„Die Lage kann jede Sekunde eskalieren“: Armenischer Botschafter warnt vor neuer Aggression Aserbaidschans
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Armenische Sicherheitskräfte in der Stadt Wardenis.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Nach zwei Tagen schwerer Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien im Südkaukasus ist armenischen Angaben zufolge eine Waffenruhe vereinbart worden. Die Lage sei verhältnismäßig ruhig, hieß es am Donnerstag aus dem Verteidigungsministerium in der armenischen Hauptstadt Eriwan. Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte Armenien in der Nacht zum Dienstag angegriffen und das mit einem angeblichen armenischen Sabotageversuch begründet.
Viele internationale Beobachterinnen und Beobachter gehen jedoch davon aus, dass Baku die Situation ausnutzt, da Armeniens Schutzmacht Russland derzeit mit dem Krieg gegen die Ukraine beschäftigt ist. Armenien fühlt sich durch den von der Türkei unterstützten Nachbarn Aserbaidschan in seiner Existenz bedroht. Auf armenischer Seite starben offiziellen Angaben zufolge 105 Soldaten, auf aserbaidschanischer 71. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sprach mit Armeniens Botschafter in Deutschland, Viktor Yengibaryan.
Was erwarten Sie von Deutschland beziehungsweise der EU mit Blick auf die neu ausgebrochenen Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien?
Die Aggression Aserbaidschans auf die souveränen Territorien der Republik Armenien ist eine Herausforderung für das Völkerrecht und die ohnehin fragile Sicherheitsordnung in Europa. Sie ist ein direkter Angriff nicht nur auf die international anerkannten Grenzen Armeniens, sondern auch ein Verstoß gegen die UN-Charta und die Schlussakte von Helsinki. Die Angriffe erfolgen unter Einsatz von Artillerie, Mörsern und Flugdrohnen nicht nur im Grenzgebiet, sondern auch in der Nähe armenischer Siedlungen und Städte wie Sotk, Wardenis, Goris, Kapan, Artanish und Ishkhanasar.
Bis heute hat die armenische Seite 105 Opfer zu beklagen. Aserbaidschaner veröffentlichten Videos in sozialen Netzwerken, auf denen neue armenische Kriegsgefangene zu sehen sind. In diesem Zusammenhang ist die Reaktion der internationalen Gemeinschaft wichtig, um Folter, Gewalt, außergerichtliche Tötungen und das gewaltsame Verschwindenlassen armenischer Kriegsgefangener wie im 44-Tage-Krieg zu verhindern. Wir erwarten von der EU, auch von Deutschland, aktive diplomatische Bemühungen und möglicherweise auch andere Schritte, um diese Angriffe zu beenden.
Sollte es aus Ihrer Sicht Sanktionen gegen Aserbaidschan geben?
Aserbaidschan muss durch aktive Schritte dazu gebracht werden, zu erkennen, dass der Angriff auf sein Nachbarland nicht ungestraft bleiben darf. Auch Sanktionen sind ein Mittel, um dies zu erreichen. Wir erwarten, dass Aserbaidschan die Aggression gegen Armenien einstellt, seine Truppen auf die Positionen vom 12. Mai 2021, das heißt, außerhalb der Grenzen Armeniens, zurückführt und an den Verhandlungstisch zurückkehrt.
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Viktor Yengibaryan ist seit November 2021 Armeniens Botschafter in Berlin.
© Quelle: matena_moments
In den westlichen Medien ist immer von „Kämpfen zwischen Aserbaidschan und Armenien“ die Rede. Wie empfinden Sie das?
Jede Erklärung, die ein Zeichen der Gleichheit zwischen dem Aggressor und dem Angegriffenen setzt, ist ein „grünes Licht“ für den Aggressor. Die armenische Regierung, die als Ergebnis demokratischer Wahlen ein Mandat zur Herstellung des Friedens erhalten hat, unternimmt große Anstrengungen für eine friedliche Lösung.
Wir haben mit aktiven Schritten bewiesen, dass wir bereit sind, die regionalen Verkehrsverbindungen zwischen Aserbaidschan und der Türkei freizugeben, jedoch müsste Aserbaidschan sich auch bereit erklären, eigene Verkehrsverbindungen nach Russland und Iran über Nachijevan für Armenien zu eröffnen. Wir sind auch bereit eine Grenzziehung durchzuführen und eine nachhaltige Lösung aller Probleme anzustreben.
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„Russland setzt die demokratische Ukraine mit Nazi-Deutschland gleich“
Nicht erst seit Putins Angriff auf die Ukraine versucht Russland, die Identität und Kultur des Landes zu vernichten. Die Unterdrückung der ukrainischen Sprache und die Verfolgung ukrainischer Intellektueller geht zurück bis in das Zarenreich und die Sowjetunion. Die deutsche Öffentlichkeit weiß zu wenig darüber, sagt der Historiker Andrij Portnov.
Russland ist bislang die einzige Schutzmacht Armeniens. Würden Sie sich Hilfe auch vom Westen, beispielsweise der EU oder der Nato, wünschen?
In Anbetracht des Ernstes der Lage hat die Republik Armenien beschlossen, alle ihr zur Verfügung stehenden diplomatischen Mittel einzusetzen, um die aserbaidschanische Aggression zu stoppen und die aserbaidschanische Armee in ihre ursprüngliche Position zurückzubringen. Dementsprechend hat sich Armenien an die Russische Föderation, das Militärbündnis OVKS und den UN-Sicherheitsrat gewandt. Unsere Regierung ist auch im engen Austausch mit den USA und der EU. Durch die aktiven Einsätze unsere internationalen Partner gibt es jetzt einen Waffenstillstand, jedoch kann die Lage jede Sekunde eskalieren, wir haben Angaben, dass Aserbaidschan sich auf neue Aggressionen vorbereitet.
Natürlich erwarten wir von unseren westlichen Partnern eine möglichst aktive Beteiligung an der Schaffung von Frieden und Sicherheit in unserer Region.