Zu direkt? Wie Außenministerin Baerbock polarisiert
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Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Pressestatement.
© Quelle: IMAGO/photothek
Ihre direkte Art und präzise Wortwahl wird im internationalen Politikbetrieb und vor allem von den Bürgerinnen und Bürgern oft als erfrischend und ehrlich wahrgenommen. Was Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) sagt, versteht man meist gut, ist nicht durch diplomatische Formulierungen bis zur Unkenntlichkeit verklausuliert. Doch mit manchen spontan geäußerten Sätzen eckt sie durch ihre Direktheit an – und sorgt für Debatten und Aufregung im In- und Ausland. Zuletzt war das am Donnerstag der Fall, als es um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ging.
1. Aussage zum „Krieg gegen Russland“
Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.
Annalena Baerbock,
vor dem Europarat in Straßburg am 26. Januar 2023
Mit diesem Statement am Donnerstag beim Europarat in Straßburg wollte die Außenministerin zum Zusammenhalt der westlichen Verbündeten aufrufen, die die Ukraine vereint gegen den Aggressor Russland unterstützen sollten, anstatt sich untereinander zu streiten. Doch es hagelte Kritik – denn für manche klingt die Aussage so, als sei Deutschland Kriegspartei. „Die Außenministerin ist unsere oberste Diplomatin. Sie hat ihre Worte abzuwägen“, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) der „Sächsischen Zeitung“. Er forderte eine „Klarstellung“.
Die Sicherheitsexpertin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik sprach am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“ von einem „extrem unglücklichen Versprecher“ Baerbocks, der nun von der russischen Staatspropaganda ausgeschlachtet werde. Die russischen Staatsmedien griffen die Aussage dankbar als zentralen Schlüsselsatz für ihre Kriegspropaganda auf – als Beleg dafür, dass Deutschland und die anderen EU-Länder direkte Konfliktpartei in der Ukraine seien und gegen Russland kämpften.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, forderte am Freitag eine Erklärung des deutschen Botschafters in Moskau zu „widersprüchlichen“ Aussagen aus Berlin. Deutschland erkläre einerseits, in der Ukraine keine Konfliktpartei zu sein. Andererseits sage Baerbock, dass sich die Länder Europas im Krieg gegen Russland befänden. „Verstehen sie selbst, wovon sie da reden?“, schrieb Sacharowa im Nachrichtenkanal Telegram.
Das Auswärtige Amt stellte nach Baerbocks Äußerungen klar, Deutschland sei „keine Konfliktpartei“. Parteiübergreifend nehmen auch Politikerinnen und Politiker die Außenministerin in Schutz. „Ich habe die Aussage der Außenministerin als Plädoyer für fortgesetzte Geschlossenheit der Verbündeten gegenüber Putin verstanden“, macht Michael Roth, Vorsitzender der Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, klar. „Deutschland führt keinen Krieg gegen Russland, sondern wir unterstützen die Ukraine bei ihrem Freiheitskampf gegen den russischen Aggressor“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Ähnlich sieht das sogar der politische Gegner, CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Er sagte dem RND: „Außenministerin Baerbock hier eine böse Absicht zu unterstellen halte ich für falsch und nährt nur das russische Narrativ und die russische Desinformationskampagne. Wir, also Deutschland, sind Kriegsziel, aber nicht Kriegspartei.“ Damit verwies er auch auf die Hackerangriffe am Donnerstag auf deutsche Websites.
2. Äußerung über deutsche Wähler
We stand with Ukraine no matter what my German voters think.
Annalena Baerbock,
am 2. September 2022 bei einer Podiumsdiskussion in Prag
Diesen englischen Satz sagte Baerbock bei einer Podiumsdiskussion in Prag. Übersetzt bedeutet er so viel wie: „Wir stehen zur Ukraine, egal, was meine deutschen Wähler denken.“ Das in den sozialen Medien vielfach geteilte und kritisierte Video zeigte einen Ausschnitt einer größeren Diskussion, in der Baerbock auf Englisch erklärte, dass sie den Ukrainerinnen und Ukrainern versprochen habe, sie so lange wie nötig zu unterstützen, und dass sie deshalb auch liefern wolle – unabhängig davon, was ihre deutschen Wähler darüber denken.
Unpassende Worte für eine deutsche Politikerin, wie manche fanden. Die AfD und die Linke warfen der Grünen-Politikerin eine Missachtung des Wählerwillens vor. Kritik kam auch aus der CDU. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte sich aber hinter seine Außenministerin. Es sei Aufgabe der Bundesregierung, „für die Politik, die man vertritt, zu werben, auch in Zeiten, in denen es mal Gegenwind gibt“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Scholz’ Namen. Man müsse in diesen aufgeregten Zeiten, die für viele Menschen auch Härten mit sich brächten, Verständnis dafür haben, dass Leute die Politik auch anders sehen könnten. „Aber klar ist trotzdem, dass man bei seinen Prinzipien bleibt und bei dem bleibt, was man richtig findet“, sagte Hebestreit. Baerbock habe deutlich gemacht, „dass man auch bei Gegenwind nicht umfällt“. Dies sei in dem Schnipsel des Videos etwas zu kurz gekommen.
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Auswärtiges Amt nennt Baerbock-Video „sinnentstellend geschnitten“
Die Außenministerin sagt bei einem Auftritt in Prag der Ukraine Unterstützung zu. Wegen eines kleinen Nachsatzes ist die Aufregung nun groß.
© Quelle: dpa
Das Auswärtige Amt ging noch einen Schritt weiter und sagte, die Kritik an der Äußerung sei durch prorussische Desinformation befördert worden. „Der Klassiker: Sinnentstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange“, schrieb der Ministeriumsbeauftragte für strategische Kommunikation, Peter Ptassek, auf Twitter. „Ob wir uns so billig spalten lassen? Glaube ich nicht.“ Sein Tweet wurde vom offiziellen Twitter-Kanal des Auswärtigen Amtes weiterverbreitet.
3. Warnung vor „Volksaufständen“
Wenn wir die Gasturbine nicht bekommen, dann bekommen wir kein Gas mehr, und dann können wir überhaupt keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind.
Annalena Baerbock,
am 20. Juli 2022 beim Talk „RND vor Ort“
Auch Baerbocks Warnung vor Volksaufständen beim „RND vor Ort“-Talk im Juli vergangenen Jahres spaltete die Gemüter. Dabei relativierte sie schon im Talk selbst ihre Aussage. Auf die Nachfrage, ob sie wirklich mit Volksaufständen rechne, sagte Baerbock, dass das „vielleicht etwas überspitzt“ ausgedrückt sei. Sie konkretisierte, dies könne sie sich vorstellen für den Fall, „wenn wir kein Gas mehr hätten“. Und weiter sagte sie: „Das ist ja genau mein Punkt, dass wir Gas aus Russland weiter brauchen.“
„RND vor Ort“: Die Highlights aus dem Talk mit Außenministerin Baerbock
Außenministerin Annalena Baerbock stellte sich bei der Polittalkveranstaltung „RND vor Ort“ in Hannover den Fragen von Eva Quadbeck und Kristina Dunz.
© Quelle: RND
„Volksaufstände“ – der einmal genannte Begriff trieb dennoch manchen Politikern anderer Lager ein Stirnrunzeln ins Gesicht. Dabei erklärte Baerbock sogar, was sie mit der zugespitzten Aussage verdeutlichen wollte – nämlich warum Deutschland sich gegen ein Komplettembargo für Gas und Öl aus Russland ausgesprochen habe. Man hätte den Menschen in so einem Fall dann „von einem Tag auf den anderen“ sagen müssen, dass es kein Gas mehr gebe und das ohne Alternativen, sagte Baerbock. „Das haben wir offensichtlich nicht für den richtigen, für den sicheren Weg gehalten.“
mit dpa