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120.000 Armenier von der Versorgung abgeschnitten

Blockade: Führung von Berg-Karabach wünscht sich Luftbrücke nach Berliner Vorbild von 1948

Das Archivfoto vom Oktober 2020 zeigt eine alte Frau vor ihrem Haus in Stepanakert in Berg-Karabach. Damals wurden in der Stadt viele Gebäude durch massiven Beschusses aserbaidschanischen Militärs zerstört.

Das Archivfoto vom Oktober 2020 zeigt eine alte Frau vor ihrem Haus in Stepanakert in Berg-Karabach. Damals wurden in der Stadt viele Gebäude durch massiven Beschusses aserbaidschanischen Militärs zerstört.

Berlin. Für rund 120.000 Menschen, darunter 30.000 Kinder, in Berg-Karabach im Südkaukasus gibt es zum Weihnachtsfest keinen reich gedeckten Gabentisch, sondern Entbehrungen und Not. Seit nunmehr zwölf Tagen wird die von christlichen Armeniern bewohnte Region von Kräften des muslimisch geprägten Aserbaidschan durch eine Blockade des Latschin-Korridors, der einzigen Zufahrt zwischen Armenien und Berg-Karabach, abgeschnürt.

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„Sie lassen niemanden herein und niemanden mehr heraus, wir sind eingeschlossen“, berichtet Ruben Vardanyan, Staatsminister der selbst ernannten Republik Arzach, im Videointerview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Langsam, Schritt für Schritt, fehlt es uns an allem: Lebensmittel, Medikamente, Benzin oder auch so simple Dinge wie Zigaretten. Wir sind komplett blockiert“, sagt Vardanyan.

Ruben Vardanyan (54) ist seit Anfang November Staatsminister der selbsternannten Republik Arzach (Berg-Karabach).

Ruben Vardanyan (54) ist seit Anfang November Staatsminister der selbsternannten Republik Arzach (Berg-Karabach).

„Das tägliche Leben wird immer schwerer“

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion trat der Streit zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach offen zu Tage. Am 2. September 1991 erklärte sich die Republik Berg-Karabach unabhängig und benannte sich 2017 in Republik Arzach um. Der De-facto-Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt ist, hat ein Parlament, einen Präsidenten und mit Vardanyan einen Staatsminister, der in etwa einem Premierminister entspricht.

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„Das tägliche Leben wird immer schwerer“, sagte Vardanyan, „nicht nur, dass es an Lebensmitteln fehlt, die Leute können auch nicht arbeiten. Auf dem Bau gibt es zum Beispiel kein Material, weil kein Nachschub aus Armenien kommt. Wir erleben eine beginnende Lähmung unserer Wirtschaft.“

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Ukraine vor den Festtagen: Weihnachten im Krieg

Die Ukraine verschiebt den Festtag, um sich von Russland abzugrenzen. In Charkiw wird unter der Erde gefeiert. In Kiew helfen Lichterketten bei Stromausfall.

Baku will offiziell mit der Blockade nichts tun haben. In einer Mitteilung des aserbaidschanischen Außenministeriums hieß es in der vergangenen Woche, aserbaidschanische Umweltaktivisten würden in der Latschin-Straße gegen „die Plünderung natürlicher Ressourcen“ protestieren, und die Straße „wurde nicht von aserbaidschanischen Demonstranten gesperrt, sondern vom Friedenskontingent der russischen Föderation“.

Das wiederum wurde von Moskau sofort dementiert, und Vardanyan nennt die Behauptung „lächerlich“. Auf die Frage, warum die Russen nicht eingreifen, sagte der Politiker, sie hätten keine schweren Waffen, verstünden sich als Friedenstruppe und hätten auch kein Recht, Waffen gegen Zivilisten zu richten. „Die sogenannten Umweltaktivisten werden aktiv von aserbaidschanischen Spezialkräften unterstützt, alles andere sind Fake-News“, sagte Vardanyan.

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Das aserbaidschanische Außenministerium argumentiert, die Proteste der „Umweltaktivsten“ richteten sich gegen die „illegale Ausbeutung von Bodenschätzen in den Gebieten Aserbaidschans“, und als Beispiele werden eine Gold- und eine Kupferlagerstätte genannt, die sich in Berg-Karabach befinden. Vardanyan hält dem entgegen, wie viele Umweltproteste es denn in Aserbaidschan in den letzten Jahren gegen die Ausbeutung von Öl-, Gas- und Bergbaulagerstätten gegeben hätte und antwortet selbst: „Keine.“

In den letzten 30 Jahren hat es immer wieder Kämpfe um Berg-Karabach gegeben. Während des 44‑Tage-Krieges im Herbst 2020 eroberte Aserbaidschan rund ein Drittel der Region, 6900 Menschen starben, und erst unter der Vermittlung Russlands kam es zu einem Waffen­stillstand. Russland entsandte 2000 Soldaten, die als Friedenstruppe auch den Latschin-Korridor sichern sollten.

Mit Blick auf Hilfe aus dem Westen, sagte Vardanyan, das sei nicht einfach: Aserbaidschan sei an vielen Projekten beteiligt, liefere Gas in den Westen und unterhalte viele Partnerschaften. „Was wir uns wünschen würden, wäre eine Luftbrücke zwischen Jerewan und unserer Hauptstadt Stepanakert, so wie sie die Deutschen von 1948/49 kennen, als britische und amerikanische Flugzeuge Westberlin aus der Luft versorgten, nachdem die Sowjets eine Blockade verhängt hatten.“

Westberlin 1948: Kinder auf einem Trümmerberg  winken einem amerikanischen Transportflugzeug zu, das Versorgungsgüter bringt, nachdem die Sowjets eine Blockade verhängt hatten.

Westberlin 1948: Kinder auf einem Trümmerberg winken einem amerikanischen Transportflugzeug zu, das Versorgungsgüter bringt, nachdem die Sowjets eine Blockade verhängt hatten.

„Hier könnte uns die Europäische Union unterstützen.“

Dem von aserbaidschanischen Territorium umgebenen Berg-Karabach sei es durch Baku nicht erlaubt, Flugverkehr nach Armenien zu betreiben. „Wir haben einen Airport, aber wir dürfen ihn nicht benutzen, weil Aserbaidschan es nicht genehmigt“, kritisierte Vardanyan. „Hier könnte uns die Europäische Union unterstützen. Es ist nicht länger akzeptabel, dass wir in ständiger Gefahr leben müssen, von allem abgeschnitten zu werden inklusive Gas und Internet.“

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Der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, hatte bereits Ende vergangener Woche gegenüber dem RND ein Ende der Drangsalierung der armenischen Bevölkerung gefordert: „Die Blockade von Berg-Karabach durch Aserbaidschan muss umgehend beendet werden, sonst droht eine humanitäre Katastrophe“, sagte Trittin.

In der Armenischen Apostolischen Kirche wird der Weihnachtsabend nicht am 24. Dezember begangen, sondern erst am 5. Januar. „Wir sind eine alte christliche Nation und feiern nicht die Geburt von Jesus Christus, sondern die Zeit, als er getauft wurde. Das ist sehr wichtig für uns“, sagte Vardanyan.

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