Kein Konsens, nirgends: Worüber die Bundesregierung aktuell streitet
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Bundeskanzler Olaf Scholz SPD gemeinsam mit Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Berlin. SPD, Grüne und FDP kommen nicht voran. Zwar sind, wie die „Süddeutsche Zeitung“ kürzlich berichtete, 30 Vorhaben der Ampelkoalition derzeit strittig. Doch der Koalitionsausschuss soll erst Ende März wieder tagen, nachdem ein Termin in dieser Woche geplatzt war. Damit rücken zwei andere Termine in den Fokus. Der erste ist die Kabinettsklausur zum Wochenschluss auf Schloss Meseberg. Der zweite ist die Kabinettsitzung am 15. März. Dort sollen die Ministerinnen und Minister die Eckwerte des Haushalts für 2024 festzurren. Daran wird man ablesen können, welche haushaltsrelevanten Vorhaben durchkommen und welche nicht.
Verbot neuer Ölheizungen
Am Dienstag sorgte für Furore, dass das Wirtschafts- sowie das Bauministerium an einem Gesetzentwurf zum Verbot des Einbaus neuer Gas- und Ölheizungen ab 2024 arbeiten. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sprach bei „T‑Online“ von „komplettem Unsinn“, der „Mieten und Baukosten noch weiter in die Höhe schießen“ lassen würde und von „verbohrter Ideologie“. Andere FDP-Abgeordnete erklärten, die „Fantasien“ von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seien „mit der FDP nicht zu machen“ und nannten, sie seien ein Fall „aus dem Habeck’schen Irrenhaus“.
Tatsächlich hatten SPD, Grüne und FDP bereits 2021 in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: Für den Klimaschutz sollten ab 2025 keine neuen Heizungen mehr verbaut werden, die allein mit Öl oder Gas laufen. Der Staat solle den Bürgern vielmehr beim Umstieg etwa auf Wärmepumpen helfen, nach denen ohnehin massive Nachfrage besteht. Unter dem Eindruck explodierender Energiepreise beschloss der Koalitionsausschuss im März 2022, den Schritt auf 2024 vorzuziehen: Ab 1. Januar soll jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Ökoenergie betrieben werden. So gesehen sorgt plötzlich für Streit, was längst geeint war.
Der Verteidigungsetat
In der Debatte sind erneut die Verteidigungsausgaben. Zwar hat der Bundestag der Bundeswehr unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zugebilligt. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagt jedoch, dass dies nicht reiche. Er will den Wehretat von jetzt 50 Milliarden Euro um jährlich weitere 10 Milliarden Euro aufstocken. Niemand in der Koalition widerspricht dem öffentlich. Allerdings gibt es zumindest bei den Grünen Zurückhaltung. Das hat Gründe. Denn in der Ökopartei wissen sie, dass ein aufgestockter Verteidigungshaushalt andere Projekte gefährden würde.
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Die Kindergrundsicherung
Das gilt vor allem für die von der grünen Familienministerin Lisa Paus gewünschte Kindergrundsicherung, in der die bisherigen Sozialleistungen für Kinder zusammengefasst und zugleich erhöht würden. Die Kosten des Projekts werden mit mindestens 11 Milliarden Euro taxiert. Bei den Grünen heißt es, die Sache habe Priorität. Die Devise dürfe nicht lauten: „Panzer sind uns wichtiger als Kinder.“ Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht die Kindergrundsicherung dennoch skeptisch. Und nicht nur die.
Abbau von klimaschädlichen Subventionen
Die Grünen wollen durchsetzen, dass – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – „überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen“ abgebaut werden. Lindner betrachtet indes jede Streichung von Steuervorteilen grundsätzlich als Steuererhöhung, die er ausschließt. Das betrifft etwa bestimmte Steuerermäßigungen bei der Kfz-Steuer, deren Abbau auch vom Bundesrechnungshof gefordert wird.
Gesundheit und Pflege
Zwischen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und dem Finanzminister gibt es ebenfalls Streit. Pflege- und Krankenversicherung schreiben tiefrote Zahlen. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass zur Entlastung sogenannte versicherungsfremde Leistungen aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Das sind im Fall der Pflegeversicherung die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige, die einen Umfang von immerhin 3 Milliarden Euro haben. In der Krankenversicherung zahlt der Bund zu geringe Beiträge für Bürgergeldempfänger, was zu einer Mehrbelastung der gesetzlich Versicherten von 10 Milliarden Euro führt. Lindner ist gleichwohl nicht bereit, zusätzliches Geld bereitzustellen. Das will die SPD nicht hinnehmen. Bleibt Lindner bei seiner Linie, wird es in der Pflege- und der Krankenversicherung deutliche Beitragserhöhungen geben.
Die Bildung
Ohne Rücksprache in der Koalition hat Lindner schließlich seiner Parteikollegin, Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, dauerhaft eine Milliarde Euro für die Förderung von Schulen in sozialen Brennpunkten („Startchancenprogramm“) zugesagt. Das ist inhaltlich nicht umstritten. Doch SPD und Grüne mokieren sich darüber, dass der Finanzminister den Projekten der eigenen Leute Priorität einräumt.
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Bekommt sie wirklich eine Milliarde Euro für die Förderung von Schulen in sozialen Brennpunkten? Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.
© Quelle: IMAGO/Mike Schmidt
Die Planungsbeschleunigung
Der Straßenstreit zwischen FDP und Grünen geht nun schon seit einigen Monaten. Eigentlich will die Ampel bei dem Bau von Infrastruktur viel schneller werden – darüber ist man sich einig. Im Kern geht es bei dem Konflikt aber darum, welche Verkehrsprojekte priorisiert werden sollen. Dafür müsste unter anderem auf Umweltverträglichkeitsprüfungen verzichtet werden. Das Verkehrsministerium unter der Führung von FDP-Politiker Volker Wissing hatte einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, wonach auch Neubau-Straßenprojekte von der Gesetzgebung profitieren. Das ist der Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen ein Dorn im Auge.
Es macht die Sache nicht leichter, dass Wissing am Dienstag überraschend einen Kompromiss zum Aus für Verbrennerneuwagen wieder aufgekündigt hat. Der Liberale drohte, dass Deutschland auf EU‑Ebene nicht zustimmen werde. Er will dafür sorgen, dass synthetische Kraftstoffe für Pkw und nicht etwa nur für Lkw auch nach 2035 möglich sein sollen. Über die Zukunft von Verbrennern hatte es bereits 2022 massiven Streit gegeben.
Wie es weitergeht
Bei den Grünen verlautete am Dienstag, man werde gucken müssen, wie man diese schier endlose Streitliste, die noch viele weitere Punkte enthält, nun abarbeite. Ob das in einem großen Rutsch oder nach und nach passiere, das sei nicht absehbar. Aber es werde passieren, irgendwie.