Ärger nach blutigem Soledar-Sieg: Warum sich Wagner-Chef Prigoschin mit dem Kreml anlegt
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Wladimir Putin (links), Präsident von Russland, und Sergej Schoigu, Verteidigungsminister von Russland, stehen unter Erfolgsdruck.
© Quelle: Mikhail Klimentyev/Pool Sputnik
Nur selten hat Russlands Machthaber Wladimir Putin sich in den vergangenen Wochen zur militärischen Entwicklung des grausamen Vernichtungskriegs in der Ukraine geäußert. Kein Wunder, schließlich gab es kaum nennenswerte Erfolge zu vermelden. Nach monatelangen erbitterten Kämpfen um die Kleinstadt Soledar in der Region Donezk konnte Putin nun die Einnahme der kleinen Stadt als Erfolgsmeldung verkünden. Im staatlich kontrollierten Fernsehsender Rossija 1 lobte er die Soldaten für ihren Einsatz. „Ich hoffe, dass unsere Kämpfer uns mehr als einmal mit ihren Ergebnissen erfreuen werden“, sagte Putin.
Dass der Kremlchef den Erfolg an der Front allein der russischen Armee und dem Verteidigungsministerium zuschrieb, dürfte den Chef der Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, erneut sehr verärgert haben. Schon seit Tagen reklamiert der Wagner-Chef die erfolgreiche Einnahme von Soledar für sich, nachdem sich seine Söldner dort monatelang einen blutigen Kampf gegen die ukrainischen Verteidiger lieferten.
Beide Seiten sprechen von hohen Opferzahlen
Wie viele Wagner-Kämpfer getötet wurden, ist nicht bekannt, aber beide Seiten sprechen von sehr hohen Zahlen. Am Sonntag überreichte Prigoschin dann sogar persönlich Medaillen an die von ihm bezahlten Söldner, die an der Eroberung der Kleinstadt beteiligt waren. Das geht aus dem Lagebericht des Militär-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) in Washington hervor. Es sei der Erfolg seiner Wagner-Gruppe, verbreitete Prigoschin bei Telegram und in anderen Sozialen Netzwerken.
Militärstrategisch ist die Einnahme allein von Soledar kaum bedeutend. Doch die Symbolwirkung ist immens. „Die Rückeroberung von Soledar ist der erste Erfolg Russlands seit einem halben Jahr“, sagt Sarah Pagung, Expertin für russische Außen- und Sicherheitspolitik, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Für diesen Erfolg wollten nun beide, die Wagner-Gruppe und die russische Armee, die Lorbeeren einsammeln. Für den Wagner-Chef gehe es darum, seinen Machtbereich und Einfluss innerhalb Russlands zu vergrößern. „Es geht für Prigoschin um einen Achtungserfolg“, so Pagung vom Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung.
Verteidigungsministerium erwähnte Gruppe Wagner nicht
Nachdem das Verteidigungsministerium in der Mitteilung über die Eroberung der Stadt Soledar mit keinem Wort die Gruppe Wagner erwähnte, äußerte Prigoschin heftige Kritik. Später veröffentlichte das Ministerium eine weitere Mitteilung, in der die Wagner-Kämpfer in den höchsten Tönen gelobt wurden. „Dieses Statement war wirklich sehr bemerkenswert“, sagt Expertin Pagung. „Der Anteil der Gruppe Wagner am militärischen Erfolg ist inzwischen so groß und in Russland auch bekannt, dass der Kreml das nicht länger ignorieren konnte.“
Russische Söldnertruppe Wagner meldet Einnahme von Soledar
Soledar in der ostukrainischen Industrieregion Donbass liegt nur wenige Kilometer von der strategisch wichtigen Stadt Bachmut entfernt.
© Quelle: Reuters
Nach Einschätzung des ISW zielt Prigoschin letztendlich darauf ab, das Vertrauen in das Verteidigungsministerium und Putin zu untergraben, so die Militärexperten. Den Konflikt zwischen Prigoschin und dem Kreml gibt es schon länger, nicht erst seit Beginn des brutalen Vernichtungskrieges gegen die Ukraine. Es geht um mehr, sagt Pagung. „Für Prigoschin geht es nicht in erster Linie darum, den Krieg zu gewinnen, sondern seine eigene Macht und damit den Zugang zu Ressourcen zu vergrößern.“
Mit militärischen Erfolgen in der Ukraine könne sich Prigoschin die Gunst im Kreml sichern und so Zugang zu Ressourcen erhalten, wie zum Beispiel lukrative Staatsaufträge für seine Privatarmee. „Die Leistungen der Wagner-Gruppe werden als besonders wertvoll wahrgenommen, wenn die russische Armee schwach wirkt.“ Prigoschin profitiert also davon, wenn die russischen Streitkräfte in der öffentlichen Wahrnehmung schlecht wegkommen.
Der Kreml ist auf Warlords wie Prigoschin angewiesen.
Sarah Pagung,
Expertin für russische Außen- und Sicherheitspolitik
Neben der Wagner-Gruppe kämpfen auch Söldner des Tschetschenenanführers Ramsan Kadyrow für Russland, und ohne die Warlords geht es nicht. „Der Kreml ist auf Warlords wie Prigoschin angewiesen“, macht Pagung deutlich. Für den Kreml sind die privaten Söldnergruppen ein schwieriger Balanceakt. Schließlich könne Moskau nicht den Anschein erwecken, dass die eigenen Institutionen wie das Verteidigungsministerium und die Armee vollkommen unfähig seien. Dabei ist für Beobachter längst klar, dass die russischen Söldner privater Armeen maßgeblich zu den (wenigen) russischen Erfolgen beitragen: „Überall dort, wo Russland in der Ukraine Fortschritte macht, ist die Wagner-Gruppe aktiv – das spricht Bände“, sagt die Expertin.
In der Ukraine zeigt sich immer mehr, dass die russische Armee kaum noch in der Lage ist, echte Erfolge vorzuweisen. Das Verteidigungsministerium unter Sergei Schoigu gerät deshalb im eigenen Land mehr und mehr unter Druck. Schon länger gebe es eine Fehde zwischen Prigoschin und dem Verteidigungsminister, so Pagung. „Schoigu hat beispielsweise einen sehr hohen Beamten im Verteidigungsministerium entlassen, der Prigoschin immer wieder lukrative Aufträge zugeschoben hat.“ Es ist ein Konkurrenzkampf um Macht, Geld und Einfluss, bei dem sich Prigoschin durch den Krieg neue Chancen ausrechnet.
Über Jahre hatte der Kreml die Existenz von Wagner erst bestritten, dann behauptet, der russische Staat habe mit der Gruppe gar nichts zu tun. Seit einigen Monaten tritt Prigoschin nun ganz offensiv als Chef der Privatarmee in Erscheinung und äußert immer wieder offen Kritik an der russischen Kriegsführung in der Ukraine. Er geht auch in russischen Gefängnissen ein und aus, um dort Gefangene für den Krieg anzuwerben.
Viele der Söldner, die zuvor aus Gefängnissen mit dem Versprechen auf Straffreiheit rekrutiert wurden, waren ohne viel Kampferfahrung als Kanonenfutter an die vorderste Front geschickt worden. „Sie sollen beispielsweise ukrainische Stellungen lokalisieren, während die erfahrenen Kämpfer erst danach vorrücken“, so Expertin Pagung. Sie schätzt, dass die Wagner-Gruppe auch nach den monatelangen Kämpfen in Soledar und Bachmut noch über ein großes Reservoir an gut ausgebildeten, erfahrenen Kräften verfügt.