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Newsletter „Hauptstadt-Radar“

Blick in die Röhre

Das Leck der Gaspipeline Nord Stream 2 in der Nähe von Bornholm aus der Luft.

Das Leck der Gaspipeline Nord Stream 2 in der Nähe von Bornholm aus der Luft.

Liebe Leserin, lieber Leser,

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es ist eine Überraschung, wenn die AfD etwas gut findet, was aus den USA kommt. Als „fünfte Kolonne Moskaus“ wurde sie wegen ihres russlandfreundlichen Kurses trotz des Kriegs gegen die Ukraine auch wieder in der Bundestagsdebatte über die Regierungserklärung von Olaf Scholz am Mittwoch betitelt. Nun nimmt die AfD den Bericht eines US-Journalisten zum Anlass, Untersuchungsausschüsse zu fordern. Es geht um die Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 von Russland nach Deutschland. Und um die Frage, wer wen oder was instrumentalisiert.

Der Kanzler mühte sich in seiner Rede unter anderem darum, Sorgen vor einer Eskalation des Krieges – aber auch vor dem umstrittenen Investitionsprogramm der USA – zu nehmen. Präsident Joe Biden will mit seinem Inflation Reduction Act (370 Milliarden Dollar sollen in Klimaschutz und die Energiesicherheit fließen) in erster Linie heimische Unternehmen fördern und subventionieren. Scholz will darüber „gelassen“ verhandeln. Länder, mit denen die USA kein Freihandelsabkommen haben (76 Prozent der kritischen Rohstoffe kommen aus Staaten ohne Freihandelsabkommen mit den USA) könnten sonst in die Röhre schauen.

Hat für seine große Enthüllung nur eine einzige Quelle, die „ziemlich viel“ zu wissen „scheint“: US-Journalist Seymour Hersh.

Hat für seine große Enthüllung nur eine einzige Quelle, die „ziemlich viel“ zu wissen „scheint“: US-Journalist Seymour Hersh.

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Apropos Röhre. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel kam in ihrer Rede alsbald auf die Anschläge auf Nord Stream 1 und 2 im vorigen September zu sprechen. Die deutsche Bevölkerung erwarte von Scholz Aufklärung darüber, wer den „staatsterroristischen Akt“ gegen „eine Lebensader der deutschen Industrie“ verübt habe. Der Kanzler schweige aber. Der damalige Jubel in den USA über den Anschlag auf die Röhren könne ein Grund dafür sein.

Wenig später machte der Bericht des US-Journalisten Seymour Hersh die Runde, wonach amerikanische Marinetaucher die Nord-Stream-Pipelines gesprengt hätten. Der russischen Nachrichtenagentur Tass sagte Hersh über seine anonyme einzige Quelle für die Geschichte, das sei jemand, der „ziemlich viel darüber zu wissen scheint, was vor sich ging“. Zumindest so viel kann ich Ihnen sagen: Wenn beim RND jemand einen Text mit weltweiter Sprengkraft verbreiten wollte mit einer – einer (!) – Quelle, die „ziemlich“ viel zu wissen „scheint“, würde er nie veröffentlicht.

Hersh (85) ist Pulitzerpreisträger und hat mehrere Skandale aufgedeckt. Zuletzt wurde ihm aber unseriöse Arbeit vorgeworfen, was seiner Glaubwürdigkeit nun schadet. Er hat auch kein großes US-Medium gefunden, das die Geschichte gekauft hätte.

Das Weiße Haus wies den Bericht als komplett erfunden zurück. Das besagt nicht viel, denn dass die USA auch perfekt lügen können, ist zumindest seit dem Irak-Krieg, für den sie die Gründe erfunden hat, bitter in Erinnerung. Aus Russland kamen schnell Forderungen nach internationalen Untersuchungen.

Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 2.

Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 2.

Und von der AfD-Fraktion. Dem Verdacht des Pulitzerpreisträgers müsse unbedingt nachgegangen werden, fordert sie und fragt: „Hat die Führungsmacht der Nato in europäischen Gewässern einen Anschlag auf lebenswichtige kritische Infrastruktur unseres Landes verübt? (...) Der Abzug aller US-Truppen wäre die Konsequenz.“ All die offenen Fragen müssten nun Untersuchungsausschüsse beantworten.

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Noch sieht nichts nach der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses aus. Der Hersh-Bericht ist einmal um die Welt gejagt, hat aber erst einmal nicht verfangen. Das Thema bleibt aber. Natürlich ist von allerhöchstem Interesse, wer die Löcher in die Pipelines gesprengt hat. Zu dem Zeitpunkt war zwar schon klar, dass durch Nord Stream 1 kein Gas mehr fließen und Nord Stream 2 nie in Betrieb gehen wird. Aber natürlich wurden Fakten vor einem Winter geschaffen, vor dem die Bundesregierung ausreichend Bammel haben musste, weil nicht klar war, ob genügend Energie in Deutschland vorhanden sein wird, um die Wohnungen warm zu halten. Dass der anfängliche Mut zum „Frieren für die Ukraine“ Wochen der Kälte womöglich nicht überstehen würde, war durchaus denkbar.

Die Pipelines wären rein theoretisch eine Möglichkeit der Lieferung gewesen. Vielleicht war es ja doch der Kreml, der Deutschland warnen wollte, sich nicht zu sehr für die Ukraine zu engagieren? Oder ganz andere Kräfte? Fakt ist nur, Deutschland braucht das russische Gas nicht mehr. Aufklärung aber schon. Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts laufen. Noch ist es still.

 

Machtpoker

Die stärkste Kraft hat immer einen Auftrag, aber eben auch die Herausforderung, eine stabile Regierung zu schmieden.

Bettina Jarasch,

Grünen-Spitzenkandidatin in Berlin im Gespräch mit der Zeitung „Welt“

In der Hauptstadt wird an diesem Sonntag wieder gewählt, diesmal aber hoffentlich richtig. Das ist kein politischer Wunsch, sondern die schlichte Bitte um einen formal korrekten Wahlablauf. Wahlbeobachtende werden in der Stadt sein, um zu prüfen, ob das Chaos vom 26. September 2021, als unter anderem Wahlzettel fehlten, ein einmaliges Desaster war oder Berlin es einfach nicht auf die Reihe bekommt. Immerhin gibt es diesmal keinen Marathon, für den die halbe Stadt gesperrt wird. Daran scheiterte damals der schnelle Nachschub mit Stimmzetteln. Die CDU träumt von der Ablösung des rot-grün-roten Senats. Laut Umfragen liegen die Christdemokraten auch vorn. Aber SPD, Grüne und Linke könnten den Erhebungen zufolge zusammen weiterhin eine Mehrheit bekommen.

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Spitzenkandidatin der Grünen in Berlin: Bettina Jarasch.

Spitzenkandidatin der Grünen in Berlin: Bettina Jarasch.

Für Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot dürfte es kaum reichen. Als dritter Partner käme für die CDU die FDP infrage. Weder Jarrasch noch die bisher Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) haben Lust, sich in eine solche Zange zu begeben. Eine „stabile Regierung“ wäre das für SPD oder Grüne bei den unterschiedlichen Interessen jedenfalls nicht. Und dann ist da noch das Kanzleramt. Sozialdemokrat Olaf Scholz kann eine zusätzliche CDU-Führung eines Landesparlaments nicht gebrauchen. Bundesparteien mischen sich ja angeblich nicht in ihre Landesparteien ein. Aber Giffey weiß auch so, was Scholz von ihr will: Berlin weiter in der Hand der SPD zu halten, selbst wenn sie nur als Zweitbeste ins Ziel kommt. Die CDU könnte also siegen und zugleich verlieren. Ihre Anhängerinnen und Anhänger halten dieses Szenario für maßlos ungerecht. Demokratisch wäre es trotzdem.

 

Wie unsere Leserinnen und Leser auf die Lage schauen

An dieser Stelle geben wir Ihnen das Wort:

Richard Grüll aus Krefeld zu Panzerlieferungen an die von Russland überfallene Ukraine:

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„Ja, der Angriff Russlands gegen die Ukraine ist völkerrechtswidrig und in seiner Durchführung verbrecherisch und dennoch ist die Aussicht, dass deutsche Panzer auf breiter Front, in großer Zahl, durch die Ukraine auf Moskau zurollen, nicht sehr erheiternd. Ich würde da als Entscheider auch zögern. Ich kann mich noch gut erinnern, als in Afghanistan die Russen auch die Bösen waren und die Taliban waren die Guten und wurden mit westlicher Militärtechnik aufgerüstet. Man muss ja nicht jeden Fehler zweimal machen. Das Mindeste wäre jetzt ein umfassender Raketenabwehrschirm, um wenigstens die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur zu schützen, auch wenn die Aggressoren dadurch nicht aufgeben werden, siehe Israel und Palästina.“

Wird von Leser Andreas Albrecht gelobt: Bundeskanzler Olaf Scholz.

Wird von Leser Andreas Albrecht gelobt: Bundeskanzler Olaf Scholz.

Andreas Albrecht zum selben Thema:

„Ich bin stolz darauf, wie unser Bundeskanzler unser Land führt und sich nicht von der fast einhelligen Kritik in Kommentaren der Zeitungen treiben lässt. Als Nächstes kommt dann die Forderung nach Kampfjets und als Abschluss die Entsendung von Kampftruppen. Herzlichen Glückwunsch. Bei dem Krieg gibt es keine einfachen Antworten und Lösungen, sondern nur die Entscheidung zwischen Pest und Cholera.“

Alois Schwind aus Wachtberg bei Bonn auch dazu:

„Seit Tagen gibt es von allen Seiten heftige Pro- und Kontra-Diskussionen um die Entsendung von deutschen Kampfjets für die ukrainische Armee. Apodiktisch erklärt der Kanzler immer wieder, Deutschland wird keine Kampfflieger zur Verfügung stellen. Die Wahrheit ist, wir haben gar keine Flieger, die wir den Soldaten an der Front zur Verfügung stellen könnten. Fazit: Scheindebatte von allen Seiten.“

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Mark Jehner zum geplanten Abkommen mit Herkunftsländern zur Rücknahme Geflüchteter:

„Schlepper, die Flüchtende auf seeuntüchtigen Booten in den Tod schicken, redliche Fluchthelfer und ehrenamtliche Seenotretter haben eines gemeinsam: Sie werden gerne als ,Menschenhändler‘ angeklagt. Der Begriff passt auf keinen von ihnen, denn sie arbeiten ja für die in Not geratenen Menschen selbst. Er trifft schon eher das, was die Bundesregierung plant: Deals mit Herkunftsländern, ihnen für die Rücknahme von Geflüchteten, ,die die Gesellschaft belasten‘, eine legale Einwanderung von Menschen, die ‚arbeiten und anpacken wollen‘, anzubieten. Deutschland sollte lieber allen, die hier sind, eine exzellente Ausbildung für den Arbeitsmarkt ermöglichen.“

 

Das ist auch noch lesenswert

Meine Kollegin Eva Quadbeck hat Ihnen schon am Mittwoch die Erdbebenberichterstattung unseres erfahrenen Krisen- und Kriegsreporters Can Merey empfohlen. Er liefert täglich Texte, die unter die Haut gehen. Wenn man es warm und sicher hat, bekommt man von dem Schrecken im Katastrophengebiet allenfalls eine Ahnung. Wer Can Mereys Texte liest, fühlt den Schmerz der Menschen. Deshalb auch heute von mir die Empfehlung eines Merey-Textes: „Gerettet aus den Trümmern – das schwierige Weiterleben nach der Todesangst“ (+)

Was Krisenberichterstattung für Can Merey und die anderen Journalistinnen und Journalisten selbst bedeutet, hat mein Kollege Matthias Koch einfühlsam im Newsletter „Der Tag“ am Freitag aufgeschrieben: „Das Geheimnis der guten Reporter“. Neben Newslettern liefert er unter anderem mit Kommentaren immer wieder neue Denkanstöße. Überzeugen Sie sich selbst: „Zeit für einen neuen Nato-Doppelbeschluss“.

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Wenn Sie sich für Zoff um die geplante Sicherheitsstrategie Deutschlands interessieren, sollten Sie diesen Text meiner Kollegin Daniela Vates nicht verpassen: „Wie die Bundesregierung um die nationale Sicherheitsstrategie ringt“.

Und meine Kollegin Alisha Mendgen findet immer wieder Trüffel in unserem Alltag. Zum Beispiel diese: „Von Cannabis und Brustoperationen: die kuriosesten Fälle vor dem Bundessozialgericht“.

 

Das „Hauptstadt-Radar“ zum Hören

Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Dienstag wieder. Dann berichtet mein Kollege Markus Decker. Bis dahin!

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Herzlich

Ihre Kristina Dunz

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