Benzinpreise schießen in die Höhe: Wo die Inflation in den USA zu spüren ist
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An einer Tankstelle im New Yorker Stadtteil Brooklyn werden die Benzinpreise angezeigt. Die Inflation in den USA hat sich von hohem Niveau aus weiter beschleunigt.
© Quelle: Michael Nagle/XinHua/dpa
Eigentlich hatten Lisa Purcell und ihr Mann mit dem Arbeitsleben längst abgeschlossen. Schon vor Jahren zogen sich die heute 57‑jährige Ex‑Anwaltsgehilfin und der 53‑jährige Ex‑Ingenieur in den sonnigen 9000-Seelen-Ort Golden Valley südöstlich von Las Vegas zurück. Mitten in der kargen Wüstenlandschaft wollten sie ihren Ruhestand genießen.
Das Ehepaar glaubte, genug für ein bescheidenes Leben bis zur Rente zurückgelegt zu haben. Doch plötzlich geht die Rechnung nicht mehr auf: „Mit allem, was sich gerade bei den Preisen so tut, fehlt uns das Geld für anderthalb Jahre“, berichtete Purcell dem „Wall Street Journal“: „Wir sparen, wo wir sparen können. Aber inzwischen ist klar, dass einer von uns wieder arbeiten gehen muss.“
Nicht nur Frührentner sind derzeit von der rasanten Geldentwertung in den USA geschockt. In den Meinungsumfragen rangiert die Inflation auf dem ersten Platz der Sorgen der Amerikaner. Zwei Drittel der Befragten geben an, dass sie oder ihre Familie Schwierigkeiten oder gar Härten hinnehmen müssen. Tatsächlich sind die heftigen Aufschläge beim täglichen Einkauf oder beim Tanken nicht zu übersehen. Um 8,5 Prozent sind die Preise im März gegenüber dem Vorjahresmonat hochgeschnellt. Das ist der stärkste Sprung seit vier Jahrzehnten.
USA: Benzin kostet fast doppelt so viel
Ganz oben auf der Teuerungswelle finden sich mit einem Aufschlag von 48 Prozent die Benzinpreise. Viele Amerikaner sind für die Fahrt zur Arbeit oder zum Einkaufen auf das Auto angewiesen und an – im Vergleich zu Europa – günstige Benzinpreise gewöhnt. Gerade einmal 2,80 Dollar kostete vor einem Jahr eine Gallone (3,78 Liter) Normalbenzin. Inzwischen sind im Landesdurchschnitt 4,10 Dollar fällig. In Kalifornien, wo die Steuern höher sind, steht an den Tankstellen gar eine bedrohliche Sechs vor dem Komma. Doch auch die Preise für Fleisch und Eier (plus 13,7 Prozent), Autos (plus 12,5 Prozent), Strom (plus 11,1 Prozent) oder Kleidung (plus 6,8 Prozent) weisen kräftig nach oben.
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Die Kraftstoffpreise werden an einer Tankstelle in Los Angeles County, Kalifornien, USA, angezeigt.
© Quelle: Xinhua/dpa
Unter der Rekordinflation leiden vor allem Geringverdiener. „Wenn man ein mittleres Einkommen hat, gibt es einen Puffer für Preissteigerungen“, hat Jerome Powell, der Chef der Notenbank Fed, kürzlich eingeräumt: „Aber am unteren Ende des Lohnspektrums ist das schwierig, weil das meiste Geld für Notwendigkeiten ausgegeben wird.“
Biden kommt gegen die Teuerung nicht an
Auch politisch ist die Entwicklung brisant. Der unter miserablen Umfragewerten leidende Präsident Joe Biden kann noch so oft die Erfolge seiner Wirtschaftspolitik vom starken Wachstum bis zu der auf 3,6 Prozent gefallenen Erwerbslosenquote verkünden. Gegen die Teuerung kommt er damit nicht an. So war es auch am Donnerstag, als er nach Greensboro im Bundesstaat North Carolina geflogen war, um seine politische Agenda anzupreisen. „Die hart arbeitenden Bürger von North Carolina haben die Nase voll von der Inflation und Präsident Bidens Ausrede. Sie sehen die Folgen seiner verfehlten Wirtschaftspolitik jedes Mal, wenn sie in den Lebensmittelladen gehen oder ihren Tank füllen“, schleuderte ihm Thom Tillis, der republikanische Senator des Bundesstaats, per Pressemeldung entgegen.
Biden hat nach Einschätzung vieler Beobachter die Wucht des Inflationsthemas und die Entschlossenheit der Republikaner, es auszuschlachten, anfangs unterschätzt und ganz auf rationale Erklärungen wie die coronabedingten Produktionsprobleme in Asien, die Störungen der Lieferkette und die Entwicklungen in Russland gesetzt. „Putins Invasion in der Ukraine hat die Öl‑ und Benzinpreise nach oben getrieben“, betont er noch immer und macht den russischen Autokraten für 70 Prozent der Teuerung verantwortlich. Doch mittlerweile versucht er auch, aktiv gegenzusteuern. So wirft er täglich eine Million Barrel Öl aus der strategischen Reserve auf den Markt, geht gegen Preisabsprachen der Konzerne vor und will im Sommer einen (umweltschädlichen) höheren Ethanolanteil im Benzin zulassen.
Wann reagiert die Fed?
Das alleine dürfte allerdings kaum reichen, die Preisspirale zu stoppen. Mit Spannung blickt man in Washington daher auf die nächste Fed-Sitzung Anfang März, bei der mit einer Anhebung der Zinsen um einen halben Prozentpunkt gegengesteuert werden könnte. Etwas Hoffnung macht auch, dass sich die Teuerung bei den zuletzt wegen der Chipknappheit heiß begehrten Gebrauchtwagen etwas verlangsamt. Andererseits könnten die erwarteten Lohnsteigerungen den Preisanstieg wieder befeuern.
Daher halten Experten wie Michael Pearce vom Konjunkturforschungsinstitut Capital Economics die Gefahr bei Weitem noch nicht für gebannt. Zwar dürften die 8,5 Prozent den Höhepunkt der Entwicklung markieren, glaubt der Ökonom: „Aber die Inflation wird während der kommenden Monate unangenehm hoch bleiben.“