbetrieben hoch.

Ein halbes Jahr vor den mit Spannung erwarteten Präsidentschaftswahlen in Brasilien versucht das riesige südamerikanische Land wieder auf die Beine zu kommen. Bis vor ein paar Wochen noch, da wollte kaum jemand aus der Europäischen Union oder den USA mit Jair Bolsonaro sprechen. Dessen verheerende Abholzungsbilanz im Amazonas-Regenwald als auch seine Verbalattacken und Umgangsformen auf internationalem Parkett sorgten dafür, dass sich der Rechtspopulist international selbst isolierte. Hinzu kam ein umstrittener Kurs in der Corona-Pandemie geprägt durch Falschaussagen und chaotischer Regierungsführung mit insgesamt vier verschiedenen Gesundheitsministern.

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Brasilien hat, was der Westen dringend braucht

Doch nun bietet sich dem umstrittenen Amtsinhaber, der laut jüngsten Umfragen rund 9 Prozent hinter dem Führenden und Ex-Präsidenten Lula da Silva liegt, eine unverhoffte Chance. Brasilien hat nämlich, was der Westen nach seinen Sanktionen gegen Russland dringend braucht: Öl, Gas und eine umfassende Nahrungsmittelproduktion.

Europa wie Deutschland suchen Partner, die in den möglichen Engpässen bei Energie- und Lebensmittelversorgung ausgleichen könnten. Deutschlands Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck verhandelte jüngst in Katar, einem Land deren Machthaber wegen Menschenrechtsverletzungen ebenfalls hoch umstritten sind. Die USA nahmen Kontakt zum ölreichen, aber ebenfalls scharf kritisierten Venezuela auf, regiert vom anderen politischen Schmuddelkind Südamerikas: dem Autokraten Nicolas Maduro.

Kein Engpass, aber teuer: Speiseölangebot in einem Supermarkt in Rio de Janeiro.

Kein Engpass, aber teuer: Speiseölangebot in einem Supermarkt in Rio de Janeiro.

Geht es nach Roberto Campos Neto, Chef der brasilianischen Zentralbank, dann könnte sein Heimatland einer der Gewinner der globalen Neuordnungen infolge des Ukraine-Krieges werden. Wo Brasilien zuvor in den Handelsketten außen vor gelassen wurde, sei es jetzt ein guter Zeitpunkt, diese Plätze zu besetzen, sagte Campos laut Magazin „Veja“. Laut Larry Fink, Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Black Rock, könnte im Zuge der Überprüfung von wirtschaftlichen Abhängigkeiten der Produktionsstandort Brasilien von möglichen gravierenden Umwälzungen in den Wirtschaftsbeziehungen profitieren.

USA und Russland buhlen um die Unterstützung Brasiliens

Brasilien bietet dem Westen seinerseits Hilfe an. Bergbau- und Energieminister Bento Albuquerque erklärte, Brasilien werde seine Ölproduktion bis zum Ende dieses Jahres um 10 Prozent steigern, dass entspräche einer Zunahme von 300.000 Barrel Öl pro Tag. Das sei Brasiliens Beitrag zur „Stabilisierung der globalen Energiemärkte“, sagte Bento Albuquerque.

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Brasilien und Bolsonaro werden im Ränkespiel der Großmächte wieder plötzlich interessant. Während Russlands Außenminister Sergei Lawrow im Zuge der Ukraine-Krise erklärte, Brasilien „würde nicht länger Befehle von Onkel Sam“ akzeptieren, erklärten die USA nach einem entsprechenden Votum in der UN-Vollversammlung, sie seien stolz, mit Brasilien auf der Seite der Ukraine zu stehen.

Europa und der Westen warten nun auf ein Signal aus Brasilia, dass sich Bolsonaro in einem entscheidenden Punkt bewegt. Bislang hat der Amtsinhaber anders als sein Herausforderer Lula im anlaufenden Präsidentschaftswahlkampf nicht erkennen lassen, dass er in Bezug auf den Amazonas auf die internationale Staatengemeinschaft zugehen will. Kritiker warfen ihm jüngst vor, sogar die Ukraine-Krise nutzen zu wollen, um weitere umstrittene Bergbauprojekte auf indigenen Territorien durchzusetzen.

EU-Mercosur-Abkommen liegt wegen Bolsonaros Amazonas-Politik auf Eis

So bleiben nicht nur die Befürchtungen um die Versorgungsengpässe der Europäer aktuell, sondern auch die Sorgen der Umweltschützer. Die Bundesregierung zeigt sich zwar gesprächsbereit, wartet aber mit Blick auf das Handelsabkommen zwischen Europa und den südamerikanischen Staatenbund Mercosur weiter ab. Der Vertrag, der wegen Bolsonaros Amazonas-Politik aus Eis liegt, soll nach dem Willen und Wirtschaft und Industrie den Handel zwischen den beiden Weltregionen vereinfachen.

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Es seien erst überprüfbare und verlässliche Schritte notwendig, heißt es auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland aus dem Auswärtigen Amt in Berlin: „Laut Koalitionsvertrag setzt sich die Bundesregierung dann für die Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens ein, wenn zuvor vonseiten der Partnerländer umsetzbare und überprüfbare, rechtlich verbindliche Verpflichtungen zum Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsschutz eingegangen werden und praktisch durchsetzbare Zusatzvereinbarungen zum Schutz und Erhalt bestehender Waldflächen abgeschlossen worden sind.“

Jacques d‘Adesky von der Universität Federal Fluminense in Rio de Janeiro glaubt deshalb im Gespräch mit dieser Zeitung nicht an ein schnelles Vorankommen: „Solange Brasilien seine Umweltschutzpolitik im Amazonasgebiet nicht effektiv wieder aufnimmt, sehe ich keine Möglichkeit, dass es zu wesentlichen Fortschritten zum Beispiel bei den Verhandlungen zur formellen Schaffung des EU-Mercosur-Vertrags kommen wird.“

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