30 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion: Wie Putin um ein Comeback des Imperiums kämpft

Wladimir Putin (rechts), Präsident von Russland, und der Sergej Schoigu, Verteidigungsminister von Russland, besuchen eine Militärausstellung.

Wladimir Putin (rechts), Präsident von Russland, und der Sergej Schoigu, Verteidigungsminister von Russland, besuchen eine Militärausstellung.

Berlin. Anfang Dezember 1991 zogen sich drei Spitzenpolitiker in die entlegene Regierungsresidenz Wiskuli im Naturschutzgebiet Belowescher Urwald zurück. Hier, an der belarussisch-polnischen Grenze, tüftelten sie unter „strengster Geheimhaltung und spezieller Bewachung“ eine Geheimoperation von weltpolitischer Bedeutung aus.

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In seinen 2013 erschienenen Erinnerungen „Alles zu seiner Zeit“ findet der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michael Gorbatschow, rückblickend kein gutes Wort über das, „was dort eilends und heimlich inszeniert wurde“, und spricht von „einer verschwörerischen Sezierung“.

Einen einmaligen Empfang bereitete die Bonner Bevölkerung dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michael Gorbatschow und seiner Ehefrau Raissa, als beide 1989 das Rathaus besuchten. Als einer der Väter der Deutschen Einheit hat Michail Gorbatschow sich seinen Platz in der Geschichte schon vor 30 Jahren gesichert.

Einen einmaligen Empfang bereitete die Bonner Bevölkerung dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michael Gorbatschow und seiner Ehefrau Raissa, als beide 1989 das Rathaus besuchten. Als einer der Väter der Deutschen Einheit hat Michail Gorbatschow sich seinen Platz in der Geschichte schon vor 30 Jahren gesichert.

Die Auflösung der Sowjetunion

Die „Verschwörer“ waren der belarussische Parlamentschef Stanislaw Schuschkewitsch und die beiden Präsidenten Russlands und der Ukraine, Boris Jelzin und Leonid Krawtschuk. Was sie in der Regierungsdatscha Wiskuli ausheckten und schließlich am 8. Dezember unterzeichneten, war ein Vertrag zur Gründung einer Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und zur Auflösung der Sowjetunion. Deren Präsident saß in Moskau und wurde von Schuschkewitsch telefonisch von dem folgenschweren Schritt unterrichtet.

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Wahrscheinlich war Gorbatschow nicht einmal mehr überrascht, denn Wiskuli war vom sowjetischen Geheimdienst KGB komplett verwanzt. Doch der Stern des Staatspräsidenten der UdSSR war längst im Sinken begriffen, und als er schließlich am 25. Dezember 1991 seinen Rücktritt erklärte, hatte er machtpolitisch schon lange nichts mehr zu sagen.

Die sowjetische Fahne wird eingezogen

Schon als im August 1991 eine Militärclique gegen Gorbatschow putscht, betritt ein neuer Held die politische Bühne. Der gerade erst zum Präsidenten Russlands gewählte Jelzin wettert auf einem Panzer stehend gegen die Putschisten und wehrt die Gegenrevolution ab. Per Dekret verbietet er in Russland die KPdSU und leitet damit auch die Entmachtung des Zentralstaates ein.

Am 25. Dezember wurde die sowjetische Flagge am Kreml eingezogen, der 26. Dezember gilt offiziell als Ende des kommunistischen Vielvölkerstaates, der knapp 70 Jahre lang existierte. „Der Zusammenbruch der Sowjetunion als Staat war zu einem guten Teil die Folge der Unabhängigkeitsbewegungen seiner Nationalitäten“, schreibt der Osteuropahistoriker Andreas Kappeler in seiner „Kleinen Geschichte der Ukraine“.

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Die Bildkombination zeigt das Einholen der sowjetischen Flagge (links) am Kreml und das Hissen der weiß-blau-roten russischen Trikolore am 25.12.1991 kurz nach der Rücktrittserklärung des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow.

Die Bildkombination zeigt das Einholen der sowjetischen Flagge (links) am Kreml und das Hissen der weiß-blau-roten russischen Trikolore am 25.12.1991 kurz nach der Rücktrittserklärung des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow.

Während die KPdSU noch 1986 in ihrem Parteiprogramm glaubte, dass „die nationale Frage in der Sowjetunion erfolgreich gelöst wurde“, musste sich Gorbatschow zwei Jahre später mit den nationalen Bewegungen im Baltikum und in Transkaukasien auseinandersetzen. „Wir hatten viel Glück, dass wir im richtigen Moment dieses Imperium verlassen konnten“, sagt Litauens Botschafter in Berlin, Ramunas Misiulis, heute rückblickend.

Während viele der ehemaligen 15 Sowjetrepubliken das Ende auch als Chance begriffen und neue Wege gingen, trauern die alten Eliten Russlands dem Zerfall bis heute nach. Schon 2005 bezeichnete Russlands Präsident Wladimir Putin das Ende der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts, und heute spricht er von einer „Tragödie“. „Das, was wir uns in 1000 Jahren erarbeitet haben, war zu einem bedeutenden Teil verloren“, sagte Putin mit Blick auf das russische Zarenreich jetzt in einer TV‑Doku.

Kurs der Ukraine verursacht den größten Schmerz

In seinem Verlustschmerz ist Putin Gorbatschow näher als seinem eigentlichen Ziehvater Jelzin, an dessen Grab er jedes Jahr Blumen niederlegt. Spätestens seit der Annexion der Krim 2014 steht Putin im Verdacht, das alte russische Imperium wiederherstellen zu wollen. Es ist offensichtlich, dass der eigenständige Kurs der Ukraine Moskau die größten Schmerzen verursacht und man alles versucht, um ein Abdriften in das westliche Bündnis- und Wertesystem zu verhindern.

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Seit Jahren arbeitet Putin an dem Thema Heimat und Identität. Dabei spielt der Sieg über Nazi-Deutschland, der die Sowjetunion 27 Millionen Todesopfer gekostet hat, eine große Rolle. „Er setzt auf die emotionale Erinnerung als Kitt für den Zusammenhalt und die nationale Identität nach dem Untergang der Sowjetunion“, schreibt der Autor Hubert Seipel in seinem Buch „Putins Macht“.

Warum die Ukraine für Putin so wichtig ist

Kritiker sehen den 69 Jahre alten Präsidenten stark in der Vergangenheit bis hin ins 19. Jahrhundert gefangen und von neuer imperialer Größe träumend. Die Ukraine ist dabei deshalb so wichtig, weil nach russischer Geschichtsauffassung das altslawische Großreich Kiewer Rus als Vorläufer des heutigen Russlands angesehen wird. Zudem ist die Ukraine flächenmäßig der zweitgrößte Staat Europas, und sie war mit damals 45 Millionen Einwohnern und von ihrer Wirtschaftskraft her die zweitwichtigste Sowjetrepublik nach der russischen.

„Zar Alexander der III., der von 1881 bis 1894 regierte, dürfte neben Peter dem Großen jener russische Herrscher sein, den Wladimir Putin am meisten als Vorbild sieht“, schreibt der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch, in seinen Erinnerungen „Russlands Weg“. Es geht mit Blick auf die Geschichte immer um Begriffe wie Schicksal, Verantwortung, Patriotismus, Nation, Einfluss, Entschlossenheit und Autorität. Von Fritsch schreibt dazu: „Als der Präsident 2017 auf der Krim ein Denkmal für den Zaren enthüllte, sprach er über ihn, als spreche er von sich selbst.“

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Die US-Außenpolitikerin Victoria Nuland sprach dieser Tage von der Befürchtung, dass Putin es als sein Vermächtnis betrachten könnte, die Sowjetunion wieder zu errichten. Sie spielte damit auf den massiven Truppenaufmarsch Russlands an der Grenze zur Ukraine und die Furcht vor einer Invasion an. Der Westen blickt insgesamt mit Sorge auf den postsowjetischen Raum, denn längst nicht alle Republiken haben sich so entwickelt wie die Musterknaben im Baltikum.

Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien

Etwa die Hälfte der Staaten gelten als autokratisch regiert bis dahin, dass die Macht innerhalb der Familien weitergegeben wird. Zudem gibt es ständig regionale Konflikte, wie zuletzt den 44-Tage-Krieg mit 6900 Toten zwischen dem muslimischen Aserbaidschan und dem christlichen Armenien. Der Westen sah mehr oder minder tatenlos zu, erst die alte Schutzmacht Russland führte den Waffenstillstand herbei und schickte Friedenstruppen in die umstrittene Region Berg-Karabach.

Nicht zuletzt ist die Ex-Sowjetrepublik Belarus ein permanenter Krisenherd. Diktator Alexander Lukaschenko hält brutal die Opposition im eigenen Land nieder und setzt den Westen mit Flüchtlingen aus Krisenregionen unter Druck, die er an die Grenzen zu Polen und Litauen entsendet. Vom Westen sanktioniert, wendet sich Lukaschenko immer mehr Putin zu und arbeitet mit ihm intensiv am russisch-belarussischen Unionsstaat.

Beobachter halten als nächsten Schritt die Einrichtung einer russischen Luftwaffenbasis in Belarus für denkbar, die groß genug wäre, um auch Bodentruppen und Kriegsgerät zu beherbergen. Damit würde Russland die „Frontlinie“ zur Nato wesentlich weiter nach Westen verschieben, als das jetzt der Fall ist.

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Zwei mögliche Szenarien

Russlands Stärke resultiert heute immer noch auf unendlichen Rohstoffquellen und riesigen Ressourcen an Bodenschätzen sowie seiner Rolle als militärisches Kraftzentrum mit großen Atomwaffenarsenalen. Im Gegensatz zu China hinkt die wirtschaftliche Entwicklung allerdings stark hinterher, auch weil kreative Kräfte nicht genug Freiraum bekommen.

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Der Diplomat Rüdiger von Fritsch sieht für die Zukunft des Rechtsnachfolgers der Sowjetunion zwei Szenarien: Entweder es setzt sich alles noch lange so fort, und Putin regiert selbst über die nächste Präsidentenwahl 2024 hinaus weiter beziehungsweise er installiert einen ihm genehmen Nachfolger. Oder es ändert sich alles rasant, quasi über Nacht. „Dann könnten die Erschütterungen groß sein, bis hin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Machtkämpfen oder gar der weiteren Loslösung von Teilen des Reiches.“

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