Arzt bei „Hart aber fair“ über Ungeimpfte: „Der Frust ist groß“ – braucht Deutschland eine Impfpflicht?
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Bei „Hart aber fair“ stand am Montag der Blick auf die Corona-Lage in den Krankenhäusern im Fokus.
© Quelle: Stephan Pick/WDR/obs
Während Deutschland über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert, verschärft sich die Situation in den Krankenhäusern immer weiter. Der Arzt Cihan Çelik von der Corona-Isolierstation im Klinikum Darmstadt berichtete bei „Hart aber fair“, dass am heutigen Tag zehn neue Covid-Patienten aufgenommen wurden, davon acht ungeimpft. Man habe frühzeitig Patientinnen und Patienten entlassen und verlegen müssen, um freie Kapazitäten zu schaffen.
Doch es werden immer mehr zu behandelnde Personen. „Wir werden immer voller“, sagte Çelik. Er beobachte, dass immer mehr junge Patienten schwer erkranken und ins Krankenhaus eingeliefert werden. „Der Frust ist groß“. Selbst im Krankenhaus würden sich manche Patienten noch weigern, beatmet zu werden.
Auf die rückläufige Impftendenz wurde nicht richtig reagiert, gab der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) zu. Auch auf die Falschmeldungen zu Impfungen sei nicht angemessen reagiert worden. Alle hätten nur auf die Bundestagswahl geschaut. Damit wieder mehr Menschen zurück in den Pflegeberuf kommen, sprach sich Stamp nun für eine „Rückholprämie“ aus.
Klare Kante in der Politik fehlt
Für Kristina Dunz, stellvertretende Leiterin des Hauptstadtbüros des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), ist es nicht nachvollziehbar, dass sich Menschen nicht impfen lassen, die sich impfen lassen könnte. Sie warf der Politik vor, dass der Verweis auf Eigenverantwortung nicht ausreichen würde. Eine klare Kante habe in der Vergangenheit gefehlt und die Politik habe nicht auf die Wissenschaftler gehört. Blume hielt dagegen, es habe im Sommer Phasen mit wenigen Infektionen gegeben und laute Rufe nach Lockerungen. Man habe auf Zahlen basierte Maßnahmen eingeführt, wie die Krankenhausampel in Bayern.
Dunz gab zu bedenken, dass die Bundesländer nach Auslaufen der epidemischen Lage keinen Lockdown mehr einführen können, wie er jetzt in Österreich Realität ist. Auch die Ministerpräsidentenkonferenz hätte vier Wochen früher stattfinden müssen. Blume meinte jedoch, dass es in der Gesellschaft keine Akzeptanz für strengere Maßnahmen gegeben habe.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sieht es als christliche Pflicht an, sich zum Schutz für andere impfen zu lassen. Vor drei oder vier Wochen habe sie noch eine andere Meinung vertreten. Nun sei es aber an der Zeit für eine Impfpflicht, sagte sie. Wer bisher nicht geimpft ist, wird sich wohl auch nicht mehr impfen lassen, so Kurschus mit Blick auf jüngste Umfragen. Man dürfe daher nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen.
Blume und auch der FDP-Politiker Stamp können sich ebenfalls eine Impfpflicht vorstellen, wenn die anderen Maßnahmen nicht ausreichen. Stamp erklärte, ihn habe am Wochenende ein Verfassungsrechtler von der Impfpflicht überzeugt. Der Arzt Cihan Çelik bezeichnete die Impfpflicht als „Kapitulation des guten Arguments“, doch aus medizinischer Sicht komme man um eine Impfpflicht nicht herum.
Impfpflicht wie in Österreich?
Österreich hat bereits eine allgemeine Impfpflicht ab Februar angekündigt. Laut Simone Stribl (ORF-Journalistin) seien diese Worte auch ernst gemeint. Offen sei jedoch, welche Sanktionen es geben werde, sagte sie bei „Hart aber fair“. Es seien Geldstrafen im Gespräch, derzeit werde ein Gesetz vorbereitet. Österreich habe laut Stribl in der Pandemiebekämpfung viele Fehler gemacht: Die Pandemie war im Sommer für Geimpfte für beendet erklärt worden, Warnungen von Virologen habe die Politik ignoriert. Dann wurden die Maßnahmen wegen steigender Infektionszahlen immer weiter verschärft, bis hin zum Lockdown für alle – auch für Geimpfte.
Für CSU-Generalsekretär Blume stelle sich mit Blick auf Österreich nun die Frage, ob die Maßnahmen in Deutschland ausreichen oder ob nicht eine „Vollbremsung“ ähnlich wie im Nachbarland nötig sei.
Triage: Sollten Geimpfte im Krankenhaus bevorzugt werden?
Derweil werden in den Kliniken Fakten geschaffen: Da es nur noch wenige freie Intensivbetten in den Krankenhäusern gibt und bereits planbare Operationen verschoben werden, stehen viele Ärzte vor einer Entscheidung über Leben und Tod – der Triage. Die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus betonte, es dürfe bei der Entscheidung keine Rolle spielen, ob ein Patient oder eine Patientin geimpft sei oder nicht. Schließlich sei ein ungeimpfter Mensch nicht weniger Wert als ein geimpfter. Der Arzt Cihan Çelik warnte sogar vor einer einschleichenden „Katastrophenmedizin“.