Wie Frankreich Obdachlose und alte Menschen vor dem Hitzetod retten will

Menschen baden an einem heißen Sommertag in einem Brunnen vor dem Eiffelturm (Archivfoto).

Menschen baden an einem heißen Sommertag in einem Brunnen vor dem Eiffelturm (Archivfoto).

Paris. Sommer, Hitze, Rekordtemperaturen – das weckt in Frankreich nicht nur schöne, sondern auch schreckliche Erinnerungen an den August 2003. Die damalige europaweite Hitzewelle erfasste das ganze Land mit voller Wucht, selbst in der sonst meist kühlen Bretagne wurden zeitweise über 40 Grad gemessen.

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Die Zahl der Menschen, die innerhalb von nur rund zwei Wochen in Frankreich an den Folgen großer Hitze verstarben, wurde später auf mindestens 15.000 geschätzt. So wie man seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie die Menschen, die infolge einer Corona-Erkrankung verstorben sind, zählt, so wurde damals in den Nachrichten täglich die Zahl der Hitzetoten vermeldet. Da es an Kältekammern fehlte, um die Leichen zu lagern, verlieh der Großmarkt Rungis bei Paris Kühlwagen.

Viele starben einsamen Tod

Bei vielen Opfern handelte es sich um ältere, geschwächte und oft alleinstehende Menschen, zu deren Begräbnis keine Angehörigen oder Freunde kamen – sie waren einen einsamen Tod gestorben. Manche wurden erst entdeckt, als Nachbarn den beißenden Geruch, der aus ihren Wohnungen kam, bemerkten. Der damalige Präsident Jacques Chirac stand stark in der Kritik für sein „ohrenbetäubendes Schweigen“ und seine Rückkehr aus dem Urlaub in Kanada, erst nachdem das Land dramatische Wochen erlebt hatte.

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Um „solche Dramen in Zukunft zu vermeiden“, werde das Warn- und Alarmsystem verstärkt und mit besseren finanziellen Mitteln ausgestattet, versprach Chirac in der Folge. Aber das Geschehene habe auch gezeigt, „in welchem Ausmaß unsere Gesellschaft verantwortungsbewusster und aufmerksamer für die anderen, ihre Verzweiflung, ihr Leiden, ihre Verwundbarkeit“ werden müsse.

Um nie wieder eine solche Tragödie zu erleben, zog Frankreich Konsequenzen aus dem schlimmen Sommer 2003, indem es einen Hitzeplan ausarbeitete, der heute noch zum Tragen kommt, wenn die Temperaturen steigen. Er funktioniert in vier Stufen von grün über gelb und orange bis rot, wobei die erste, grüne Stufe automatisch vom 1. Juni bis 15. September gilt. In dieser Zeit gibt es eine nationale Hitzehotline.

Ehrenamtliche kümmern sich um Wohnungslose

Eine wichtige Rolle spielen die Rathäuser, in denen jeweils ein Sonderbeauftragter ein Register über alle besonders gefährdeten Bürger führt. Zu ihnen gehören ältere und allein lebende Menschen, aber auch schwangere Frauen, Säuglinge, Menschen mit einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit. Spätestens ab der orangefarbenen Stufe beginnen Mitarbeiter des Rathauses oder Ehrenamtliche von Vereinen, diese gefährdeten Personengruppen systematisch anzurufen oder sie zu besuchen, um nachzusehen, ob es ihnen gut geht und um ihnen einfache Tipps zu geben - etwa regelmäßig zu trinken oder die Wohnung nicht zwischen 11 und 21 Uhr zu verlassen.

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Auch den Obdachlosen wird besondere Aufmerksamkeit zuteil: Ehrenamtliche besuchen sie regelmäßig, und wie in Phasen extremer Kälte werden weitere Kapazitäten in Obdachlosenheimen bereitgestellt. Manche Städte wie Nizza haben eine eigene „Hitzebrigade“, deren Aufgabe es ist, Prävention zu leisten und die Menschen zu sensibilisieren. Paris stellt tagsüber Kühlräume zur Verfügung, lässt Gratiswasserflaschen verteilen und Trinkfontänen aufstellen. Zeitweise können Fahrverbote für Autos beschlossen werden – eine unbeliebte Maßnahme, um die Luft in der dicht bebauten Hauptstadt erträglich zu halten.

Krankenpfleger können aus Urlaub zurückgeholt werden

Arbeitgeber in bestimmten Branchen sind während Hitzeperioden dazu verpflichtet, Vorsorgemaßnahmen zu treffen: In der Bauindustrie muss ein Kühlraum für die Arbeiter bereitgestellt werden, in Unternehmen soll es stets gekühlte Getränke und die Möglichkeit zum Lüften geben. Auch in Alten- und Pflegeheimen, Schulen und Kinderkrippen müssen Erfrischungsmöglichkeiten und gekühlte Aufenthaltsräume vorhanden sein.

Während Hitzeperioden übermitteln öffentliche Radio- und Fernsehanstalten regelmäßig Informationen des Gesundheitsministeriums. Das Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen kann kurzfristig aufgestockt und dieses sogar aus dem Urlaub zurückgeholt werden – auch wenn dieses nach mehr als einem Jahr intensivem Dienst aufgrund der Corona-Pandemie ohnehin am Anschlag ist.

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