Fünf gute Gründe für Schwarz-Rot in Berlin
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Dass Kai Wegner Regierender Bürgermeister werden könnte, hängt auch mit dem politischen Überlebenswillen von Franzsika Giffey zusammen.
© Quelle: Getty Images
Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn in Berlin künftig so Politik gemacht wird, wie gerade der Machtpoker um die neue Regierungsbildung verläuft, dann muss man die Berlinerinnen und Berliner heute schon bedauern. Es ist ein unübersichtliches Geschacher, bei dem jede Partei und jeder Spitzenkandidat beziehungsweise jede Spitzenkandidatin vor allem ihre Interessen im Blick haben.
Aktuell stehen die Zeichen auf eine große Koalition unter Kai Wegner von der CDU mit der noch amtierenden Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey dann nur als Nummer zwei auf einem Senatsposten. Am Mittwochabend ist die Entscheidung gefallen, dass Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen. Es gibt fünf gute Gründe, dass diese Konstellation tatsächlich aus dem schwierigen Wahlergebnis hervorgeht, das die Berlinerinnen und Berliner den Parteien aufgegeben haben.
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Eine politische Überlebenskünstlerin: Franziska Giffey mit dem womöglich künftigen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner.
© Quelle: Annette Riedl/dpa
Die Regierenden kommen am Wahlergebnis nicht vorbei: Die Hauptstadt tickt strukturell politisch links und die drei aktuell noch regierenden Parteien SPD, Grüne und Linken haben auch weiterhin gemeinsam eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Allerdings sind alle drei Parteien mit Stimmenverlusten abgestraft worden. Bei der Wahl brach eine große Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt und deren Verwaltung durch. Das Signal vom Wahlabend war eindeutig, dass Berlin einen Neustart in der Landespolitik wünscht, ohne die politische Richtung abzuwählen. Eine lagerübergreifende Koalition ist in einem solchen Fall die passende Antwort.
Schwarz-Grün ist in Berlin wenig aussichtsreich: Nun könnte eine solche lagerübergreifende Koalition auch aus Union und Grünen bestehen. Schwarz-Grün funktioniert schließlich in anderen Bundesländern auch sehr gut. Allerdinge stehen die Berliner Grünen deutlich weiter links als beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein oder Hessen. Die CDU in Berlin wiederum hat nicht nur mehr als 20 Jahre in Berlin nicht regiert, die Partei ist auch mental in den 90er Jahren hängen geblieben. Zudem hält sich das Interesse des Adenauerhauses in Grenzen, nur noch schwarz-grüne Koalitionen in den Ländern einzugehen.
Franziska Giffey: Die SPD-Frontfrau ist eine Politikerin der Mitte und wäre gerne schon 2021 ein Regierungsbündnis mit der CDU eingegangen. Ihr Landesverband setzte sie aber unter Druck, mit Grünen und Linken zu koalieren. Zudem hat sich Giffey als politische Überlebenskünstlerin erwiesen, wie ihr Wechsel vom Familienministerium ins Rote Rathaus trotz Verlust des Doktortitels zeigte. Wenn sie nun ein Bündnis mit der CDU eingeht, demonstriert sie Demut vor dem Ergebnis, bleibt – wenn auch als Nummer 2 – dennoch an der Macht und kann bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl erneut antreten.
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Das Vertrauensverhältnis fehlte: Mit Bettina Jarasch wurde Franziska Giffey nicht warm.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Mit der Grünen Spitzenkandidatin Jarasch läuft es ohnehin nicht gut: SPD und Grüne sind längst nicht immer und überall die selbstverständlichen Koalitionspartner. Die Spitzenfrau der Grünen, Bettina Jarasch, und Giffey konnten in ihrer gemeinsamen Regierungszeit kein Vertrauensverhältnis aufbauen. Jarasch hat kurz vor dem Wahltag als Gruß an die eigene Klientel Teile der Einkaufsmeile Friedrichstraße für den Autoverkehr sperren lassen, dafür durfte sie nun aus den Medien von Giffeys Plänen erfahren, mit der CDU zu koalieren. Auf dem Feld so wichtigen Feld der Innenpolitik dürfte sich Giffey mit der CDU leichter einigen können als mit den Grünen.
Die Linken: Mit der eigentlich in Berlin realpolitisch aufgestellten Linkspartei gibt es einen harten Punkt, der einer Neuauflage des rot-grün-roten Bündnisses im Weg steht: die Wohnungspolitik. 2021 haben sich die Berlinerinnen und Berliner in einem Volksentscheid für eine Enteignung großer Wohnungsunternehmen in der Stadt ausgesprochen. Die Linkspartei beharrt auf einer Umsetzung des Beschlusses. Giffey ist strikt dagegen. Dieses Thema könnte ohnehin der K.o.-Schlag in Koalitionsverhandlungen mit der Linkspartei werden.
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Der große Streitpunkt: Die Linke spricht sich für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen aus – Giffey ist strikt dagegen.
© Quelle: Paul Zinken/dpa
Die Liste der Themen und Probleme, die in Berlin dringend angegangen werden müssen, ist lang: Wohnen, Innere Sicherheit, Integration, Schule, Verkehr und nicht zuletzt die Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Viel Zeit wird das neue Regierungsbündnis nicht haben, um erste sichtbare Erfolge zu liefern. Der Urnengang im Februar war eine Wiederholungwahl. Daher verlängert sich die fünfjährige Wahlperiode nicht. Die Berlinerinnen und Berliner dürfen also 2026 erneut abstimmen.
Machtpoker
„Wir rufen nicht eine Revolution aus, sondern wir tun eine Selbstverständlichkeit“
Annalena Baerbock
Außenministerin
Der Begriff der feministischen Außenpolitik, zu der Ministerin Baerbock am Mittwoch ihre Strategie vorgestellt hat, löst vielfach Abwehrreflexe aus. Dabei geht es vor allem darum, Frauen in der Außen- und Entwicklungspolitik die Chance einzuräumen, ihre Rechte sowie ihren Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung und auf Wohlstand in gleicher Weise zu realisieren, wie Männer das können.
Die feministische Außenpolitik ist der Ansatz, die auf der Welt vielfältig manifestierte Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern aufzubrechen. Rechte, Ressourcen und Repräsentanz sollen fair verteilt werden. So weit die Theorie. Nun darf die Ministerin gerne praktische diplomatische Initiativen folgen lassen.
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Darf ihrer Strategie einer feministischen Außenpolitik nun gerne praktische diplomatische Initiativen folgen lassen: Außenministerin Annalena Baerbock.
© Quelle: IMAGO/Fotostand
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Das Umfrageinstitut Forsa sieht die Liberalen in der Todeszone. In der aktuellen Umfrage kommt die FDP auf nur noch fünf Prozent. Die Meinungsforscher beobachten eine Erosion bei der Ampelpartei und haben dazu eine spannende These: Die FDP entwickle sich „weg von der Klientelpartei des Mittelstands in Deutschland hin zu einer Partei jüngerer Männer der oberen Bildungs- und Einkommensschichten, die mit ihrer Entscheidung für die FDP gegen die aus ihrer Sicht zunehmende Feminisierung der Arbeitswelt und des Wirtschaftslebens protestieren wollen.“
Schon das Ergebnis der Bundestagswahl hatte ja gezeigt, dass die FDP immer mehr von jüngeren Männern gewählt wird, während jüngere Frauen die Grünen bevorzugen. Während die Grünen allerdings seit der Bundestagswahl zulegen konnten, kommen der FDP laut Forsa vor allem die Rentner und jene mit nicht ganz so hohen Einkommen abhanden.
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© Quelle: Forsa
Das ist auch noch lesenswert
Unser Chefkorrespondentin Daniela Vates begleitet Außenministerin Annalena Baerbock häufig auf Reisen. Sie kann aus der Nähe beobachten, wie die Grünen-Politikerin auf internationalem Parkett agiert und wie sie sich geschickt in Szene setzt. „Baerbock und ihr Team lassen sich als sehr bewusste Regisseurinnen der eigenen Bildsprache beobachten, ob bei einer Kaffeezeremonie in einer äthiopischen Rösterei oder eben in Berlin. Baerbock mit Kanzleramt, das sind Symbolbilder, die sich noch mal brauchen lassen.“ So beschreibt Daniela ihren Blick auf die Ministerin. Den ganzen Text, wie Annalena Baerbock das Außenministerium veränderte, finden Sie hier.
Jede Notlage hat ihre guten Geschäftsideen. RND-Krisenreporter Can Merey ist bei seiner aktuellen Reise in der Ukraine auf ein Start-Up-Unternehmen gestoßen, das schlüsselfertig Luxusbunker anbietet, die sich Familien beispielsweise unter ihren Garten bauen lassen können. Für 100.000 Dollar ist ein solcher Bunker zu haben. Can hat die Jungunternehmer in Charkiw getroffen.
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Für 100.000 Dollar im eigenen Garten: der Luxusbunker, den ein ukrainisches Start-Up anbietet.
© Quelle: Schkov
Sahra Wagenknecht ist formal nur einfache Abgeordnete einer im Niedergang befindlichen Partei, von der sie sich völlig entfremdet hat. Wagenknechts Präsenz in Medien und in den öffentlichen Debatten um den Ukraine-Krieg steht dazu in keinem Verhältnis. Mein Kollege Markus Decker hat über die umstrittene Politikerin einen sehr scharfsinnigen Kommentar verfasst, der uns viel Zuspruch und auch viel Kritik eingetragen hat. Lesen Sie selbst, warum Markus die 53-Jährige für eine Gefahr für die Demokratie hält. Das schwierige Verhältnis zwischen Wagenknecht und ihrer Partei sowie ihren Weg von der Kommunistischen Plattform in die Talkshows lotet unser Osteuropa-Spezialist Jan Emendörfer in einem Porträt über die Linken-Politikerin aus.
Einem Neonazi sollte man das Führen von Waffen verwehren. Die deutschen Gesetze sind auch entsprechend, dass dies eigentlich nicht vorkommen sollte. Passiert aber leider immer wieder. Wie ein vorbestrafter Rechtsextremist erfolgreich seine Jagdprüfung absolvierte, schildert mein Kollege von der Ostsee-Zeitung Frank Pubantz.
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!
Herzlichst
Ihre Eva Quadbeck
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