„In Russland gelten diese Kämpfer als Nazis“

Austausch, Gefängnis oder Todesstrafe: Was droht den gefangenen Azovstal-Soldaten?

Mariupol: In einem Video, das vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlicht wurde, stehen Angehörige der ukrainischen Streitkräfte, die sich im Stahlwerk Azovstal ergeben haben, in einer Reihe.

Mariupol: In einem Video, das vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlicht wurde, stehen Angehörige der ukrainischen Streitkräfte, die sich im Stahlwerk Azovstal ergeben haben, in einer Reihe.

Seit Wochenbeginn haben sich laut Russland 1730 ukrainische Kämpfer aus dem belagerten Stahlwerk Azovstal in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol ergeben. Nun stellt sich die große Frage: Wie geht es jetzt mit den Kämpfern weiter? Denn viele der Soldaten, die ihre Bastion verließen, begaben sich im Rahmen eines Abkommens unmittelbar in russische Gefangenschaft. Die stellvertretende ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar sagte, es werde um einen Austausch der Kämpfer mit russischen Kriegsgefangenen verhandelt. Russlands Militär ließ einen solchen Schritt zunächst offen.

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„Die Ukraine braucht die ukrainischen Helden lebend“, machte Präsident Wolodymyr Selenskyj nach der Gefangennahme der Azovstal-Kämpfer deutlich. Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, betont in einem Videointerview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Für uns ist wichtig, dass wir diese Menschen retten können und dass diese Menschen in die Ukraine zurückkehren dürfen. Das ist das Gebot der Stunde.“

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Statt Austausch: Droht Azovstal-Kämpfern in Russland der Prozess?

Das russische Parlament wollte staatlichen Medienberichten zufolge am Mittwoch über eine Resolution gegen einen Austausch evakuierter Azovstal-Soldaten beraten. Der Präsident des russischen Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin, warf den ukrainischen Kämpfern vor, sie seien „Nazi-Verbrecher“ und „Kriegsverbrecher“. Sie müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte er. Statuiert Russland an den Mariupol-Kämpfern nun ein Exempel?

Das scheint laut dem österreichischen Politologen und Russland-Experten an der Universität Innsbruck, Gerhard Mangott, nicht unwahrscheinlich: „In Russland gelten diese Kämpfer als Nazis, und gemäß der russischen Propaganda geht es bei der ‚Spezialoperation‘ in der Ukraine um eine Entnazifizierung“, betont er gegenüber dem RND.

Viel los in der Heide: An der Militärübung „Wettiner Heide“ auf dem Übungsplatz in Munster nehmen noch bis zum 20. Mai 7.500 Soldaten aus neun Nationen teil, die die NATO Response Force NRF 2022 bis 2024 bilden.

Nato-Manöver in Niedersachsen: Mit diesen Panzern probt die „schnelle Eingreiftruppe“ den Ernstfall

In Niedersachsen probt die „schnelle Eingreiftruppe“ aktuell den Ernstfall. 7500 Soldaten aus neun Nationen nehmen teil. Vor Ort sind auch zahlreiche Panzer, Raketenwerfer und andere schwere Gefechtsfahrzeuge im Einsatz. Das RND stellt die wichtigsten Waffensysteme des Manövers vor.

Für einen Teil der Kämpfer könnte zwar Hoffnung auf einen Austausch bestehen, weniger aber für die Befehlshaber. Denn speziell die Führung des Asow-Bataillons stehe „als Sinnbild für nationalsozialistische und extrem rechte Tendenzen“, so Mangott. Diesen den Prozess zu machen, „könnte in Russland propagandistisch gut ausgeschlachtet werden“.

„Alles andere wäre ein Vertrauensverlust schlechthin“

Bereits die Gefangennahme der ukrainischen Soldaten verkaufte der Kreml als Triumph. Moskau sprach von einer Massenkapitulation und veröffentlichte später ein Video, das die Gefangennahme der Ukrainer, medizinische Behandlung sowie den Abtransport von Verletzten zeigen soll. Mindestens 50 der Soldaten sollen schwer verwundet sein. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sagte, dass alle Verletzten ins Krankenhaus von Nowoasowsk gebracht worden seien.

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Ukrainischer Botschafter Melnyk: „Deutschland und Frankreich sollen verhandeln“

Über die Lage im Krieg und einen möglichen Friedensschluss gegen die Ukraine spricht RND-Hauptstadtleiterin Eva Quadbeck mit dem Botschafter Andrij Melnyk.

„Wir hoffen sehr, dass die russische Führung ihre Versprechen einhält und dass diese Menschen so schnell wie möglich medizinische Versorgung bekommen“, so der ukrainische Botschafter Melnyk zum RND. Das Verteidigungsministerium in Moskau hatte am Montag eine Vereinbarung bekannt gegeben, wonach verwundete ukrainische Kämpfer zur Behandlung in eine Stadt unter Kontrolle prorussischer Separatisten gebracht werden könnten.

Melnyks Hoffnung gelte aber auch einem Gefangenenaustausch. „Wir hoffen, dass all die Drohungen, die wir seit gestern gehört haben, sich nicht bewahrheiten werden. Alles andere wäre ein Vertrauensverlust schlechthin.“

Russischer Unterhändler fordert Todesstrafe für Azovstal-Kämpfer

Der ukrainische Botschafter spielt damit nicht nur auf die Aussagen vom Chef des russischen Parlaments an. Der russische Unterhändler Leonid Slutski, der für Russland mit der Ukraine verhandelt, forderte gar die Todesstrafe für die Azovstal-Kämpfer. „Sie verdienen es nicht zu leben angesichts der monströsen Menschenrechtsverbrechen, die sie begangen haben und die sie weiterhin an unseren Gefangenen begehen.“

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Die rechtliche Voraussetzung dafür bestünde, so Russland-Experte Mangott. „In Russland gibt es nur ein Moratorium auf die Todesstrafe, aber sie ist nicht abgeschafft, sondern steht noch immer in der Verfassung.“ Dennoch halte er es für „sehr unwahrscheinlich“, dass diese auch angewendet werde. Seine Vermutung: „Die Kämpfer müssen sich auf lange Haftstrafen einstellen.“

Gerhard Mangott ist Politikwissenschaftler und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen und Sicherheit im postsowjetischen Raum.

Gerhard Mangott ist Politikwissenschaftler und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen und Sicherheit im postsowjetischen Raum.

Ein Schicksal, das noch deutlich mehr als den gut 1700 ukrainischen Kämpfern drohen könnte. Denn nach russischen Angaben sollen sich seit Wochenbeginn bereits 959 Soldaten aus dem belagerten Stahlwerk Azovstal ergeben haben. Unter ihnen seien 80 Verletzte, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Mittwoch laut Agentur Interfax mit. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung für diese Zahl, es würden sich aber weiterhin Kämpfer im Stahlwerk aufhalten.

Das renommierte „Institute for the Study of War“ hält das für „sehr wahrscheinlich“, wie es im aktuellen Lagebericht schreibt. Denn Russland hält das Stahlwerk weiterhin mit Luft- und Artillerieangriffen unter Beschuss.

Mariupol: Symbol für den ukrainischen Widerstand

Derweil haben die russischen Truppen nach Angaben des ukrainischen Militärs am Dienstag die Blockade des Azovstal-Stahlwerks in Mariupol aufrechterhalten. Der ukrainische Generalstab erklärte in seinem abendlichen Lagebild, das bei Facebook veröffentlicht wurde, dass „der Feind in Mariupol seine Hauptanstrengungen darauf konzentrierte, unsere Einheiten im Bereich des Azovstal-Werks zu blockieren“.

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Ukraine gibt mit Stahlwerk letzte Bastion in Mariupol auf

Das ukrainische Militär kündigte am Dienstag an, eine komplette Evakuierung des Azovstal-Werks anzustreben.

Russland hat Mariupol seit knapp drei Monaten belagert. Das russische Bombardement hat dort nach ukrainischen Angaben mehr als 20.000 Zivilisten getötet. Unter anderem starteten russische Truppen Luftangriffe auf eine Entbindungsklinik und ein Theater, in dem Zivilisten Schutz gesucht hatten. Mariupol gilt als Symbol des Widerstands und des Leids.

„Die Ukrainer haben einen bewundernswerten Widerstandswillen“

Für Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse deuten die jüngsten Entwicklungen auf einen Fall der lange schwer umkämpften Hafenstadt hin. Das Stahlwerk in Mariupol sei der letzte Haltepunkt für die Ukraine in der Stadt gewesen. „De facto ist es eine Aufgabe, um Blutvergießen zu vermeiden“, sagt er im Gespräch mit dem RND. Seiner Einschätzung nach würden Teile der russischen Truppen nun in Richtung Odessa weiterziehen, „um an der Südküste weitere Städte zu erobern“.

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Ein Teil der Kräfte müsse aber in der Stadt bleiben. Der Grund: die Sicherung vor ukrainischen Widerstandskämpfern. „Wir sehen bereits in anderen besetzten Städten, dass dort Guerillakriege stattfinden.“ Russland müsse davon ausgehen, dass Kämpfer in U-Bahnschächten und Kellern aus dem Hinterhalt angreifen, so Domröse. „Das ist die Macht des kleinen Mannes gegenüber einer Weltmacht.“ Sie könnten so Nadelstiche setzen und maximal über diesen Weg versuchen, Russlands Kampfmoral zerstören. Domröse gibt sich dennoch zuversichtlich: „Die Ukrainer haben einen bewundernswerten Widerstandswillen.“

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