100-Tage-Bilanz: Die Erneuerung des Hendrik Wüst
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NRW-Ministerpraesident Hendrik Wüst, CDU
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Eigentlich wurde Hendrik Wüst für ein Spitzenamt in der Politik fast schon abgeschrieben. 2010 musste er wegen der „Rent a Rüttgers“-Affäre als Generalsekretär der CDU Nordrhein-Westfalen zurücktreten. Die Partei hatte Sponsoren gegen Geld Gespräche mit dem damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers angeboten und den Eindruck von Käuflichkeit erweckt. Wüst übernahm die Verantwortung.
Dass er nur zwölf Jahre später mit das mächtigste Ministerpräsidentenamt bekleidet, damit hätten einige in der Politik wohl nicht gerechnet. „Viele haben mich groß werden, ja, auch straucheln sehen“, deutete der Christdemokrat im vergangen Jahr selbstkritisch an. Wüst, als Regierungschef der schwarz-grünen Koalition 100 Tage in Nordrhein-Westfalen im Amt, hatte bereits im Herbst 2021 den Job seines Vorgängers Armin Laschet (CDU) übernommen. Damals wurde NRW noch von schwarz-gelb geführt. Im Mai 2022 gewann die CDU erneut die Landtagswahl – und Wüst wurde wieder Ministerpräsident. „Es gibt nichts Schöneres für mich, dieses Land auch als Ministerpräsident voranzubringen“, sagte Wüst.
Geräuschlose Zusammenarbeit mit den Grünen
Mittlerweile ist er offenbar einer der beliebtesten Politiker im Land: In mehreren Umfragen liegt der verheiratete Vater einer Tochter auf den vorderen Plätzen, wenn es um Kompetenz geht. Wohl auch, weil er in den vergangenen Monaten bundespolitische Bekanntheit erlangt hat. Bis Oktober dieses Jahres lenkte er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz federführend die Beratungen mit dem Bund – quasi der Gegenspieler von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Länderseite. In NRW kann Wüst offensichtlich auch inhaltlich überzeugen. In der letzten Insa-Umfrage für „Bild“ liegt seine CDU mit 36 Prozent vor der SPD (22 Prozent) und seinem Koalitionspartner, den Grünen (21 Prozent).
Das dürfte auch an der nahezu geräuschlosen Koalitionsarbeit mit der Ökopartei und Grünen-Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur liegen. So hätten einige in der CDU nicht gedacht, dass die Zusammenarbeit „so erstaunlich gut“ laufen könne, sagt eine Christdemokratin. Man habe mit „größeren Auseinandersetzungen“ gerechnet. Der Grünen-Landesverband in NRW gilt traditionell als eher links. „Die grüne Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag ist sicherlich tendenziell links“, sagt etwa NRW-Landesgruppenchef Günter Krings. Die unterschiedlichen Ansichten seien zwar eine Herausforderung, könnten aber auch eine Chance sein. „Die Kompromisse in dieser Koalition können dann auch sehr weite Teile der Gesellschaft mitnehmen“, betont er.
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NRW ist voller schwarz-grüner Sprengkraft
CDU und Grüne klären die strittigen Fragen eher intern statt – wie immer wieder die Ampel auf Bundesebene – öffentlich aufeinander einzudreschen. Wie das funktioniert, zeigen zwei aktuelle Themen, die eigentlich schwarz-grüne Sprengkraft haben: Da ist das Braunkohledorf Lützerath, das bei der Grünen-Basis zum Symbol des Kampfes gegen Klimazerstörung geworden ist. Diese Woche wurde bekannt, dass die Koalitionäre einen Kompromiss gefunden haben: Der Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier soll auf 2030 vorgezogen werden. Zugleich soll Braunkohle unter der Siedlung Lützerath gefördert werden. Abzuwarten bleibt, ob auch die Grünen-Basis in NRW die Füße still halten wird.
Nervosität löste in der Koalition auch der Tod eines 16-jährigen Schwarzen durch Polizeischüsse in Dortmund aus. Am 8. August war der mit einem Messer bewaffnete Flüchtling in einer Jugendhilfeeinrichtung getötet worden. Es ist ein Fall, in dem traditionelle Positionen der eher polizeiskeptischen Grünen und der gegenüber Sicherheitsapparaten grundsätzlich positiv eingestellten CDU aufeinander prallen. Manch einer in der Koalition hatte öffentlichen Ärger befürchtet. Wüst mahnte zur „Besonnenheit“ – Streit blieb zunächst aus.
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Der letzte Bauer von Lützerath packt ein
Eckardt Heukamp ist der letzte Einwohner von Lützerath. Jetzt muss auch er seinen Hof verlassen – weil RWE den Ort für die Braunkohle abbaggern will. Gibt es noch eine Rettung? Oder kommt es im Herbst zur großen Räumungsschlacht mit Aktivisten? Ein Besuch an der Abbruchkante.
Wüst hat die Kurve gekriegt
Dass Wüst zur Ruhe aufruft, scheint sein neuer Stil zu sein. In der CDU heißt es, Wüst und Staatskanzleichef Nathanael Liminski brächten mit „Sachlichkeit und Strukturiertheit“ Ruhe in die Koalition. Dabei galt Wüst vor einigen Jahren noch als krawalliger Konservativer, der sich derbe Sprüche nicht verkneifen konnte. Neben dem Rüttgers-Fehltritt leistete sich Wüst auch einen persönlichen Fehler – 2009 musste er circa 6000 Euro an den Landtag zurückzahlen, weil er überhöhte Zuschüsse zu seiner privaten Kranken- und Pflegeversicherung bekommen hatte. Wüst bekam die Kurve, auch weil es ihm immer wieder gelang, sein Direktmandat im Landtag zu verteidigen. In seinem Vorgänger als Ministerpräsident, Armin Laschet, hatte er einen neuen Förderer, der ihn zum Verkehrsminister machte.
Seither wird Wüst nur noch selten krawallig, wenn ihn die Ampel-Regierung in Berlin reizt. Bei den NRW-Grünen dürfte zu heftige Kritik an der Bundesregierung nicht gut ankommen, weil sie auch indirekt die Ökopartei ins Visier nimmt. Politisch ist er deutlich in die Mitte gerückt. Mit dem Satz „Der Markenkern der CDU war nie das Konservative, sondern das Christliche“ erregte er kürzlich die Gemüter mancher konservativer Kollegen. Der junge Wüst, der das CDU-Papier „Moderner bürgerlicher Konservatismus“ mit ausarbeitete, würde sich wohl am Kopf kratzen. Dass er für höhere Karriereschritte infrage kommt, verneint in der CDU kaum jemand. Sein Name fällt häufig in CDU-Kreisen, wenn es um mögliche CDU-Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2025 geht. Für Wüst stellt sich die Frage allerdings „gerade überhaupt nicht“, wie er selbst sagt. Bekanntermaßen steht zuerst Parteichef Friedrich Merz dafür bereit.