Wie ein Kommafehler ein verbotenes LSD-Derivat legalisieren könnte
Eine Modedroge, die lange Zeit völlig legal war – und bereits einen legalen Nachfolger hat. Aber wie kann das sein?
© Quelle: RND/Matthias Schwarzer
Hannover. Die Pläne klangen ehrgeizig, als der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), sie im Frühherbst 2022 der Öffentlichkeit präsentierte. Eine Droge mit dem Namen 1V‑LSD, ein bis dato noch legales Derivat des Halluzinogens LSD, solle endgültig verboten werden. Man habe das Verfahren für ein Verbot auf den Weg gebracht, so Blienert damals – nur einen Monat später stand die Droge tatsächlich in der Anlage des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes, kurz NpSG.
Die Gründe für das Verbot liegen auf der Hand: 1V‑LSD zählte bis zur Gesetzesänderung zu den sogenannten Legal Highs und war entweder online oder in den Drogenshops deutscher Großstädte erhältlich. Gleichzeitig aber gilt das Derivat als besonders stark – im Zweifel kann es sogar zu stärkeren Wirkungen führen als der Konsum von LSD selbst. Die Rede ist von heftigen Acht-Stunden-Trips, je nach Dosierung. Laut Blienert seien „unkalkulierbare gesundheitlichen Gefahren“ möglich – es müsse also etwas getan werden.
Das Problem: Zu einem Verbot kam es möglicherweise nie – so zumindest die Auffassung von Rechtsexpertinnen und ‑experten. Das NpSG vom Oktober 2022 enthält nämlich einen gravierenden Fehler: Statt eines Kommas wurde an einer Stelle im Gesetz ein Bindestrich gesetzt, der schwerwiegende Folgen haben könnte. Nicht nur das umstrittene 1V‑LSD, sondern auch andere bereits verbotene Substanzen seien damit theoretisch wieder legal.
Bindestrich statt Komma
Aufgedeckt hat die Gesetzespanne der Strafrechtler Sebastian Sobota zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen, der Chemikerin Annika Klose und dem Materialwissenschaftler Lukas Mirko Reinold. In einem Fachartikel für das Magazin „Strafverteidiger“ hat Sobota das Problem genau beschrieben – das Rechtsmagazin „Legal Tribune Online“ hatte zuerst über den Fall berichtet.
Konkret geht es um die Anlage des NpSG. Während das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) den Umgang mit illegalen Drogen regelt, widmet sich das NpSG wirkungsgleichen Derivaten, also sogenannten Legal Highs. Eingeführt wurde das Gesetz, weil Produzenten mit der Zeit immer neue Stoffe auf den Markt gebracht hatten, die zwar offiziell keine Betäubungsmittel sind – aber so wirken. Im NpSG werden seither in einer ständig aktualisierten Anlage ganze Stoffgruppen aufgeführt, die fortan verboten sind.
Genau in dieser Anlage kam es zu dem schwerwiegenden Fehler, wie Sebastian Sobota, Strafrechtler und Kriminologe an der Uni Heidelberg, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärt. „Konkret geht es um 5.2.a) der Anlage zum NpSG“, so Sobota. „Der Verordnungsgeber hat dort in ‚Alkylcarbonyl (bis C10)-Cycloalkylcarbonyl- (Ringgröße C3 bis C6)‘ einen Bindestrich statt eines Kommas eingebracht.“ (Anmerkung der Redaktion: Es geht um den Bindestrich nach der Formulierung ‚(bis C10)‘).
Ein Flüchtigkeitsfehler mit Folgen
„Der Bindestrich hätte dagegen bereits nach „Alkylcarbonyl“ gesetzt werden müssen“, so der Rechtsexperte weiter. „Diese falsche Interpunktion hat inhaltliche Auswirkungen, weil ein Bindestrich zwischen den beiden Teilen eindeutig eine Gesamtgruppe ausdrückt, während mutmaßlich zwei einzelnen Gruppen gemeint waren. In chemischer Hinsicht ist die formulierte Stoffgruppe ‚Alkylcarbonylcycloalkylcarbonyl‘ etwas anderes als ‚Alkylcarbonyl‘ und ‚Cycloalkylcarbonyl‘.“
Es handelte sich hier mutmaßlich um einen handwerklichen Flüchtigkeitsfehler, so Sobota am Telefon. Die Folgen seien nach Einschätzung des Experten aber riesig. Eine ganze Reihe von LSD-Derivaten sei durch den Fehler nicht erfasst worden. Dazu gehöre eben auch die gefährliche Variante 1V‑LSD. Mehr noch: Zusätzlich sei eine ganze Reihe von bereits verbotenen Substanzen wieder legalisiert worden – etwa die Vorgänger des Stoffes 1P‑LSD und 1cP‑LSD.
Den Fehler wieder rückgängig zu machen ist möglicherweise ein schwieriger Prozess. Für eine neue Verordnung ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich, heißt es bei „Legal Tribune Online“. Sollten weitere LSD-Derivate verboten werden, müsse zunächst ein Sachverständiger angehört werden. Bis dahin könne das umstrittene 1V‑LSD weiter verkauft werden.
Ministerium widerspricht
In der Opposition sorgt der Fall bereits für handfeste Empörung. Die Berichterstatterin für Sucht- und Drogenpolitik Simone Borchardt (CDU) spricht gegenüber dem Magazin von einem „folgenschweren handwerklichen Fehler“, der „schnellstmöglich korrigiert werden“ müsse. „Derartiges ist leider symptomatisch für ein Ministerium, das zahlreiche große Vorhaben gleichzeitig und häufig ohne externen Rat stemmen will. Hinzu kommt noch die hohe Ressourcenbindung durch die überflüssige Cannabislegalisierung. Dafür trägt der Bundesgesundheitsminister die Verantwortung“, so Borchardt weiter.
Das Bundesgesundheitsministerium selbst sieht die Sache ein bisschen anders. „Mehrere Medien berichten, dass eine falsche Interpunktion in einer Verordnung zum ‚Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG)‘ dazu geführt habe, dass ‚gefährliche LSD-Derivate, die der Gesetzgeber eigentlich verbieten wollte, plötzlich legal seien‘. Diese Darstellung ist falsch“, betont eine Sprecherin gegenüber dem RND.
„Es gab zwar einen Interpunktionsfehler in der Verordnung – es wurde unbeabsichtigt ein Bindestrich verschoben – der redaktionelle Fehler im NpSG hat aber keine Auswirkungen auf die geltende Rechtslage. Der Verkauf von LSD-Derivaten wie 1V‑LSD bleibt weiterhin verboten“, stellt die Sprecherin klar. Dieser „redaktionelle Fehler“ werde „zügig berichtigt“. „Ein erneuter Beschluss des Bundesrates zur geltenden Verordnung ist nicht erforderlich“, meint das Gesundheitsministerium.
Shopbesitzer zeigt sich unbeeindruckt
Ob die mögliche Panne überhaupt etwas an der aktuellen Lage ändert, ist aber ohnehin fraglich. Shops, die sogenannte Legal Highs online oder stationär vertreiben, haben längst ein Nachfolgeprodukt des umstrittenen 1V‑LSD im Angebot. Es nennt sich 1D‑LSD und wird mitunter von der Cofana GmbH in Berlin vertrieben.
Dessen Geschäftsführer Daniel Becker erklärt dem RND am Telefon, man verkaufe über den Shop ausschließlich legale Produkte – um rechtlich auf Nummer sicher zu gehen, arbeite man auch mit einer Anwaltskanzlei zusammen. „Von der Gesetzespanne haben wir erfahren, sie ist für uns aber nicht relevant“, erklärt Becker. 1V‑LSD habe man aus dem Sortiment genommen, als das Verbot im vergangenen Jahr drohte. Genauso sei es auch mit den Vorgängern 1P‑LSD und 1cP‑LSD geschehen. Pläne, es wieder zu verkaufen, gebe es nicht – dafür sei die mögliche Gesetzeslücke viel zu schwammig und könne auch schnell wieder behoben werden. Man bleibe bei der neuesten Variante 1D‑LSD.
Das, was Becker und sein Team machen, ist ein eingespieltes, aber auch viel kritisiertes Spiel. Von einem „Wettrennen gegen findige Chemiker“ spricht etwa der Drogenbeauftragte Burkhard Blienert. Wird eine Substanz per Gesetz verboten, haben die Hersteller und Shops schon das nächste auf dem Markt. Dabei wird dann nur geringfügig die Molekülstruktur von LSD verändert, sodass eine neue Substanz als „Forschungschemikalie“ firmiert. Ein seit Jahren gängiges Phänomen: Vor den LSD‑Alternativen waren auch schon Cannabinoid-Derivate und Derivate von Ecstasy auf den Markt gekommen.
Der Hype ums Microdosing
Auch Daniel Becker und sein Team verkaufen die LSD-Alternativen nur zu Forschungszwecken, wie es offiziell heißt. Zum Konsum rät der Berliner Shop ausdrücklich nicht. Auch Kundinnen und Kunden, die den Shop betreten, wird bei der Anwendung der Substanzen nicht weitergeholfen, um sich rechtlich nicht angreifbar zu machen.
Die Realität allerdings dürfte anders aussehen. Insbesondere das sogenannte Microdosing erfreut sich bei Privatpersonen immer größerer Beliebtheit. Erstmals bekannt wurde der Trend im Silicon Valley. Gestresste Start‑up-Mitarbeiterinnen und ‑Mitarbeiter nahmen winzige Mengen LSD zu sich, um mehr Leistung erbringen zu können und sich kreativer zu fühlen. Ein Trend, der längst auch die deutschen Großstädte erreicht hat, wenngleich es keine verlässlichen Zahlen dazu gibt.
LSD hat aus Sicht von Konsumentinnen und Konsumenten den Vorteil, dass es körperlich nicht abhängig macht. Trotzdem halten Expertinnen und Experten die Substanzen für gefährlich. Man könne durch den Missbrauch der Drogen schnell in eine psychische Abhängigkeit raten, warnt etwa die Münchner Drogenberatungsstelle Condrobs. Berichte gibt es auch über sogenannte Horrortrips, bei denen Konsumierende Panikattacken bekommen und Tage brauchen, um sich von einem schlechten Trip zu erholen.
LSD-Alternative bleibt vorerst legal
Das gilt auch für die aktuellste, noch legale LSD-Variante, 1D‑LSD. Hier habe der Verbotsprozess noch gar nicht begonnen, sagt Becker. Bevor der Stoff tatsächlich verboten werde, müssten verschiedenste Gremien darüber entscheiden, zum Teil auf EU‑Ebene, erklärt er. „Wir verfolgen die Lage und reagieren, sobald sich an der Gesetzeslage etwas ändert.“
Als Erstes erfahre die Cofana GmbH von diesen Änderungen meist vom Hersteller der Drogen. Wer genau das ist, möchte Becker am Telefon nicht verraten. Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) soll es sich um ein Labor aus den Niederlanden handeln, das auch andere Shops beliefert.
Der Politik jedenfalls ist Beckers Geschäft seit Jahren ein Dorn im Auge. Die sogenannten Legal Highs „bergen unkalkulierbare gesundheitliche Gefahren, sind nicht erforscht und können in ihrer Wirkung viel stärker oder auch ganz anders ausfallen“, so Drogenbeauftragter Blienert gegenüber der „SZ“. Den Dealern, so glaubt der Drogenbeauftragte, sei das herzlich egal. „Die interessiert am Ende nur der Profit – zulasten der Gesundheit der Konsumierenden.“