1,5 Grad Celsius Erwärmung oder ein bisschen mehr – der Klimabasar von Glasgow

Sudan, Khartum: Ein Junge steht in einer überfluteten Straße. Der Klimawandel verschärft mit steigenden Temperaturen, mehr Extremwetterlagen und veränderten Regenfällen die Hungerkrise in Afrika und vertreibt Menschen aus ihrer Heimat.

Sudan, Khartum: Ein Junge steht in einer überfluteten Straße. Der Klimawandel verschärft mit steigenden Temperaturen, mehr Extremwetterlagen und veränderten Regenfällen die Hungerkrise in Afrika und vertreibt Menschen aus ihrer Heimat.

Berlin. Euphorie. Das ist es, was Barbara Hendricks zu Paris einfällt. 14 Tage war die damalige Bundesumwelt­ministerin Ende 2015 in der französischen Hauptstadt, um das heute völkerrechtlich gültige Klimaschutzabkommen mit auf den Weg zu bringen. „Wir haben Tag und Nacht verhandelt“, erinnert sie sich.

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Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: 197 Staaten und die Europäische Union vereinbarten damals kurz vorm Weihnachtsfest, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius, möglichst aber auf 1,5 Grad zu beschränken. Den gordischen Knoten, betont Hendricks, hatten die Länder des Südens durchschlagen.

Dafür, so das Vorhaben von Paris, soll in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weltweit Treibhausgasneutralität herrschen. Das bedeutet, es dürfen nicht mehr Emissionen entstehen, als zum Beispiel durch Wälder gebunden werden können. Wichtiger Punkt außerdem: Die Anpassung an den Klimawandel soll verbessert werden.

Wichtig dabei: Die globalen Finanzströme müssen mit den Klimazielen in Einklang gebracht werden. Außerdem benötigen ärmere Länder bedeutende Unterstützung beim Klimaschutz. „Paris hat die gesellschaftliche Debatte verändert, das sollte als Ergebnis nicht unterschätzt werden“, ist die SPD-Politikerin Hendricks überzeugt. „In Deutschland ist die gesellschaftliche Debatte eigentlich erst seit 2018 anders geworden mit dem Aufkommen der Klimabewegung Fridays for Future und mit mehreren heißen Sommern hintereinander.“

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Wie dünn das Seil ist, auf dem alle stehen, zeigte der kurzzeitige Ausstieg der USA unter Präsident Donald Trump aus dem Vertrag im vergangenen Jahr. Die Vereinigten Staaten stoßen immerhin nach China die größten Mengen Treibhausgase aus – bei deutlich weniger Einwohnern.

Abholzungen im brasilianischen Amazonasgebiet

Und im brasilianischen Amazonasgebiet, das als grüne Lunge der Erde gilt, sind allein im Mai dieses Jahres 1180 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt worden – das entspricht etwas mehr als die Gesamtfläche Honkongs.

Und Deutschland? Hierzulande musste das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr eingreifen, um die regierende große Koalition aus Union und SPD dazu zu zwingen, ein Klimaschutzgesetz vorzulegen, das seinen Namen auch verdient. Wichtiges Signal an die handelnden Politiker: Maßnahmen dürften nicht auf die nächste Generation verschoben werden.

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Zu Recht. Die Welt steuert zurzeit auf ein Plus von 2,7 Grad zu. Die Wissenschaftsvereinigung der Vereinten Nationen IPCC warnte erst im zurückliegenden August im Weltklimabericht: Der Einfluss des Menschen auf das Klima hat bereits für eine Erwärmung von 1,1 Grad Celsius gesorgt. Bei gleichbleibender Entwicklung werde bereits gegen 2030 die 1,5-Grad-Marke erreicht.

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Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) mahnte erst diese Woche: die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre war noch nie so hoch wie 2020. Zuletzt habe die Erde eine so hohe CO₂-Konzentration vor drei bis fünf Millionen Jahre erlebt, sagte WMO-Chef Petteri Taalas.

Die Klimamodelliererin Veronika Eyring vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt warnt: Der menschliche Einfluss ist nicht nur der wesentliche Treiber für die Erwärmung des Klimasystems, sondern auch für die Zunahme von Extremwetterereignissen. Die Häufigkeit und die Intensität etwa von Starkregen­ereignissen oder Hitzewellen steigen durch den Klimawandel an.“

Also Kopf in den Sand stecken?

Nein, sagte der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Fest steht, wir sind schon mitten im Klimawandel. Wir können allerdings die Risiken minimieren, indem wir den globalen Temperaturanstieg auf unter zwei Grad begrenzen. Das wird sehr knapp, aber es ist möglich, wenn wir jetzt Tempo machen.“

Der Klimafolgenforscher setzt große Hoffnungen auf die an diesem Sonntag beginnende UN-Klimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow, die wegen der Pandemie ein Jahr später stattfindet als ursprünglich geplant. Es geht unter anderem um die Frage, wie die Staaten weltweit Treibhausgase erfassen und wie häufig sie ihre nationalen Beiträge zum Klimaschutz überprüfen sollten.

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Auch für Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, ist der Weg alternativlos: „Klimaschutz ist wirtschaftlich und finanziell der deutlich klügere Weg. Denn die finanziellen Kosten von Naturkatastrophen sind enorm und nehmen stark zu.“

Der Gastgeber, Großbritanniens Premier Boris Johnson, ist sich sicher: „Ich denke, Glasgow – COP26 – ist ein Wendepunkt für die Welt und der Moment, in dem wir erwachsen werden und Verantwortung übernehmen müssen.“

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UN-Generalsekretär António Guterres sieht dagegen auch die Möglichkeit des Scheiterns. „Wir brauchen eine dramatische Verbesserung der national festgelegten Beiträge der meisten Länder“, sagt er.

In Glasgow gibt es vier Generalziele. Danach sollen

  1. bis Mitte des Jahrhunderts die Maximalerwärmung bei 1,5 Grad Celsius gehalten werden,
  2. die Anpassung an den Klimawandel vorangetrieben und natürliche Lebensräume strenger geschützt werden,
  3. das Finanzsystem aller Unternehmen, Banken, Versicherer oder Investoren konsequent auf die Klimaziele ausgerichtet werden und
  4. eine Einigung in den Verhandlungen von Glasgow verpflichtend sein.

Was so einfach klingt, ist schwierig genug. Denn in Paris ist ein Rahmen vereinbart worden, dessen Ausfüllung jetzt im Detail geklärt werden muss. Und wenn es konkret wird, gibt es immer jemanden, der durch die Hintertür rauswill. Insbesondere wirtschaftlich aufstrebende Nationen wie China, Indien oder Brasilien sehen durch strenge Klimaschutzvorgaben ihr Wachstum zu sehr gezügelt.

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Die Emissionen der G20-Staaten würden 2021 im Vergleich zum Vorjahr voraussichtlich um 4 Prozent steigen, erklärte das internationale Netzwerk Climate Transparency in einer Mitte Oktober veröffentlichten Studie. Demnach war der Ausstoß des klimaschädlichen Gases im ersten Jahr der Corona-Pandemie zunächst zurückgegangen, hat nun aber wieder zugenommen. Insgesamt seien die G20-Staaten für 75 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich.

Industrieländer wie Deutschland stehen vor der Aufgabe, das Ende des Kohleabbaus womöglich vorzuverlegen und gleichzeitig nach Abschaltung der letzten Atomreaktoren 2022 möglichst rasch die Kapazität erneuerbarer Energien drastisch zu erhöhen, um den – von Experten geschätzten bis zu 30 Prozent steigenden – Strombedarf von Industrie, Privathaushalten und forcierter E-Mobilität bis 2030 zu decken.

Dies sind deshalb Kernpunkte in den derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP. Wie sozialverträglich ist Klimaschutz hinzubekommen, wenn zum Beispiel der CO₂-Ausstoß immer stärker besteuert wird und dadurch Kraftstoffe, Heizung oder das Kochen verteuert?

Es geht in Glasgow vor allem auch ums Geld

Michael Schäfer, Klimaexperte beim Naturschutzbund Deutschland, sagt: „Der CO₂-Preis, der zusätzliche Kosten beim Energieverbrauch verursacht, soll Entscheidungen und Investitionen für mehr erneuerbare Energien anreizen. Das Instrument darf aber nicht dazu führen, dass Menschen mit geringem Einkommen im Winter frieren.“

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Nicht zuletzt deshalb geht es auch in Glasgow vor allem ums Geld. 100 Milliarden Dollar jährlich sollten global ab 2020 von den Industrieländern in die Länder des Südens für den Klimaschutz fließen. Laut OECD fehlen noch 20 Milliarden. Und ob die Hälfte der öffentlichen Klimaschutzzahlungen für die notwendige Anpassung an den sich bereits jetzt vollziehenden Klimawandel ausgegeben werden, wie UN-Chef Guterres fordert, ist auch noch nicht ausgemacht.

In den vorbereitenden Runden für Glasgow hat sich gezeigt, dass es vor allem bei den noch zu vereinbarenden Kooperationsmöglichkeiten von Nationen bei Emissionsminderungen haken wird. Nach dem Übereinkommen von Paris soll es erlaubt sein, dass Minderungsmaßnahmen in einem Land umgesetzt und die Minusleistungen in ein anderes Land übertragen und dort mit dem nationalen Klimaschutzziel verrechnet werden.

Allein, es gibt noch keine sauberen Mechanismen, die ausschließen, dass Reduktionen mehrfach gezählt werden – also etwa im Geber- und im Nehmerland.

Gehandelt wird mit Druck, Schmeicheleien - und viel Geld

Das ist alles mittlerweile so hochkomplex und technisch anspruchsvoll, dass die COP26 in Glasgow ein veritabler politischer Basar sein wird – so wie die Vorgängerkonferenzen auch. Gehandelt wird mit Druck, Schmeicheleien – und viel Geld.

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Immerhin: Der weltweit führende Ölexporteur Saudi-Arabien verspricht inzwischen, bis 2060 klimaneutral zu sein und für Investitionen rund um das Klima umgerechnet 160 Milliarden Euro ausgeben zu wollen. Und Australien – weltweit zweitgrößter Kohleexporteur – will bis 2050 seine CO₂-Emissionen auf null bringen. Allerdings: Gesetzlich festgeschrieben wird das in Down Under nicht.

Da Paris erfolgreich war, fahren die ausrichtenden Briten die gleiche Konferenzstrategie wie vor sechs Jahren die Franzosen: An den ersten beiden Tagen, am 1. und am 2. November werden sich rund 130 Staats- und Regierungschefs in Glasgow die Klinke in die Hand drücken, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie sollen durch persönlichen Einsatz Druck auf die Verhandler ausüben.

Die Botschaften werden sich gleichen, der Klimawandel müsse gebremst werden, um ein Kippen der menschlichen Lebensverhältnisse zu verhindern. Die Verpflichtung: Arbeit an Lösungen. Dann müssen die Expertinnen und Experten ran, für den 12. November ist der Abschluss der Verhandlungen geplant.

Die Agenda für Glasgow ist ellenlang, und den Teilnehmenden, die trotz Pandemie planmäßig in realen Räumen und nicht virtuell verhandeln sollen, bleibt erfahrungsgemäß nur wenig Zeit. „Das erspart uns hoffentlich eines“, sagt Nicole Wilke, die im Bundesumweltministerium das Referat für internationalen Klimaschutz leitet und in Glasgow selbst mitverhandelt, „überholte Rituale.“

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