Kanzlermachtwort zu AKW: FDP zufrieden, Grüne enttäuscht – und die Union schimpft
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Nun soll auch das AKW Emsland bis zum 15. April 2023 in Betrieb bleiben.
© Quelle: Friso Gentsch/dpa
Berlin. Nach dem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Streit um den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke sieht sich die FDP bestätigt, die Grünen reagieren zurückhaltend bis enttäuscht. Scharfe Kritik kommt von der Opposition, der die Entscheidung, die AKW Isar 2, Neckarwestheim 2 und auch Emsland längstens bis zum 15. April 2023 am Netz zu lassen, nicht weit genug geht.
Zustimmung bekam Scholz von FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner, der in den vergangen Wochen auf eine Laufzeitverlängerung aller drei AKW gedrängt hatte: „Es ist im vitalen Interesse unseres Landes und seiner Wirtschaft, dass wir in diesem Winter alle Kapazitäten der Energieerzeugung erhalten. Der Bundeskanzler hat nun Klarheit geschaffen“, teilte Lindner am Montag in Berlin mit. Die weitere Nutzung des Kernkraftwerks Emsland sei dabei „ein wichtiger Beitrag für Netzstabilität, Stromkosten und Klimaschutz“. Der Vorschlag finde daher die volle Unterstützung der Freien Demokraten, sagte Lindner.
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel schrieb bei Twitter: „Alle drei AKW bleiben nach dem Willen der Regierung diesen Winter am Netz und produzieren Strom – das ist eine sehr gute Nachricht der Vernunft für die Versorgungssicherheit, die Europäische Solidarität im Energiekrieg mit Putin, die Strompreise und das Klima!“
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Scharfe Kritik von Jürgen Trittin
Die Führung der Grünen reagierte enttäuscht auf Scholz‘ AKW-Entscheidung: „Das AKW Emsland ist für die Netzstabilität nicht erforderlich“, sagte die Co-Vorsitzende der Partei, Ricarda Lang. „Entsprechend halten wir den Weiterbetrieb für nicht notwendig.“ Scholz habe von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht, sagte Lang und kündigte an: „Wir werden dazu Gespräche führen.“ Klar sei damit, dass keine neuen Brennstäbe beschafft würden und alle deutschen AKW zum 15. April 2023 vom Netz gingen.
Mag sein, dass der Brief von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht
Jürgen Trittin (die Grünen)
Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) kritisierte die Atomentscheidung scharf: „Mag sein, dass der Brief von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Danach führen die Minister ihre Ressorts in eigener Verantwortung. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung bindet auch nicht die Fraktionen bei der Umsetzung einer Formulierungshilfe für ein Gesetz.“
Grünen-Fraktion will über Scholz‘ AKW-Entscheidung beraten
Die Grünen-Fraktionsführung kündigte am Abend Beratungen über die Entscheidung von Kanzler Scholz an. „Wir nehmen zur Kenntnis, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seine Richtlinienkompetenz ausübt“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann. „Wir werden nun mit unserer Fraktion beraten, wie wir mit der Entscheidung des Kanzlers umgehen.“
Es sei „bedauerlich“, dass Scholz und die SPD offenbar bereit seien, das AKW Emsland in den Reservebetrieb zu nehmen, „obwohl es sachlich und fachlich dafür keinen Grund“ gebe, so die beiden Fraktionschefinnen. „Klar ist jetzt, dass keine neuen Brennstäbe beschafft werden und alle deutschen AKW bis spätestens zum 15. April 2023 endgültig vom Netz gehen.“
Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, lobte die Entscheidung dagegen bei Twitter: „Der Bundeskanzler nutzt seine Richtlinienkompetenz und präsentiert eine angemessene, pragmatische Lösung für Atomkraft. Jetzt alle Kraft in den Ausbau der Erneuerbaren und Schnelligkeit bei Gas- und Strompreisbremse!“
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Nouripour will AKW-Machtwort von Scholz akzeptieren
Die Entscheidung von Scholz ist aus Sicht von Grünen-Parteichef Omid Nouripour zu akzeptieren. Im rbb24 Inforadio sagte er am Dienstag, die Grünen hielten zwar nichts davon, neben den beiden süddeutschen AKW auch das AKW Emsland weiter laufen zu lassen, „auch weil wir sehen, dass das fachlich nichts bringt, weil wir sehen, dass das kein Beitrag zur Energieversorgung in Deutschland ist.“
Das Atomkraftwerk liege im Energieüberschuss-Land Niedersachsen, wo die erneuerbaren Energien gut ausgebaut seien. Nouripour betonte aber: „Unter dem Strich ist das jetzt [...] nicht Grund, eine große Diskussionskrise auszulösen.“ Er fügte hinzu: „Ich glaube, dass das Ergebnis unter dem Strich etwas ist, was auch vorm Respekt vor der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, dann entsprechend so sein wird.“
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter rechnet mit einem positiven Votum seiner Fraktion zu der durch das Kanzler-Machtwort vorgegebenen Entscheidung zu längeren AKW-Laufzeiten. „Ich glaube, am Ende wird man dem Ganzen zustimmen“, sagte der frühere Fraktionschef der Grünen am Dienstag in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv. Auch sieht er in der Entscheidung keine Niederlage für seine Partei. „Die FDP wollte unbedingt neue Brennelemente. Das kommt nicht.“ Das sei vor allem deshalb wichtig, weil keine zusätzlichen radioaktiven Abfälle dazukämen.
Grüne Jugend kritisiert Scholz‘ AKW-Entscheidung
Die Grüne Jugend reagierte derweil entrüstet auf die Entscheidung von Kanzler Scholz. „Das ist Basta-Politik, und die brauchen wir nicht“, sagte der Co-Chef der Grünen-Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Wir brauchen eine Debatte im Bundestag zu dem Thema.“
Die Grüne Jugend halte die Entscheidung auch inhaltlich für falsch, sagte Dzienus. „Sie entbehrt jeglicher Faktengrundlage.“ Es gebe zu viele offene Fragen. „Ein Weiterbetrieb des AKW Emsland könnte dafür sorgen, dass die Stromnetze in Niedersachsen verstopfen und Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen. Das ist doch absurd.“ Es gebe kein Problem mit der Strom-Versorgungssicherheit in Norddeutschland.
Union fordert, Betrieb der AKW fortzusetzen – notfalls mit neuen Brennstäben
Deutliche Kritik kam auch von der Opposition: Politiker und Politikerinnen der Union bemängeln die Entscheidung von Kanzler Scholz als unzureichend und fordern einen Weiterbetrieb der AKW über Mitte April hinaus. CDU-Chef Friedrich Merz sagte der Zeitung „Die Welt“, es greife zu kurz, dass die AKW bis maximal Mitte April 2023 weiterlaufen können. „Die deutschen Atomkraftwerke müssen – wie es die FDP gefordert hat – bis 2024 mit neuen Brennstäben weiterlaufen.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) äußerte sich ähnlich: „Ist das alles? Was für eine Enttäuschung“, schrieb Söder am Montagabend auf Twitter. Das Problem sei nur vertagt. „Das ist zwar eine Lösung im Ampelstreit, aber nicht für das Stromproblem in Deutschland“, argumentierte Söder und warnte: „Die Gefahr eines Blackouts im kommenden Jahr bleibt bestehen.“
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Dabei übte Söder erneut Fundamentalkritik an der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP: „Die Ampel nimmt weiter steigende Strompreise billigend in Kauf. Diese Koalition ist ein Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Grünen haben ihre Ideologie durchgesetzt und die FDP hat wieder einmal zu viel versprochen.“
Bayern kritisiert Atommachtwort von Scholz als unzureichend
CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer erklärte: „Das war nur ein Machtwörtchen statt wirklichem Machtwort von Bundeskanzler Scholz“. Die Entscheidung des Bundeskanzlers komme viel zu spät und sei nicht weitgehend genug, sagte Kreuzer. „Der Betrieb der drei noch laufenden Atomkraftwerke müsste mindestens solange fortgesetzt werden – notfalls auch mit neuen Brennstäben – bis die Atomkraftwerke nicht mehr zur Stromerzeugung gebraucht werden.“
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) kritisierte: „Der Kanzler springt mit April zu kurz.“ Und der Energieminister verzichte aus ideologischen Gründen auf Energieerzeugung. „Wenn der Kanzler auf öffentlichen Druck hin jetzt doch alle drei AKW verlängern muss, das Energieministerium aber nur zwei wollte, lässt das tief blicken“, sagte Aiwanger. Das Vertrauen in die Bundesregierung, ob sie wirklich alles tue, um die Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen, sei tief erschüttert. „Es glaubt auch niemand mehr, dass die Energieprobleme bis April so weit gelöst sind, dass wir keine Atomkraft mehr bräuchten. Wir müssen dringend zeitnah dafür sorgen, dass auch der Winter 2023/2024 noch mit Atomstrom abgesichert wird.“
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Brandner: Kann nur der erste Schritt sein
Der stellvertretende Bundessprecher der AfD, Stephan Brandner, sagte laut einer Mitteilung: „Für uns als AfD steht fest: Die Kernkraftwerke müssen auch über den nächsten April hinaus am Netz bleiben.“ Die Kernenergie müsse sogar ausgebaut werden, nur so sei eine grundlastfähige Energieversorgung in Deutschland möglich. „Dass der Kanzler hier ein Machtwort gesprochen hat ist aber kaum zu glauben. Vielmehr handelt es sich wohl um ein abgekartetes Spiel, dass es Habeck ermöglicht, sich hinter der Entscheidung von Scholz zu verstecken. Der Weiterbetrieb kann nur der erste Schritt sein, viele weitere müssen folgen“, so Brandner.
Rolf Mützenich: Machtwort „war notwendig“
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat das Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz im Streit über längere Laufzeiten von Atomkraftwerken verteidigt. „Es war notwendig, diese Entscheidung zu treffen“, sagte Mützenich am Dienstag im Deutschlandfunk.
Der Kanzler habe zunächst versucht, einen Kompromiss mit Christian Lindner und Robert Habeck zu finden, betonte Mützenich. Die Reaktionen auf das Machtwort hätten gezeigt, dass die Autorität des Bundeskanzlers anerkannt werde, sagte der SPD-Fraktionschef. Trotz der Differenzen herrsche im Parlament zwischen den Fraktionen Vertrauen, versicherte Mützenich.
Deutsche Umwelthilfe kritisiert Weiterbetrieb von AKW
Die Deutsche Umwelthilfe kritisierte am Montagabend die Entscheidung, auch das Atomkraftwerk Emsland in Lingen bis zum 15. April am Netz zu halten. Der Weiterbetrieb gleich aller drei deutschen Atomkraftwerke sei unnötig und gefährlich, teilte die Umweltorganisation in Berlin mit. Eine vorherige Sicherheitsüberprüfung oder ein Nachholen der längst überfälligen periodischen Sicherheitsüberprüfung sei nicht geplant.
„Damit verstößt die Bundesregierung gegen den Grundrechteschutz, für den auch das Bundesverfassungsgericht bei der Atomkraft immer schon eine hohe Messlatte angelegt hat“, sagte Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Es sei abzusehen, dass der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke keinen nennenswerten Einfluss auf die Strompreise und den Gasverbrauch haben werde.
Wochenlanger Streit der Ampel
In der Ampelkoalition hatte es zuvor wochenlang Streit um den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke gegeben. Kern des Streits waren grundlegend unterschiedliche Auffassungen zur weiteren Nutzung der Atomkraft – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise.
Die Grünen wollten die beiden süddeutschen Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis zum 15. April in Reserve halten und bei Bedarf weiter für die Stromerzeugung nutzen. Das dritte noch verbleibende AKW Emsland hingegen sollte zum 1. Januar 2023 endgültig abgeschaltet werden. Diese Linie hatte der Grünen-Parteitag am Wochenende in Bonn bestätigt. Die Anschaffung neuer Brennstäbe für einen längeren Betrieb lehnten die Delegierten ab.
Bundeskanzler Scholz kündigt schnelle Atomkraftentscheidung an
Scholz ist laut einer Regierungssprecherin zuversichtlich, dass bald eine Einigung im Koalitionsstreit um die weitere Nutzung von Atomkraftwerken gelingt.
© Quelle: dpa
Die FDP hatte angesichts der stark gestiegenen Energiepreise dagegen einen Weiterbetrieb aller drei Kraftwerke bis ins Jahr 2024 und gegebenenfalls die Reaktivierung bereits stillgelegter AKW verlangt.
Scholz kündigt Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz an
Scholz kündigte am Montag außerdem „parallel zu dieser Entscheidung“ ein ehrgeiziges Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz an. Zudem solle die politische Verständigung der Wirtschaftsministerien im Bund und Nordrhein-Westfalen mit dem Energiekonzern RWE zum Kohleausstieg im Rheinischen Revier „gesetzgeberisch umgesetzt“ werden.
Die Vereinbarung dazu sieht unter anderem vor, zwei Braunkohlekraftwerke länger laufen zu lassen, bis 2024, aber den Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen. In seinem Schreiben bittet Scholz die zuständigen Minister und Ministerinnen, „die entsprechenden Regelungsvorschläge dem Kabinett nun zeitnah vorzulegen“.
RND/dpa/ao/mdc